Mainz Colloquium for History and Philosophy of Science

 

Einstein-Zitat (1916), Fassade Johann-Joachim-Becher-Weg 14, Campus JGU Mainz. Foto Privat

Einstein quote (1916), face of Building “Jot”, Johann-Joachim-Becher-Weg 14, Mainz University. Foto private.

 

The Mainz Colloquium for History and Philosophy of Science is jointly organized by the Department of Philosophy, the research group in History of Mathematics and Natural Sciences at the Institute of Mathematics, and the Studium generale. The colloquium aims to bring philosophers, historians, and scientists together to discuss the methodologies, foundations, and the history of the sciences.

Conveners: Conveners are Ralf Busse, Meinard Kuhlmann, Cornelis Menke, and Tilman Sauer.

Email list: You can subscribe (and unsubscribe) online to Mainz HPS Colloquium's email list.

Program: You can download the program as an ICS calender file.

 

 

 

 

Winter semester 2023/2024


8 November 2023 – 6.15 pm. Philosophicum, P 103

Meinard Kuhlmann
Mainz University

Wie viele Welten entstehen

Abstract: In der für die materielle Welt fundamentalen Quantentheorie gibt es ein grundlegendes Problem: Es ist nicht klar, wieso die Welt für uns eigentlich so klassisch erscheint, wie sie es tut, mit definiten Eigenschaften und insbesondere ohne Überlagerungen von toten und lebenden Katzen. Einer der heute populärsten Lösungsvorschläge ist die Viele-Welten-Theorie, wonach definite Eigenschaften nur in den einzelnen einer großen Vielfalt ständig entstehender voneinander getrennter Welten existieren. Meine Frage ist nun, ob diese Entstehung von Welten mechanistisch verstanden werden kann. Ich werde erstens dafür argumentieren, dass die anscheinend offensichtliche Antwort falsch ist, und zweitens zeigen, dass die tatsächlich zutreffende Antwort unerwartete (und eher unschöne) Konsequenzen hat.


31 January 2024 – 6.15 pm. Philosophicum, P 103

Kärin Nickelsen
LMU Munich

Kollektiv und Kooperation: Zur Dynamik interdisziplinärer Forschungsfelder

Abstract: Wie lässt sich ein interdisziplinär agierendes Forschungsfeld in seinen Eigenschaften und Prozessen beschreiben? Im Vortrag wird dies am Beispiel der Photosyntheseforschung in Europa/USA während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgelotet. Die Photosynthese der Pflanzen besser zu verstehen, war für verschiedene Disziplinen höchst interessant: die Physik interessierte sich für die Bioenergetik, die Chemie für die Reaktionspfade, die Biologie für den Lebensprozess im Organismus. All dies zusammenzubringen, war sozial und epistemisch anspruchsvoll, und schnelle individuelle Ergebnisse waren nicht zu erwarten. Im Vortrag möchte ich an diesem Beispiel einige Muster der Wissensgenerierung im Kollektiv vorschlagen sowie eine Analyse erfolgreicher wie auch gescheiterter Konstellationen disziplinenübergreifender Zusammenarbeit.


7 February 2024 – 6.15 pm. Philosophicum, P 103

Helmut Pulte
Ruhr University Bochum

Was Riemann und Einstein nicht gemeinsam haben. Die ‚Hypothesen‘ Riemanns, beleuchtet im philosophischen, mathematischen und physikalischen Kontext ihrer Zeit

Abstract: Bernhard Riemanns Göttinger Antrittsvorlesung ‚Über die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen‘ (1854) gilt zu Recht als ein Meilenstein nicht nur der Geschichte der Geometrie, sondern der Mathematik und ihrer philosophischen Reflexion allgemein. Das in dieser Vorlesung vorgestellte Konzept einer n-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit und deren Metrik hat die Entwicklung der reinen Mathematik nachhaltig geprägt und auch in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie (1915) Anwendung gefunden. In einer Reihe von philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Rekonstruktionen wird auf Grund dieser Verbindung der dritte Teil von Riemanns ‚Hypothesen‘ als eine hellsichtige Antizipation Einsteinscher Ideen gepriesen.

