Themenschwerpunkt des Studium generale
Mythen und Rituale – Zur Aktualität kultureller Traditionen
Prof. Dr. Annette Zgoll
Professorin für Altorientalistik, Universität Göttingen
Priv.-Doz. Dr. Christian Zgoll
Dozent für Klassische Philologie und Komparatistik, Universität Göttingen
Älteste Mythen und neueste Mythosforschung
Montag, 8. November 2021, 18:15 Uhr
Infos zur Online-Teilnahme unter www.studgen.uni-mainz.de
Wenn Innana, eine der mächtigsten Göttinnen des Alten Orients, in die Unterwelt hinabsteigt, dann haben wir einen mindestens 4.000 Jahre alten Mythos vor uns, dessen Rätsel bis in jüngste Zeit Leser- und Forscher*innen beschäftigen. Aber was ist ein Mythos? Weder ein Text noch eine Textgattung, sondern ein Erzählstoff (mit bestimmten Charakteristika), der medial sehr verschieden gespeichert oder aufgeführt werden kann, wie etwa als mündliches Rezitativ, als Tanz oder Schauspiel, in Form eines Bildes oder als Keilschrift-Text auf Tontafeln. Eine neue, stoffwissenschaftlich ausgerichtete Göttinger Mythosforschung versucht daher, der Transmedialität mythischer Erzählstoffe Rechnung zu tragen. Und ihrer Polymorphie: Ein Mythos existiert nicht als Ein-Form, sondern als Viel-Form, und die "Arbeit am Mythos" ist nie abgeschlossen, wie im Innana-Fall bspw. der Roman "Anna In in den Katakomben" der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk zeigt. Mythen werden immer wieder neu erzählt und dabei überarbeitet und aktualisiert. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für die Mytheninterpretation, denn Überarbeitungen führen oft zu einem Neben- und Ineinander verschiedener Überlieferungsschichten, die das Verständnis erschweren können. Scheitert Innana wirklich mit ihrem Unterweltsgang, wie es prima facie den Anschein hat und in der Forschung vielfach angenommen wurde?
Prof. Dr. Annette Zgoll: Nach einem Studium der altorientalischen Sprachen (v.a. Sumerisch und Akkadisch), des Alt-hebräischen und Altägyptischen an den Universitäten Münster und München wurde Annette Zgoll 1996 an der Universität München (LMU) promoviert; danach arbeitete sie als wissenschaftliche (Ober)Assistentin an der Universität Leipzig. Forschungsaufenthalte haben zu Museen und Sammlungen u.a. in London, Oxford, Paris, Istanbul, Philadelphia, New Haven und Berkeley geführt. Seit 2007 ist sie Mitglied des Instituts für Historische Anthropologie, seit 2008 Professorin für Altorientalistik an der Georg-August-Universität, seit 2010 Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Ein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Mythosforschung: Seit 2011 leitet sie (mit C. Zgoll) das Collegium Mythologicum, ein transdisziplinäres Team zur Erforschung von antiken Mythen, seit 2016 ist sie Sprecherin der DFG-geförderten Forschungsgruppe 2064 STRATA – "Stratifikationsanalysen mythischer Stoffe und Texte in der Antike". Aktuelle Publikationen zur Mythosforschung sind per Open Access zugänglich in den Bänden "Mythische Sphärenwechsel" (2020, https://doi.org/10.1515/9783110652543) und "Was vom Himmel kommt" (2021, https://doi.org/10.1515/9783110743005).
PD Dr. Christian Zgoll: Nach einem Latein- und Theologiestudium an den Universitäten Würzburg und München wurde Christian Zgoll 2002 an der Universität München (LMU) in den Fächern Latein, Mittellateinische Philologie und Altes Testament promoviert. Daran hat sich eine Forschungs- und Lehrtätigkeit in den Fächern Latein, Altgriechisch, Byzantinistik und Hethitologie an den Universitäten Leipzig und Göttingen angeschlossen, sowie eine Tätigkeit als Koordinator beim Forschungs- und Editionsprojekt SAPERE an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Die Habilitation erfolgte dann 2017 an der Georg-August-Universität Göttingen für die Fächer Klassische Philologie und Komparatistik, mit einem Schwerpunkt auf der Theorie und Methodik der Mythosforschung (Tractatus mythologicus, 2019, Open Access unter https://doi.org/10.1515/9783110541588). Gemeinsam mit A. Zgoll leitet er das Göttinger Collegium Mythologicum und ist Mit-initiator der DFG-Forschungsgruppe 2064 STRATA.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Maria Moog-Grünewald
Professorin em. für Romanische Philologie und Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Tübingen
Die Evidenz des antiken Mythos
Montag, 15. November 2021, 18:15 Uhr