Mainzer Universitätsgespräche – Interdisziplinäre Kolloquienreihe
Stadt[t]räume. Entwicklung und Zukunft der Urbanität
Städte sind als Reaktion auf soziale, wirtschaftliche und kulturelle Bedürfnisse entstanden. Der Übergang von nomadischem Leben zu sesshaften Gemeinschaften ermöglichte die Entwicklung von Handel, Arbeitsteilung und kulturellem Austausch. Städte wurden Zentren von Innovation, Kultur und Fortschritt in menschlichen Gesellschaften. In den letzten Jahrhunderten hat die Industrialisierung die Urbanisierung vorangetrieben, was zu einer rasanten Zunahme von Bevölkerung und Infrastruktur in städtischen Gebieten führte.
Die Zukunft der Urbanität zeichnet sich durch mehrere Schlüsseltrends ab. Die fortschreitende Digitalisierung könnte die Art und Weise, wie Städte funktionieren, grundlegend verändern. Intelligente Technologien sollen die Effizienz von Verkehr, Energieverbrauch und städtischen Dienstleistungen verbessern. Gleichzeitig werden nachhaltige Praktiken und umweltfreundliche Infrastrukturen eine zunehmend wichtige Rolle spielen, um den ökologischen Fußabdruck von Städten zu minimieren.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die soziale Entwicklung der Urbanität. Städte werden weiterhin Schnittpunkte von kulturell unterschiedlichen menschlichen Lebensweisen sein, und die Förderung von sozialer Integration und Gleichberechtigung wird entscheidend sein, um eine inklusive und weitgehend konfliktfreie Stadt zu schaffen. Gemeinschaftsprojekte, öffentliche Räume und kulturelle Veranstaltungen sollen dazu beitragen, das soziale Gefüge in städtischen Gebieten zu stärken.
Die Zukunft der Städte wird von Innovation, Digitalisierung und sozialer Integration geprägt sein, um lebenswerte, effiziente und umweltfreundliche urbane Räume zu schaffen. Insgesamt steht die Entwicklung der Urbanität vor der Herausforderung, eine ausgewogene Balance zwischen Fortschritt und Nachhaltigkeit zu finden. Diese Balance wollen wir diskutieren mit Wissenschaftler*innen und Fachleuten aus Anthropologie, Architektur, Humangeographie, Medizin, Neurowissenschaften, Philosophie, Stadt- und Verkehrsplanung sowie Umweltwissenschaften.
Einführungsvideo zur Vorlesungsreihe:
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Prof. Dr. Frauke Kraas
Professorin für Anthropogeographie, Geographisches Institut, Universität zu Köln
Megastädte Asiens im Transformationsprozess:
Klimawandel, Kulturerbe und urbane Gesundheit
Montag · 22. April 2024 · 19:00 Uhr (!) · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
Die Megastädte Asiens unterliegen tiefgreifenden Transformationsprozessen, die durch das Ineinandergreifen globaler Entwicklungen wie lokaler Gegebenheiten verstärkt werden. Drei recht unterschiedliche Herausforderungen werden anhand von Stadtbeispielen beleuchtet: die mehrdimensionalen Auswirkungen des Klimawandels, zentrale Fragen des Erhalts von urbanem Kulturerbe und zunehmende Probleme urbaner Gesundheit. Dabei wird deutlich, wie eng die Herausforderungen miteinander verbunden sind und wie über transformative Handlungsfelder co-benefits und Lösungswege erarbeitet werden können.
Frauke Kraas ist Professorin für Stadt- und Sozialgeographie am Institut für Geographie der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der (Mega)Stadt-, Transformations-, urbanen Risiko- und Gesundheits- sowie Kulturerbeforschung. Regional konzentrieren sich die Forschungen auf Südostasien (Myanmar, Thailand, Vietnam, Indonesien) und Indien. Sie leitet das "ForUm – Forum for Urban Future in Southeast Asia".