Der Vortrag verfolgt unter anderem das Ziel, entgegen einer solchen ‚teleologischen‘ Geschichtsschreibung Riemanns Aussagen aus seinen philosophischen und physikalischen Interessen und Beschäftigungen in seiner ‚zweiten‘ Göttinger Zeit verständlich zu machen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Fragen, wie er mathematische und naturwissenschaftliche Begriffs- und Theoriebildungen zusammenbringt und welches Verständnis von ‚Hypothese‘ durch sein bahnbrechendes Werk in die Philosophie der Geometrie und Physik Eingang findet.


 

Summer semester 2023


Catherine Herfeld
Leibniz University Hanover

Empirische Netzwerkanalyse als eine Methode der Wissenschaftsphilosophie

21 June 2023, 6.15 pm – Philosophicum, P 15

Abstract: In den letzten Jahren spielen empirische Methoden in der Wissenschaftsphilosophie eine immer wichtigere Rolle. Neben mathematischen Modellen aus der Spiel- und Entscheidungstheorie sowie Experimenten und ethnografischen Ansätzen werden auch computergestützte Verfahren wie beispielsweise Simulationstechniken angewandt, um wissenschaftsphilosophische Fragen zu adressieren. Darüber hinaus werden in der Wissenschaftsgeschichte zunehmend auch bibliometrische Methoden und Ansätze aus den Digital Humanities verwendet. Für die Wissenschaftsphilosophie im Allgemeinen und stark historische Bereiche wie Integrated History and Philosophy of Science (&HPS) im Besonderen stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, welchen Erkenntnisgewinn empirische, insbesondere quantitativ-empirische Methoden, auch dort spielen können.

In diesem Vortrag diskutiere ich den Nutzen quantitativ-empirischer Methoden für wissenschaftsphilosophische Fragestellungen anhand der Methode der Netzwerkanalyse. Ich argumentiere, dass die quantitativ-empirische Netzwerkanalyse besonders in jenen Bereichen der Wissenschaftsphilosophie nützlich ist, die sich auf die traditionelle Methode der Fallstudienanalyse stützen, da die Netzwerkanalyse eine Reihe von methodologischen Herausforderungen hilft zu entschärfen, die sich aus der Analyse von Fallstudien ergeben. Ich werde meine Argumentation beispielhaft anhand der Frage illustrieren, wie Modelle über Disziplingrenzen hinweg transferiert werden. Ich diskutiere Vor-und Nachteile der Netzwerkanalyse anhand dieses Beispiels und schlussfolgere, dass die Netzwerkanalyse traditionellere Methoden nicht ersetzen, sondern nur ergänzen kann und sich dabei auf diese stützen muss, um ihr Potenzial voll zu entfalten.


Cornelis Menke
Mainz University

Wozu Departments? Der “zweite Mößbauer-Effekt” und die Kontroverse um
Universitätsstrukturen

5 July 2023, 6.15 pm – Philosophicum, P 15

Abstract: Die gegenwärtige Kontroverse um die Einführung von Departmentstrukturen nach US-amerikanischem oder britischen Vorbild an Universitäten in Deutschland hat einen Vorläufer in Debatten der 1960er Jahre. Zumal im Feld der Physik entstanden an mehreren Universitäten Initiativen, die eine Ablösung des Institutssystems zugunsten eines Departmentsystems anstrebten. Der bekannteste Fall ist der der TH München: Der junge Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer hatte eine solche Umstrukturierung der Physik zur Voraussetzung für seine Rückkehr vom Caltech an die TH München gemacht – dass das Ministerium dem folgte, wurde als "zweiter Mößbauer-Effekt" bekannt. Der Vortrag behandelt die Frage, worin die Umstrukturierungen bestanden und welche Gründe und Motive zumal Mößbauer leiteten.


Nick Haverkamp
Mainz University

Alternative Logiken: Unvereinbare Grundannahmen oder bloß ein Streit um Worte?

