Gastvorträge
Prof. Miłosława Borzyszkowska-Szewczyk
(Universität Gdańsk)
Spiel mit dem 'Gegen-Gedächtnis' im Grenzraum.
Danzig und die Kaschubei im Lebenswerk von Günter Grass
Montag, 13. Mai 2024, 16:00 Uhr, online
Spiel mit dem ‘Gegen-Gedächtnis’ im Grenzraum.
Danzig und die Kaschubei im Lebenswerk von Günter Grass
Literatur kann man als soziokulturelles Barometer, Frühwarnsystem oder Rhizom von Zukunftsnarrativen behandeln. Günter Grass (1927–2015) brachte mit seinem explosiven Debütroman "Die Blechtrommel" (1959) nicht nur die deutsche Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg zurück auf die Weltbühne, sondern führte auch seine Heimatstadt und die Kaschubei in die Weltliteratur ein. Er entwarf einen Weltausschnitt, der für eine ganze Welt steht, und es gelang ihm dabei, nicht nur zu Weltruhm zu kommen, sondern auch das Danziger Lokale zum Universalen zu erheben.
Was für einen literarischen Stadtmythos der "Meister sprachlicher Gestaltung" in seinen "Danziger" Texten entworfen, mit welchen Geschichten er subversiverweise den Raum gesättigt hat, wie und wofür, darauf möchte die Literaturwissenschaftlerin in ihrem Vortrag eingehen. Aus dem Danziger Blickwinkel das vielseitige Lebenswerk des deutschen Literaturnobelpreisträgers deutend, wird sie zugleich die Resonanz seines Schaffens vor Ort erörtern. Die Frage ist also, wie Grass‘ Œuvre zu Dialogen und emanzipatorischen Prozessen einer Stadt im kulturellen deutsch-polnischen Grenzraum, die nach 1945 weitgehend vom "Bevölkerungsaustausch" betroffen war, beitrug.
Foto: © Andrzej Szewczyk
Miłosława Borzyszkowska-Szewczyk − Professorin am Lehrstuhl für deutschsprachige Literatur und Kultur im Institut für deutsche Philologie der Universität Gdańsk, Literaturwissenschaftlerin und Germanistin, Leiterin der Arbeitsstelle zur Erforschung von Narrativen in Grenzräumen. Sie studierte Germanistik und Kulturwissenschaften in Krakau, Leipzig und Danzig, war u. a. Stipendiatin am Promotionskolleg Ost-West der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Literatur, Identität, Erinnerungskultur und Landschaft in kulturellen Grenzräumen. Im Wintersemester 2018/19 war sie Gastprofessorin in der Johannes Gutenberg Universität in Mainz (Kulturanthropologie/Volkskunde), wo sie im Rahmen der Gastprofessur Schwerpunkt Polen das Master-Projekt "Geschichte und Revitalisierung der kaschubischen Kultur" mit Dr. Oliwia Murawska mitkoordinierte. Seit 2017 Vorsitzende der Günter Grass Gesellschaft in Gdańsk.
Letzte Veröffentlichungen:
Nachbeben einer Zäsur in der interkulturellen Literatur und Kulturpraxis. Formationserlebnisse einer Umbruchsgeneration (Vandenhoeck & Ruprecht 2023, hg. mit Eliza Szymańska).
Walking with Günter Grass. A Literary Mapping of the City (Instytut Kaszubski 2022, hg. mit Marta Turska),
Gedächtnistopografien in Grenzräumen. Das Pommernland, Danzig und das Rheinland als trilaterale Kulturregionen (fibre 2022, Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, hg. mit Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande, Eliza Szymańska);
Adel im Grenzraum: Transkulturelle Verflechtungen im Preußenland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert (Peter Lang 2021, hg. mit Sabine Jagodzinski und Miloš Řezník),
»Zmiennymi kluczami«. Literatura a doświadczanie. W setną rocznicę urodzin Paula Celana (Instytut Kaszubski 2021, Hg.), Jüdische Gedächtnistopographien im Grenzraum.
Autobiographik nach 1945 von Autoren jüdischer Herkunft aus dem Pommernland (Pommerellen und Hinterpommern) (Wydawnictwo Uniwersytetu Gdańskiego 2019),
Zwischen Eigen und Fremd. Stimmungsbilder der Kaschubei / Pomiędzy swojskością a obcością. Obrazowanie nastroju Kaszub, Gdańsk: Instytut Kaszubski 2019 (hg. mit Oliwia Murawska).
Prof. Dr. Joanna Niżyńska
(Indiana University)
Disorientation:
The Memory of Jews and the Holocaust in Poland after 1968
Montag, 27. Mai 2024, 16:00 Uhr, online
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Disorientation: The Memory of Jews and the Holocaust in Poland after 1968
In my presentation, I will explore the notions I coined for my research about the memory of Jews and the Holocaust in contemporary Poland, namely that of "disorientation" and "disorienting memory." I want to propose that Polish culture after the post-1968 was engaged in producing the "disoriented subject" regarding the Polish-Jewish past, including the memory of the Holocaust. The 1968 antisemitic campaign resulted in the liquidation of Jewish spaces and cultural presence in the landscape of Poland.