Dr.-Ing. Björn Hekmati
Stadtforscher und Regionalberater, Leiter des Zentrums Baukultur Rheinland-Pfalz
Aktuelle Leitbilder und Trends europäischer Stadtentwicklung aus Mainzer Perspektive
Montag · 29. April 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
Die Entwicklung und Zukunft der Urbanität ist in ständiger Aushandlung begriffen. Derzeit stehen wir mit dem Klimawandel und diversen "Wenden" hinsichtlich Energie, Mobilität, Wohnen, Bauen und Wirtschaft, aber auch mit den Herausforderungen an unsere Demokratie vor großen Herausforderungen, die zügige Transformationen städtischer Räume und Infrastrukturen erfordern. Doch gerade unter dem gegebenen Handlungsdruck ist es erforderlich, auf breiter gesellschaftlicher Basis den Diskurs über wünschenswerte Zukunftsbilder von Städten zu führen. Erst unter einem demokratisch legitimierten Leitbild für die Stadt können Einzelmaßnahmen sinnvoll koordiniert werden und letztlich im Zusammenspiel ihre volle Wirkung entfalten. Hier lohnt der Blick über den Tellerrand – einige Städte im europäischen Ausland haben sich bereits auf diesen Weg gemacht und befinden sich in vielversprechenden Transformationsprozessen. Wie wir von solchen Beispielen in Mainz profitieren könnten, soll in Vortrag und Diskussion in den Blick genommen werden.
Dr.-Ing. Björn Hekmati (geb.1976) leitet das Zentrum Baukultur RLP in Mainz und lehrte Städtebau an verschiedenen Hochschulen der Region. Zuvor forschte und lehrte er an der Technischen Universität Darmstadt zu den Schwerpunktthemen Mobilität und nachhaltiger Siedlungs- und Stadtentwicklung. Freiberuflich berät er Städte und Gemeinden in Fragen von Stadtentwicklung und Leitbildprozessen. Zudem betreibt der bekennende Multilokalist mit Wohnsitzen in Mainz und in einem kleinen Weiler im Donnersbergkreis (Rheinland-Pfalz) die Longboard-Manufaktur OLSON&HEKMATI sowie eine klimaadaptive Landwirtschaft.
Prof. Dipl.-Ing. Christa Reicher
Stadtplanerin und Architektin, Inhaberin des Lehrstuhls für Städtebau und Entwerfen, Leiterin des Instituts für Städtebau und Europäische Urbanistik, RWTH Aachen University
Vom Ende der Innenstadt, wie wir sie kannten
Montag · 6. Mai 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
Über Jahrzehnte haben wir unsere Innenstädte monofunktional überformt und dem Einzelhandel Vorfahrt eingeräumt. Die Problematik der uniformen Ausrichtung vieler Stadtzentren ist schon seit Jahren ein Thema, weil der gesamte Wirtschaftsbereich "Einzelhandel" durch den rasant zunehmenden Online-Handel dramatische Umbrüche und Wandlungen erfahren hat. Die Corona-Pandemie hat als Beschleuniger gewirkt und zu regelrechten Kettenreaktionen von leerstehenden Handelsimmobilien geführt.
Der Wandel im Handeln, der zunehmende Leerstand von Kaufhäusern und die sinkende Nachfrage nach innenstadttypischen Flächen kündigen einen längst überfälligen Perspektivwechsel an. Die Krise hat nicht erst 2024 mit der Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof, Deutschlands letzter großen Warenhauskette, zu Leerstand in großen Handelsbauten geführt. Durch veränderte Fußgängerströme sind Schneeballeffekte des Leerstandes befördert und die Innenstadt als urbane Mitte der Stadt in Frage gestellt worden. Dass die Innenstadt zu einem Problemfall geworden ist und als Patient*in eine Therapie erfordert, scheint unumstritten.
Mit der Zukunft der Innenstadt beschäftigen sich jede Menge Institutionen, Forschungsprojekte und Förderprogramme. Die Diagnosen kommen überwiegend zu der Erkenntnis, dass eine regelrechte "Neuerfindung" der Innenstadt längst überfällig ist. Dabei scheinen stadtindividuelle Konzepte immer wichtiger zu werden, die den Fokus auf die spezifischen Begabungen von innerstädtischen Quartieren richten und die ehemaligen Magneten des Handels als neue ökonomische und soziale Möglichkeitsräume betrachten.
Christa Reicher ist seit Oktober 2018 Inhaberin des Lehrstuhls für Städtebau und Entwerfen, Direktorin des Instituts für Städtebau und Europäische Urbanistik an der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen University. Seit 2023 hat sie den UNESCO Chair "Cultural Heritage and Urbanism" inne. Zuvor, von 2002 bis 2018, war sie Professorin und Leiterin des Fachgebietes Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung an der Fakultät Raumplanung der Technischen Universität Dortmund. Sie ist Mitglied des IBA-Expertenrates des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen sowie Co-Vorsitzende der Kommission Nachhaltiges Bauen (KNBau) des Umweltbundesamtes. 1993 gründete sie das Planungsbüro RHA REICHER HAASE ASSOZIIERTE mit Sitz in Aachen und Dortmund, das international tätig ist. 2022 ist sie vom Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V. (DAI) mit dem Großen Preis für Baukultur ausgezeichnet worden.