Tuesday, 18 July 2023, 6.15 pm – Philosophicum, P 11

Abstract: Während die maßgeblich auf Gottlob Frege zurückgehende klassische Logik in vielen wissenschaftlichen Bereichen eine vorherrschende Rolle spielt, wurden auch zahlreiche alternative Logiken vorgeschlagen, wie beispielsweise die zum mathematischen Intuitionismus passende intuitionistische Logik, die durch physikalische Phänomene angeregte Quantenlogik oder verschiedene, durch die semantischen Paradoxien motivierten parakonsistenten Logiken. Dabei stellt sich die grundlegende Frage, wie diese logische Vielfalt zu verstehen und zu bewerten ist. Werden hier überhaupt sich gegenseitig ausschließende Antworten auf gemeinsame Fragen gegeben, oder handelt es sich vielmehr um Theorien, die miteinander verträglich sind, weil sie sich gar nicht auf dieselben Inhalte beziehen? Wenn beispielsweise eine Intuitionistin sagt: „Nicht jede reelle Zahl ist rational oder nicht rational“, verneint sie dann wirklich ein Grundprinzip der klassischen Logik, oder hat ihre Behauptung eine ganz andere Bedeutung, so dass sie der klassischen Logik gar nicht widerspricht?

In diesem Vortrag werden zentrale Positionen zum Verhältnis alternativer Logiken untersucht. Insbesondere werden Schwierigkeiten pluralistischer Positionen präsentiert, nach denen alternative Logiken grundsätzlich verschiedene Aussageinhalte betreffen und somit einander gar nicht direkt widersprechen, und es wird eine monistische Gegenposition vorgestellt, nach der fundamental verschiedene inferentielle Praktiken nicht mit fundamental verschiedenen Interpretationen der verwendeten Ausdrücke einhergehen müssen.

 

 

Winter semester 2022/2023


Tarja Knuuttila, Andrea Loettgers
University of Vienna

“Modelling and Surrogate Reasoning”

30 November 2022 – online

Abstract: Scientific practice revolves around an amazing variety of constructed objects rendered by different representational tools and media. These objects enable inferences concerning the natural and social phenomena, which scientists are interested in. Philosophical discussion has approached the epistemic uses of such artefacts in terms of modelling and surrogate reasoning. Although this discussion has been insightful, it has remained limited in scope in that it has tended to fuse surrogate reasoning with representation. Roughly put, models have been taken as representations, and model-based representation, in turn, has been analyzed in terms of surrogate reasoning. Such an understanding of surrogate reasoning latches onto the representational relationship between a model and a target, with the model acting as a surrogate for some identifiable target system. I will argue for an alternative artefactual approach that widens the discussion of surrogate reasoning beyond representation to cover different analogical and other relations between the features of models and those of both actual and possible natural and social systems. Examples from synthetic biology and economics are used to exemplify the artefactual approach to surrogate reasoning.


Katharina Krauss
University of Notre Dame

“Die Rolle der Ideen in Kants Wissenschaftstheorie: Eine kontextualistische Lesart”
7 December 2022, 6.15 pm – Philosophicum, room P 4

Abstract: In diesem Vortrag wird eine neue, kontextualistische Interpretation von Kants Ideen der Vernunft vorgestellt und zur Auslegung von Kants Wissenschaftstheorie herangezogen. Unter Rückgriff auf zeitgenössische analytische Theorien der Kontextabhängigkeit wird im ersten Teil argumentiert, dass für Kant theoretische Erkenntnis nur in adäquaten Kontexten hinreichend semantisch bestimmt und epistemisch rechtfertigbar ist und dass Ideen der Vernunft benötigt werden, um diese Kontexte zu demarkieren und mental abzubilden. Der regulative Gebrauch der Ideen besteht demnach nicht darin, Beschreibungen einer existierenden oder bloß eingebildeten metaphysischen Realität hervorzubringen, sondern zwei Arten von Kontexten mental darzustellen: (i) Verstehenskontexte, innerhalb derer ein menschliches Subjekt seine Erfahrung allererst als hinreichend semantisch bestimmte Erkenntnis eines Objekts (einer bestimmten Art) begreifen kann, und (ii) Evaluationskontexte, innerhalb derer die Wahrheit der Erkenntnis angesichts der Welt, wie sie an sich ist, letztgültig beurteilt werden könnte und aus deren Projektionen normative Standards für epistemische Rechtfertigungen abgeleitet werden können.

