Mainzer Universitätsgespräche
Vom Sinn des Hörens. Natur, Kultur, Kunst
Prof. Dr. Tobias Moser
Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften, Universitätsmedizin Göttingen
Wie Hören funktioniert und wie es in Zukunft
wiederhergestellt werden könnte
Dienstag, 23. November 2021, 18:15 Uhr
Infos zur Präsenz-Teilnahme (mit Anmeldung) und zum Online-Zugang unter www.studgen.uni-mainz.de
Für gesunde Menschen ist die Fähigkeit zu Hören selbstverständlich. Dabei ist das, was unser Hörsinn mit den gleichen Zellen tagein-tagaus leistet, ein einziges Wunderwerk! Versuchen Sie sich vorzustellen, dass Schwingungen im Inneren des Ohres von kleiner als einem milliardstel Meter wahrgenommen werden können! Oder dass Sie mithilfe von einer millionstel Sekunde Zeitunterschied zwischen zwei Tönen genau den Ort der Schallwelle erfahren!
Oft sind erst erlebte Einschränkungen Anlass, sich mehr mit dem Hörsinn zu beschäftigen. Wenn der Hörsinn versagt, gerät ein wesentliches menschliches Bedürfnis – lautsprachliche Kommunikation – in Gefahr. Das betrifft ca. 17 Millionen Menschen in Deutschland und 470 Millionen global. Bislang gibt es für die häufigste Form der Schwerhörigkeit, die Innenohrschwerhörigkeit, keinen ursächlichen Behandlungsansatz. Aktuelle Forschung verspricht hier jedoch Fortschritte für ausgewählte Formen der erblichen Schwerhörigkeit. Eine erste klinische Studie zur Gentherapie wurde bereits durchgeführt und innerhalb der jetzigen Dekade sind mehrere Gentherapie-Studien geplant. Dies wird jedoch nur der relativ kleinen Gruppe, für deren Gendefekt die Gentherapie konzipiert wurde, helfen können, besser zu hören. Regenerative Medizin zum Ersatz verlorener Sinnes- und Nervenzellen ist ein weiteres Zukunftsfeld. Ein klinischer Einsatz der regenerativen Medizin wird wohl noch Forschung über ein bis zwei Dekaden erfordern. Bis dahin werden Hörgeräte und Cochlea-Implantate für die Mehrheit der Innenohrschwerhörigen die einzigen Möglichkeiten zu einer Hörverbesserung bleiben. Allerdings ist die Hörqualität insbesondere beim Cochlea-Implantat deutlich schlechter: dies liegt unter anderem an der begrenzten Übertragung von Information über die Tonhöhen. Um dies zu verbessern, werden aktuell optische Cochlea-Implantate entwickelt. Anstatt Schallwellen in elektrische Signale umzuwandeln, transformieren wir in unseren Experimenten Schallwellen in Lichtsignale, weil Licht besser als Strom fokussiert werden kann. Das Licht wird durch "Lichtschalter" in den Hörnervenzellen erkannt und führt so zu einer Hörwahrnehmung, was im Tierexperiment bereits gelingt. Deswegen könnten mit "Licht-Hören" mehr Information über die Schallfrequenzen weiter-gegeben und der Hörsinn für Schwerhörige zukünftig differenzierter stimuliert werden.
Prof. Dr. Tobias Moser ist als Neurowissenschaftler, HNO-Arzt und Audiologe am Göttinger Campus tätig. Seit 2015 leitet er das Institut für Auditorische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Göttingen und Ar-beitsgruppen am Deutschen Primatenzentrum und an den Max-Planck-Instituten für Biophysikalische Chemie und Experimentelle Medizin. Seine Forschungsgebiete sind die synaptische Kodierung und Verarbeitung von Schallinformation im auditorischen System und innovative Ansätze zur Wiederherstellung des Hörens bei Schwerhörigkeit. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Leibniz-Preis, dem Ernst Jung-Preis für Medizin und dem Großen Wissenschaftspreis der Fondation pour l’Audition.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Jim Igor Kallenberg · Joshua Weitzel
Forschungsprojekt ARS art – research – sound, Hochschule für Musik Mainz HfM, JGU Mainz
Epistemologie des Klopfens: Aspekte einer klanglichen Kulturpraxis
Dienstag, 30. November 2021, 18:15 Uhr