Dr. Elisabeth Oberzaucher
Dozentin, Department für Evolutionäre Anthropologie, Universität Wien · Wissenschaftliche Direktorin, Forschungsinstitut Urban Human, Wien
Homo urbanus – zukunftsfitte Stadtplanung aus evolutionsbiologischer Sicht
Montag · 13. Mai 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
Urbanisierung ist eines der zentralen Mittel, um den Herausforderungen der Klimakrise zu begegnen. Deshalb ist es essentiell, die Lebensqualität in Städten zu steigern, um das urbane Leben gegenüber dem Speckgürtel(alb)traum aufzuwerten. Ein Blick in die Evolutionsgeschichte von Homo sapiens schafft die Wissensgrundlage zu allgemeinen Bedürfnissen der Menschen und zeigt Lösungen auf, wie Städte zu lebenswerten Orten werden. Stadtplanung mit Fokus auf die Menschen schafft Orte, an denen biologische, psychologische, soziale und ökonomische Bedürfnisse auf einen fruchtbaren Boden treffen. Die Übersetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in praktische Lösungen erfordert ein disziplinenübergreifendes Zusammenarbeiten und ein Beschreiten neuer Wege.
Elisabeth Oberzaucher studierte Zoologie an den Universitäten Wien und Würzburg. Sie promovierte in Anthropologie mit Spezialisierung auf das menschliche Verhalten. Forschungsschwerpunkte: Mensch-Umwelt-Interaktionen, nonverbale Kommunikation sowie evolutionäre Gender Studies. Die evolutionären Rahmenbedingungen, die zur Entwicklung von menschlich universalen, geschlechtstypischen sowie individuell unterschiedlichen Mustern in Wahrnehmung, Kognition und Verhalten geführt haben, stellen das Gerüst für ihre Forschungsaktivitäten dar. 2016–17 Professorin für Gleichstellung, Adaptivität und Vielfalt. Sie lehrt an der Universität Wien, der Technischen Universität Wien und der Universität für Angewandte Kunst in Wien, ist wissenschaftliche Direktorin des Forschungsinstitutes Urban Human, Präsidentin der International Society for Human Ethology und Mitglied der Science Busters. Seit 2019 Mitglied des Beirats der Seestadt Aspern. Ihr Buch "Homo urbanus, ein evolutionsbiologischer Blick in die Zukunft der Städte" wurde als Wissenschaftsbuch des Jahres 2018 nominiert. www.oberzaucher.eu
Prof. Dr.-Ing. Bernhard Friedrich
Leiter des Instituts für Verkehr und Stadtbauwesen, Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften, Technische Universität Braunschweig
Verkehr und öffentlicher Stadtraum –
Funktion vs. Aufenthalt
Montag · 27. Mai 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
Ausgehend von sozial und hygienisch schwierigsten Verhältnissen in den Städten des beginnenden 20. Jahrhunderts hat die Charta von Athen ein neues Planungsparadigma für die Stadtentwicklung gesetzt, das in Verbindung mit der einsetzenden Massenmotorisierung nach dem zweiten Weltkrieg zu einem autogerechten Wiederaufbau bzw. Umbau der Innenstädte und der autogerechten Anlage neuer Siedlungsstrukturen führte. Mit diesem Planungsparadigma manifestierten sich die Verkehrsordnung und das damit verbundene Regelwerk der Verkehrsplanung. Es manifestierten sich damit auch Lebensgewohnheiten der Menschen, die sich in ihren Entscheidungen auf die Möglichkeiten des motorisierten Individualverkehrs einstellten. Der in den 1960er Jahren aufkommenden Gewissheit, dass die autogerechte Stadt nicht die Mobilitätsanforderungen befriedigen kann und zu sozialen Verwerfungen führt, wurde mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs begegnet, ohne den Raum für den Autoverkehr zu begrenzen. Der damit entstandene verkehrsgerechte Ausbau der Städte prägt heute vielerorts den öffentlichen Raum, ohne Aufenthaltsqualitäten zu bieten. In Verbindung mit leer fallenden (zu) großen Einzelhandelsflächen haben Stadträume die Attraktivität zum Besuch verloren und drohen mehr und mehr zu veröden. Eine Verkehrswende kann einen Beitrag zur Re-Vitalisierung der Städte bringen, darf aber nicht losgelöst von der Stadtplanung gedacht werden. Gemeinsam mit der Stadtplanung bietet die funktionale Neuordnung des öffentlichen Raums attraktive Perspektiven für die zukünftige Rolle der (Innen-)Städte.