Im zweiten Teil wird diese kontextualistische Lesart auf Kants Wissenschaftsphilosophie angewandt, um Kants Behauptung zu erklären, dass jede Einzelwissenschaft auf einer Idee der Vernunft beruht. So gründet sich beispielsweise die Physik auf der Idee des absoluten Raumes und die Psychologie auf der Idee der Seele. In ihrer semantischen Funktion definiert die Idee einer Wissenschaft demnach ihren größtmöglichen Verstehenskontext und damit ihre lokale Ontologie. In ihrer epistemischen Funktion stellt diese Idee den letztgültigen Evaluationskontext dar, aus dessen Projektion die für die Einzelwissenschaft charakteristischen Wissensstandards gewonnen und der historische Wandel von Theorien erklärt werden können. Zusammenfassend lässt sich mit der kontextualistischen Lesart sowohl die menschlich-perspektivische Natur der Wissenschaften als auch deren notwendigen Bezug auf eine perspektivenunabhängige Wirklichkeit verstehen.


Johannes Lenhard
RPTU Kaiserslautern

“The Most Important Thing: Wittgenstein, Engineering, and the Foundations of Mathematics”
18 January 2023, 6.15 pm – Philosophicum, room P 4

Abstract: In his “Remarks on the Foundations of Mathematics” (RFM), Ludwig Wittgenstein argues that contradictions might happen in mathematics without harm to the foundations and without harm to using mathematics. This liberal view caused a scandal and counts as untenable. My contribution revisits Wittgenstein’s claims from the perspective of mathematics as a tool and shows that it is much better supported than usually assumed.

The talk combines historical with systematic argument. I provide little known background about the situation at TU Charlottenburg (Berlin) when Wittgenstein set out to study engineering there. Alois Riedler, then the leading engineer at Charlottenburg, pushed for a new conception of mathematization in line with Wittgenstein’s later claims. Additionally, two examples of inconsistent, but widely used mathematical tools are sketched. Against this background, I (re-)interpret seminal passages of Wittgenstein’s RFM and also his exchange with Alan Turing during his 1939 lectures. There, Wittgenstein highlights that basic laws of thought are at issue and that reflecting on them would be “the most important thing” he has talked about.


Samuel Schindler
Aarhus University
“Schluss auf die Beste Erklärung, ungewisse Evidenz, und Bayesianismus”
25 January 2023, 6.15 pm – Philosophicum, room P 4

Abstract: Der Schluss auf die Beste Erklärung besagt, dass eine Theorie, die die Fakten am besten erklärt, die höchste Wahrscheinlichkeit hat, wahr zu sein. Verfechter dieser Idee haben seit langem versucht, dies in Einklang mit der Bayesianischen Bestätigungstheorie zu bringen. In diesem Vortrag werde ich drei Lösungsstrategien diskutieren, die sich in der gängigen Literatur wiederfinden. Ich halte keine dieser Strategien für zufriedenstellend. Stattdessen werde ich in dem Vortrag einen anderen Vorschlag herausarbeiten. Auf Grundlage von historischen Fallstudien werde ich argumentieren, dass im Zusammenhang von ungewisser Evidenz die Eigenschaft einer Theorie, gute Erklärungen zu liefern, die Ungewissheit von Evidenz aufheben kann. Diese Fähigkeit guter Erklärungen untermauert nicht nur den epistemischen Gehalt von Erklärungen, sondern offeriert auch einen neuen Lösungsansatz für die Vereinbarkeit von dem Schluss auf die Beste Erklärung und Bayesianismus.


Holger Lyre
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

“Neurophänomenaler Strukturalismus”

1 February 2023, 6.15 pm – Philosophicum, room P 4

Abstract: Im Vortrag soll das Programm eines “neurophänomenalen Strukturalismus” vorgestellt werden, das als Agenda für eine strukturalistische Neurowissenschaft des Bewusstseins angesehen werden kann. Neurophänomenaler Strukturalismus beruht auf zwei Annahmen:
1. Jedes phänomenale Erlebnis ist vollständig durch seinen Ort in einem phänomenalen Raum (quality space) individuiert.
2. Die Struktur des Phänomenalen spiegelt sich in der neuronalen Struktur wider.
Verschiedene Implikationen des Programms werden diskutiert: Neurophänomenaler Strukturalismus führt auf eine besondere Version eines strukturalen Repräsentationalismus sowie auf einen Holismus des
Phänomenalen. Zudem beinhaltet er eine Zurückweisung von Szenarien invertierter Qualia.

 

Summer semester 2022


 

Arianna Borelli
TU Berlin
“Symmetry's success story? A historical-epistemological critique”
4 May 2022, 6.15 pm – Philosophicum, room P 208

Abstract: Symmetry principles, and more specifically group-theoretical structures, have special prominence in 20th and 21st century physics and some physicists and philosophers regard them as potentially telling us something about the fundamental order of nature. To support this view, it is often claimed that symmetries have proven themselves to be very productive as a heuristic tool, for example in particle physics of the 1950s and '60s.

Was that really the case? In my presentation I will take a closer look at theoretical practices of early particle physics and argue that the use of symmetries as a guiding principle for theory construction was by no means as heuristically effective as usually assumed. Moreover, I will show that theorists at the time did not regard group theoretical structures as having special physical significance, but only focused on a very specific subset of them, namely those linked to space-time transformations.


 

Tobias Wilsch
University of Mainz
“Modale Metaphysik und die Entstehung der Welt”
Simultaneously part of the Kolloquium des Philosophischen Seminars.
6 July 2022, 6.15 pm – Philosophicum, room P 208

Abstract: Die Entstehung der Welt galt in der frühen Neuzeit noch als eines der wichtigsten Themen der Metaphysik. Leibniz hat beispielsweise die berühmte Ansicht vertreten, dass ein allmächtiger Gott die Wirklichkeit erschuf, indem er die beste aller „möglichen Welten“ aktualisierte. Die moderne Metaphysik dagegen schweigt sich zu dem Thema „Entstehung der Welt“ aus. Ich bin in diesem Vortrag an einer nicht-theistischen (d.h. ohne Gott) Weltentstehungsgeschichte interessiert, die mit der von Leibniz ein wesentliches Strukturmerkmal gemeinsam hat, nämlich den Schritt von Möglichkeit zu Wirklichkeit. Am Anfang, so diese Geschichte, waren „Quellen der Notwendigkeit“, die einen Möglichkeitsraum eröffneten, aus dem unsere kontingente Wirklichkeit in mehreren Schritten entstand. Ich habe zwei Dinge mit Ihnen vor. Zum einen möchte ich dieses Bild einer gottlosen „metaphysischen Kosmogonie“ verständlich machen, und zum anderen werde ich versuchen, Teile dieses Bildes mithilfe bestimmter Mittel der modalen Metaphysik zu verteidigen.


 

Wolfgang Pietsch
Munich
“Datenwissenschaft als kausale Wissenschaft”
Monday (!), 18 July 2022, 2.15 pm – room RW 2, Haus ReWi I

Abstract: Es gibt viele Arten von Datenwissenschaft. In meinem Vortrag beschränke ich mich auf ein enges Verständnis als maschinelles Lernen, das auf große Datensätze angewandt wird. Ich diskutiere aus erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Perspektive, was eine so verstandene Datenwissenschaft leisten kann. Ein entscheidendes konzeptionelles Werkzeug hierfür ist die Unterscheidung zwischen phänomenologischer und theoretischer Wissenschaft, die in verschiedenen Varianten beispielsweise von Pierre Duhem oder Nancy Cartwright vertreten wurde. Phänomenologische Wissenschaft schafft kausales Wissen, das für Vorhersagen und verändernde Eingriffe in die Welt genutzt werden kann. Hingegen führt theoretische Wissenschaft scheinbar unzusammenhängende Phänomene in stark vereinheitlichenden, nicht-kausalen Modellen zusammen. Ich argumentiere, dass Datenwissenschaft zu den phänomenologischen Wissenschaften gehört und somit in erster Linie eine kausale Wissenschaft ist. Diese Einsicht erlaubt es beispielsweise, die Frage zu erörtern, ob wir von den gegenwärtigen Fortschritten im maschinellen Lernen einen „künstlichen Einstein“ erwarten sollten, also eine künstliche Intelligenz, die Vergleichbares leisten kann wie die großen Denker der Wissenschaftsgeschichte.