Bernhard Friedrich ist seit 2007 Leiter des Instituts für Verkehr und Stadtbauwesen an der Technischen Universität Braunschweig. Von 2000 bis 2007 war er Professor an der Leibniz Universität Hannover und leitete dort das Institut für Verkehrswirtschaft, Straßenwesen und Städtebau. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften acatech und der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft. In der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. engagiert er sich seit mehr als 30 Jahren für die Weiterentwicklung des Regelwerks der Verkehrsplanung. 1995 war er Co-Gründer des Planungsbüros TRANSVER in München, das er bis 2017 leitete. Seit 2020 engagiert er sich als Co-Gründer der mouver GmbH – mobilität und verkehr.
Prof. Dr. Susanne Moebus
Biologin und Epidemiologin, Leiterin des Instituts für Urban Public Health, Universitätsklinikum Essen
Gesundheitsressource Stadt:
Lebendige und lebenswerte urbane Räume
Montag · 3. Juni 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
In unserer globalisierten Welt, geprägt von sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Ungleichheit, wird die Verbindung zwischen Stadt und Gesundheit immer deutlicher. Insbesondere für benachteiligte Menschen steigt das Risiko für höhere Krankheitslasten. Eine nachhaltige Entwicklung ist entscheidend für die Gesundheit der Bevölkerung. Allerdings ist auch eine gesunde Bevölkerung Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung, u.a. durch die Steigerung der Resilienz unserer Krankheits- und Sozialsysteme.
Aktuelle und zukünftige Probleme der Menschheit müssen in Städten gelöst werden. Das erfordert nicht nur eine Perspektive auf die Risiken einer Stadt, sondern insbesondere auf deren vielfältigen gesundheitlichen Ressourcen. Der Vortrag erkundet, wie Städte zu gesunden und attraktiven Lebensräumen werden können unter Berücksichtigung des Primats der Nachhaltigkeit und des Klimawandels. Dabei geht es nicht nur um die Planung von Grünflächen oder die Förderung nachhaltiger Mobilität, sondern auch um eine ganzheitliche Betrachtung von Gesundheit in urbanen Räumen.
Susanne Moebus leitet das 2020 von ihr gegründete Institut für Urban Public Health der Universitätsmedizin Essen. Sie ist promovierte Biologin und hat einen Master in Public Health. Zuvor war sie stellvertretende Direktorin und Leiterin des Zentrums für Urbane Epidemiologie am Institut für Med. Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, wo sie u.a. die Heinz Nixdorf Recall Kohortenstudie koordinierte.
Susanne Moebus ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte. Aktuell ist sie u.a. als Co-Vorsitzende im ExpertInnenrat Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung tätig sowie im Beirat des Bundesinstituts für Risikobewertung, der Kommission Gesundheitsmonitoring am RKI oder auch im Use&Access Komitee sowie der Expertengruppe Umwelt der NAKO Gesundheitsstudie. Zudem war sie Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention.
Mit ihrem Forschungsteam untersucht sie die Zusammenhänge zwischen der urbanen Geräuschkulisse und Gesundheit oder auch den Nutzen von Abwasser als innovative Informationsquelle für eine kleinräumige Gesundheitsberichterstattung. Ein zentraler Leitgedanke ist die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen von Nachhaltigkeit und Klimawandel.