 

 

Winter semester 2021/2022


 

Alexander Blum
Max Planck Institute for the History of Science MPIWG, Berlin
“Wie John Wheeler sein Vertrauen in die Naturgesetze verlor”
(Gemeinschaftsarbeit mit Stefano Furlan)
27 October 2021, 6.15 pm – Philosophicum, room P 108

Abstract: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Physik als wissenschaftliche Disziplin auf dem Höhepunkt. Dieser Höhepunkt war zugleich der Beginn eines langsamen Niedergangs, und die Biologie wurde zunehmend als “Leitwissenschaft” wahrgenommen. Ein Aspekt dieser Entwicklung waren wachsende Zweifel an der Anwendbarkeit und Relevanz von mikroskopischen, reduktionistischen Naturgesetzen; ein anderer die zunehmende Bedeutung innerhalb der Physik von Konzepten aus den Lebenswissenschaften, wie Emergenz oder Evolution.

In meinem Vortrag untersuche ich diese Entwicklungen anhand der wissenschaftlichen Biographie des amerikanischen Physikers John Wheeler, der in den frühen 1970ern begann, die Ansicht zu vertreten, dass die Welt in ihren Grundlagen “gesetzlos” sei, und versuchte, die kosmologische Genese physikalischer Naturgesetze mithilfe evolutionärer Ideen zu erforschen.


 

Ralf Busse - Kommentar: Meinard Kuhlmann
Mainz University
“Metaphysischer Kohärentismus: Das (vermeintliche) Beispiel der Quanten-Verschränkung”
17 November 2021, 6.15 pm – Philosophicum, room P 108

Abstract: Dem metaphysischen Fundamentalismus zufolge ruht die Realität auf einem Fundament an Dingen oder Tatsachen, die von nichts weiter mehr metaphysisch abhängig sind. Aus diesem Fundament resultieren verschiedene Ebenen an derivativen Dingen oder Tatsachen in asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnissen. Dem metaphysischen Kohärentismus zufolge besteht die Realität hingegen in einem Netzwerk von Dingen oder Tatsachen, die alle von etwas abhängig sind und wobei zumindest in manchen Fällen metaphysische Abhängigkeit wechselseitig besteht, so dass Abhängigkeit nicht asymmetrisch ist. Als Beleg für den Kohärentismus wird häufig auf das Phänomen der Quantenverschränkung verwiesen. Bei genauerem Hinsehen leidet die kohärentistische Deutung der Quantenverschränkung jedoch unter drei phänomenologischen Defiziten: 1. Oberflächlichkeit: Die behauptete wechselseitige Abhängigkeit von Teilchen-mit-bestimmten-Eigenschaften erweist sich als derivativ gegenüber relationalen Wesensbestimmungen bezüglich mehrerer Teilchen zugleich, die mit dem Fundamentalismus vereinbar sind. 2. Ambiguität: Plausiblerweise bestehende wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Tatsachen über Teilchen und ihre Eigenschaften sind kausal-kontrafaktischer Art und nicht metaphysischer Art. 3. Substanzlosigkeit: Eine metaphysische Analyse von Verschränkungszuständen mittels wechselseitiger Abhängigkeit wird nur abstrakt behauptet, ohne dass eine konkrete metaphysische Theorie diese Ko-Abhängigkeit substanzialisieren könnte. Insgesamt vermag das Phänomen der Quantenverschränkung keine kohärentistische Metaphysik zu stützen. Die fundamentalistische Standard-Position in der Metaphysik bleibt unberührt.


 

Hanne Andersen
Section for History and Philosophy of Science, Dept. of Science Education, University of Copenhagen
“Learning from the past in developing machine learning for the future”
12 January 2022, 6.15 pm – online: please find further information at the Mainz colloquium page in Mainz University's LMS or contact the conveners. 

Abstract: Machine learning is being applied to more and more topics in human life. However, as the use of machine learning is becoming more and more widespread, there is also a growing concern about the possible negative implications of this development, especially with respect to high-stake decisions regarding individuals. This has spurred a rapidly growing literature on how to develop machine learning responsibly.

In much of this literature, issues such as bias, fairness, and explanatory transparency are addressed primarily as ethical issues and as challenges derived from the emergence and development of machine learning. However, first, in dealing with these issues, ethics is closely intertwined with epistemology. Second, although the importance of the challenges may have been amplified by the rapid development of machine learning and algorithmic decision systems, they are not necessarily new concerns. Instead, many of the challenges derive from well-known epistemic and ethical issues related to decision-making under uncertainty. In this talk, I shall provide a brief overview of some major strands in these debates and on this background discuss where the use of machine learning amplifies problems already known, and where it creates new issues that need to be resolved.


 

Talk cancelled:  Wolfgang Pietsch, Munich
“Datenwissenschaft als kausale Wissenschaft ((Big) Data Science as Causal Science)”
We will try to reschedule for a later date.

Abstract: There are many kinds of data science. I first discuss different usages of the term focussing on a narrow understanding of data science as machine learning applied to big data sets. I then propose a roadmap for examining the epistemic potential of such data science. A crucial conceptual tool in this regard is the distinction between phenomenological and theoretical science. The former establishes causal knowledge, which can be used for prediction and possibly manipulation. The latter aims at theoretical and abstract frameworks, which are non-causal and provide explanations by unifying seemingly disparate phenomena. I argue that data science belongs to phenomenological science and thus is primarily a causal science. This insight can shed light for example on the question whether we should expect an ‘artificial Einstein’ from present advances in machine learning and data science.

 

 

Summer semester 2021


 

Till Grüne-Yanoff
Royal Institute of Technology, Stockholm
“KISS in the Times of Pandemic: Different Modelling Approaches to COVID-19”
19 May 2021


 

Wendy Parker
Virginia Tech
“Relocating value influence in science”
7 July 2021

Abstract: Should social and political values influence how scientists choose among models, analyze data and reach conclusions? According to the “value-free ideal” for science, they should not. Recently, however, a number of philosophers have argued that such value influence can be entirely appropriate. I will suggest that the responsiveness to values that these philosophers find appropriate can be relocated within the research process, in a way that not only preserves the value-free ideal but may be more comfortable for scientists as well. I call this approach to accommodating value considerations the “epistemic projection approach”.

Simultaneously part of the Kolloquium des Philosophischen Seminars.


 

Winter semester 2020/2021

Uljana Feest
Leibniz-Universität Hannover
“Kognitive Ontologie”
18 November 2020

Simultaneously part of the Colloquium for Philosophy / Zugleich Vortrag im Kolloquium des Philosophischen Seminars (Programm/PDF)

Abstract: Folk-Psychological Concepts, Cognitive Kinds, and Investigative Practice. – When psychologists investigate their objects of research, such as (kinds of) memory, they operate with concepts that are typically derived from folk-psychology but which are – for the purposes of research – tied to specific material-conceptual set-ups, also known as experimental designs. In this vein, researchers tentatively define their concepts in terms of particular experimental tests/tasks, assumed to provide epistemic access to the “objects” in question. But what is the ontological status of such objects? Are they cognitive kinds? And if so, what kinds of things are cognitive kinds? In my paper I will argue that cognitive kinds are cognitive-behavioral whole-organism capacities, which are comprised of multiple phenomena, including (but not limited to) behavioral phenomena. With this I depart from the assumption that the behavioral criteria by which cognitive kinds are empirically individuated are mere epistemic vehicles that aid in the investigation of cognitive kinds. Rather, they are part of what it is to be such a kind. While I take cognitive kinds to be sustained by structural features in the world, I argue that they are not uniquely determined by neural mechanisms. My account of cognitive kinds is relational in that I claim that cognitive kinds are constituted relative to our sensory-conceptual apparatus and maintained by our conceptual and causal practices surrounding cognitive kinds. In turn, I argue that researchers take advantage of the relational character of their subject matter as they utilize existing concepts and fine-tune their conceptual apparatus