Prof. Dr.-Ing. Detlef Kurth
Inhaber des Lehrstuhls für Stadtplanung, Fachbereich Raum- und Umweltplanung, Rheinland-Pfälzische Technische Universität (RPTU) Kaiserslautern-Landau
Die Zukunft der resilienten Stadt
Montag · 10. Juni 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
Die Städte Europas stehen vor großen Herausforderungen: Klimawandel, demographischer Wandel, Strukturwandel, Pandemien und seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zunehmende Attacken auf die Sicherheit und Infrastruktur. Die Idee der "Europäischen Stadt" nach der Leipzig-Charta der Europäischen Union als Ort der sozialen und funktionalen Mischung sowie des Gemeinwohls steht unter Druck. Die Bundesregierung hat 2021 das Memorandum "Urbane Resilienz" verabschiedet, mit dem Dreiklang aus Robustheit, Anpassung und Transformation. Die Stadt der Zukunft muss präventiv auf Krisen vorbereitet sein, sie muss widerstandsfähig sein und sie muss im Sinne einer nachhaltigen und klimaneutralen Stadtentwicklung umgestaltet werden. Zugleich müssen die Städte angesichts des Klimawandels grüner, blauer, grauer und weißer werden – insbesondere im öffentlichen Raum, in der Mobilität und der Bestandserneuerung sind weitreichende Umgestaltungen erforderlich. Außerdem müssen Fragen wie der Schutz kritischer Infrastruktur, die digitale Sicherheit und die Versorgungssicherheit völlig neu gedacht werden. Die Frage ist, ob dies mit dem bisherigen Modell der Europäischen Stadt möglich ist.
Prof. Dr. Detlef Kurth leitet seit 2017 den Lehrstuhl Stadtplanung an der RPTU Kaiserslautern-Landau im Fachbereich Raum- und Umweltplanung. Er ist eingetragener Stadtplaner in der Architektenkammer Baden-Württemberg und Mitglied in SRL (Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung) und DASL (Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung). Er hat 1992 ein Diplom für Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin erworben. 1992–1997 war er Mitarbeiter bei der Planergemeinschaft Dubach, Kohlbrenner Berlin und verantwortlich für Projekte der Stadtentwicklung, des Städtebaus und der Stadterneuerung in Berlin-Brandenburg. 1997–2003 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät Raumplanung, TU Dortmund, bei Prof. Peter Zlonicky und Prof. Christa Reicher und promovierte dort. Von 2003–2017 war er Professor für Städtebau und Stadtplanung an der Fakultät Architektur und Gestaltung der Hochschule für Technik Stuttgart. Er ist Mitglied in verschiedenen Beiräten des Bundes sowie von Kommunen zu Fragen der integrierten Stadtentwicklung und des resilienten Stadtumbaus. Außerdem koordiniert er Projekte von DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) und GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) zum resilienten Wiederaufbau in der Ukraine.
Dr. Joerg Fingerhut
Leiter des "Arts and Minds Lab", Berlin School of Mind and Brain, Institut für Philosophie, und Wissenschaftlicher Direktor der "Forschungsplattform Neurourbanistik" (RPN), Humboldt-Universität zu Berlin
Deine Emotionale Stadt!
Auf dem Weg zu einer Philosophie der Neurourbanistik
Montag · 17. Juni 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
→ Vortragsaufzeichnung
Städte wachsen, und zwar weltweit. Gleichzeitig zeigen Studien, dass Menschen in Städten häufiger an psychischen Erkrankungen leiden und häufiger gestresst und einsam sind. Das neue Forschungsfeld der Neurourbanistik befasst sich damit, wie städtische Umgebungen unser psychisches Wohlbefinden beeinflussen und wie wir unsere Städte lebenswerter machen können.
In dem Talk werden die philosophisch-kognitionswissenschaftlichen Grundlagen für dieses neue Forschungsfeld der Neurourbanistik erschlossen. Dies verlangt die Einbeziehung zusätzlicher und bisher vernachlässigter Faktoren wie der ästhetischen Beurteilung der Umwelt und der Rolle der Emotionen, aber auch die Einbettung in das Forschungsparadigma der 4E (embodied, embedded, extended, enactive) Kognition. Es werden Pilotdaten eines Citizen Science Projektes "Deine Emotionale Stadt" vorgestellt, das im Rahmen der "Forschungsplattform Neurourbanistik" (RPN) in Berlin durchgeführt wird. Erste Ergebnisse zeigen unter anderem die Relevanz von Faktoren wie Schönheit und Interessantheit für unser Wohlbefinden.