 

Andrea Loettgers
Universität Wien
“Organizationsprinzipien in der Biologie”
9 December 2020

Abstract: Scientists constructing models out of genes and proteins aim to explore basic organizational principles in biology. At the same time such material models are supposed to provide the possibility to engineer new biological parts of even whole systems. Are those epistemic and engineering goals compatible? What kind of explanations can be gained by this material model?


 

Dennis Lehmkuhl
Universität Bonn
“Einstein on Spacetime Geometry”
20 January 2021

Abstract: Einstein actively opposed the idea that the general theory of relativity (GR) should be interpreted as reducing the gravitational field to the geometry of spacetime. However, he also regularly pointed out that the metric tensor of general relativity gives a measure of the distance between any two spacetime points and is connected to the measurements of rods and clocks. How do these opinions fit, and how did they come to co-exist in Einstein’s interpretation of GR? I propose that an important hint to this lies in Einstein’s work on a relativistic theory of gravity before he ever represented gravity by a metric tensor. Thus, I will review and give a new analysis of Einstein’s work on a scalar theory of gravity in 1911 and 1912, taking into account the discussion surrounding the concept of a rigid body in relativity theory in the works of Born, Ehrenfest and von Laue in the years preceding Einstein’s scalar theory, and Einstein’s correspondence on the issue between 1909 and 1911.


 

Summer semester 2020

All talks during the summer semester 2020 had to be cancelled.


 

Winter semester 2019/2020


Cornelis Menke
University of Mainz
P < .05 – Ronald Fischer als Pragmatist”

6 November 2019

Simultaneously part of Kolloquium des Philosophischen Seminars

Abstract: Das in vielen Forschungsfeldern etablierte Signifikanzniveau von 5% bei statistischen Tests ist erklärungsbedürftig. Nach der Standard-Auffassung ist es ein eigentlich willkürlicher Grenzwert, der -- im Sinne von Neyman-Pearson-Entscheidungsverfahren -- als Fehlerhäufigkeit interpretiert werden sollte. Dies ist befremdlich, denn der Grenzwert ist älter als diese Entscheidungsverfahren und die Interpretation statistischer Tests, mit denen sie einhergehen, und ein festes Niveau für Fehlerhäufigkeiten ist diesen Verfahren eigentlich fremd. Die These des Vortrags ist, dass das .05-"limit of significance", das auf Ronald Fisher zurückgeht, bei Fisher aber eine gänzlich andere Funktion hat und, in dieser Funktion, auch kein willkürlicher Grenzwert ist.

 


Marie I. Kaiser
Bielefeld University
“How Biologists Study Animal Personalities”
4 December 2019


Giora Hon
University of Haifa
“James Clerk Maxwell’s Methodological Odyssey in Electromagnetism: A Philosophical Perspective”
29 January 2020

Simultaneously part of the Oberseminar zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften

Abstract: Einstein (1931): “The greatest alteration in the axiomatic basis of physics – in our conception of the structure of reality – since the foundation of theoretical physics by Newton, originated in the researches of Faraday and Maxwell on electromagnetic phenomena... Since Maxwell’s time Physical Reality has been thought of as represented by continuous fields, governed by partial differential equations, and not capable of any mechanical interpretation. This change in the conception of Reality is the most profound and fruitful that physics has experienced since the time of Newton.”

We ask, then, What was Maxwell’s key to this fundamental change in the conception of Physical Reality? By following closely the trajectory of Maxwell’s several contributions to electromagnetism, which we characterize as an odyssey, we uncover one fundamental aspect of this success – innovative methodologies.


 

 

Conveners

Conveners: Ralf Busse (Department of Philosophy), Meinard Kuhlmann (Department of Philosophy/Studium generale), Cornelis Menke (Studium generale/Department of Philosophy), and Tilman Sauer (Institute of Mathematics).


 

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