Dr. phil. Joerg Fingerhut ist ein experimentell arbeitender Philosoph. Er leitet das "Arts and Minds Lab" an der Berlin School of Mind and Brain, Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, an der er ab diesem Jahr eine Gastprofessur für Philosophie des Geistes und Ästhetik innehaben wird. In seinem Lab vereint er Forschungen zu Neurourbanistik und Architektur mit der Entwicklung einer Theorie des kulturell-vermittelten Geistes. An der HU Berlin ist er zudem wissenschaftlicher Direktor der "Forschungsplattform Neurourbanistik" (RPN), einem interdisziplinären Verbundprojekt zur Erforschung der Wirkung von urbanen Räumen auf unsere mentale Gesundheit. https://www.joergfingerhut.com
Prof. Dr. Anke Strüver
Professorin für Humangeographie, Institut für Geographie und Raumforschung, Leiterin des Regional Centre of Expertise – Zentrum für nachhaltige Gesellschaftstransformation, Universität Graz
Smart Cities – Soziale Gerechtigkeit und Stadtentwicklung
Montag · 24. Juni 2024 · 18:15 Uhr · online (!)
→ Vortragsaufzeichnung
Digitale Technologien werden zunehmend eingesetzt, um eine Vielzahl städtischer Herausforderungen zu bewältigen – vor allem im Bereich der Nachhaltigkeit. Unter den Labeln "Smart City" und "Digitale Stadt" bergen diese Entwicklungen allerdings das Risiko, dass sich smartness auf technologische Innovationen beschränkt und soziale wie ökologische Transformationen sowie sozialräumliche Gerechtigkeitsfragen unberücksichtigt bleiben.
Dieser Vortrag diskutiert die dominanten Smart City-Narrative in Europa, die primär auf die Verbesserung von Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Effizienz als Lebensqualität steigernde Elemente ausgerichtet sind und Fragen der lokalen und damit kontextspezifischen Raum- und Gesellschaftsproduktionen als Teil der Stadtentwicklung nur eingeschränkt Aufmerksamkeit zukommen lässt. Neben dieser Kritik wird der Plattformurbanismus anhand alltagsnaher Beispiele der ortsgebundenen Sorge- und Versorgungsinfrastruktur (in) der digitalen Stadt diskutiert.
Prof. Dr. Anke Strüver ist Professorin für Humangeographie mit Schwerpunkt Stadtforschung an der Universität Graz und forscht zu urbanem Alltagsleben mit Schwerpunkt Subjektivierungs- und Verkörperungsprozesse entlang der Themen Gesundheit, Bewegung, Ernährung und Digitalisierung. Neben ihrer Arbeitsgruppe urban HEAP (urban health and everyday activities take place) leitet sie das RCE (Regional Centre of Expertise) Graz-Styria – Zentrum für nachhaltige Gesellschaftstransformation, dessen Projekte sich alle auf die Verknüpfung von sozialer Gerechtigkeit mit ökologischer Nachhaltigkeit stützen.
Prof. Dr. Mazda Adli
Chefarzt Fliedner Klinik Berlin, Leiter des Forschungsbereichs Affektive Erkrankungen und Leiter der Arbeitsgruppen "Affektive Störungen" und "Neurourbanistik", Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte, Berlin
Stress and the City:
Ein Blick in die Welt der Neurourbanistik
Montag · 1. Juli 2024 · 18:15 Uhr · online (!)
→ Vortragsaufzeichnung
Die Vorlesungsreihe "Stadt[t]räume. Entwicklung und Zukunft der Urbanität" ist öffentlich und richtet sich an alle Interessierten. Die Vorträge finden in der Regel als Präsenzveranstaltungen im Hörsaal N 1 in der "Muschel", Johann Joachim-Becher-Weg 23, statt.
Aufzeichnung:
Die Beiträge werden (vorbehaltlich der Zustimmung der Vortragenden) auch aufgezeichnet und sollen allen Interessierten auch nachträglich zugänglich sein. Einen Livestream gibt es bei den Präsenzveranstaltungen nicht. Die Links zu den Aufzeichnungen werden in der Regel einen Tag nach der Veranstaltung auf dieser Seite veröffentlicht.
Ausnahme: Die Veranstaltung am 01.07.2024 findet rein online statt. Dieser Vortrag wird live gestreamt und auch aufgezeichnet.
Einfahrt auf den Campus:
Für Gäste gibt es ein Freikontingent von 30 Stunden pro Jahr für die Einfahrt mit dem PKW auf den Campus. Anhand der Kennzeichenerkennung bei Ein- und Ausfahrt wird die Verweildauer auf dem Campus automatisch ermittelt und abgerechnet. Mehr erfahren
Bildnachweis:
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