For the Jewish minority, it involved a significant emigration (in comparison to how many Jews still lived in Poland) and, for those who stayed, closeting themselves as Jews. For the Polish majority, at least three things happened: non-Jewish Poles lost opportunities to see their everyday space marked as Jewish; with the Jewish Poles closeting themselves, there were even fewer opportunities to interact with members of the Jewish minority (e.g., school friends); after the antisemitic campaign, the word "Jewish" disappeared from public discourse becoming distant and abstract. The official communist culture cut the natural ties of Jewish culture to Polish culture, and the historical and memorial policies aimed at blurring the differences between the wartime and postwar Polish and Jewish experience and homogenization of the identities had long-lasting consequences. It accelerated a culture of disorientation, as I call it, which greatly affected the way the Polish-Jewish past and the Holocaust were remembered among the Poles brought up between 1968 and at least 2000. I will analyze these modes and tools of disorientation by examining specific cases of the history and literature textbooks, commemorative culture, and interviews with Poles about their awareness of the Holocaust.
Foto: © Andrzej Szewczyk
Prof. Dr. Joanna Niżyńska – Ich nähere mich dem Gebiet der Polonistik aus einer vergleichenden Perspektive und betreibe Forschung, die disziplinäre und nationale Grenzen überschreitet. In meiner ersten Monografie, The Kingdom of Insignificance: Miron Białoszewski, and the Quotidian, the Traumatic, and the Queer (Northwestern UP, 2013; polnische Übersetzung Królestwo małoznaczącości: Miron Białoszewski a trauma, codzienność i queer, Universitas 2018), untersuchte ich die Einschreibung traumatischer Spuren in den Alltag und die Geschlechtsidentität. Kingdom of Insignificance war das erste Buch über Miron Białoszewski, das in den USA veröffentlicht wurde, und die Arbeit daran machte mir die Herausforderungen bewusst, vor denen Wissenschaftler stehen, die die Kluft zwischen weniger bekannten Kulturen und den Erwartungen eines englischsprachigen Publikums überbrücken müssen. Meine Monografie schaffte dies durch die "Lingua franca" theoretischer Rahmen (Trauma-, Queer- und Alltagsstudien), deren Verwendung wiederum eine Erkundung dessen erforderte, was passiert, wenn eine in einem kulturellen Kontext formulierte Theorie in einen anderen verpflanzt wird. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse haben mich bei meiner redaktionellen Arbeit an Being Poland geleitet: A New History of Polish Literature and Culture since 1918, einem 800 Seiten starken interdisziplinären Band mit 60 Beiträgen von einem Team internationaler Wissenschaftler, der sich an ein englischsprachiges Publikum richtet. Mein aktuelles Buchprojekt untersucht das kulturelle Gedächtnis des heutigen Polen aus der Perspektive der lang anhaltenden Spuren der kommunistischen Erinnerungspolitik, insbesondere in Bezug auf die polnisch-jüdische Vergangenheit.Es baut auf meinen früheren Projekten zum Thema Trauma und Erinnerung auf und profitiert gleichzeitig von einem gewonnenen Bewusstsein für meine eigene kulturelle Positionierung und die meines Publikums.
Prof. Dr. Marek Łaziński
Universität Warschau
Das neue Korpus des zeitgenössischen Polnischen und die Schlüsselwörter der letzten Jahre
Montag, 17. Juni 2024, 16:00 Uhr, online
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Das neue Korpus des zeitgenössischen Polnischen und die Schlüsselwörter der letzten Jahre
In der Vorlesung werden die wichtigsten Veränderungen in der polnischen Sprache der letzten 30 Jahre diskutiert: Feminitiva und Neutrativa, Gruppennamen, die sich im Geiste der inklusiven Sprache verändern, die Tendenz zu analytischen Formen in der Grammatik und schließlich die jüngsten Änderungen in der Rechtschreibung (die größten Änderungen seit 100 Jahren im Mai 2024). Die materielle Grundlage für die Forschung und die Vorlesung bildet das neueste Korpus des zeitgenössischen Polnischen aus den Jahren 2010–2020, das erst seit dem Jahr 2024 verfügbar ist: kwjp.ipipan.waw.pl.
Foto: © privat
Prof. Dr. Marek Łaziński ist Dokumentalist am Institut für Polnische Sprache der Universität Warschau, Gastprofessor an den Universitäten in Berlin und Mainz, Mitorganisator der Wettbewerbe "Wort des Jahres" und "Jugendwort des Jahres", Mitautor polnischer Sprachkorpora sowie Mitglied des Polnischen Sprachrates, des Ausschusses für Linguistik und des Ausschusses für Slawistik der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Er forscht zu grammatischen Kategorien im Polnischen, einschließlich Verbaspekt und Substantivgenus, und deren psychologischen Interpretationen in einem vergleichenden Ansatz.
Prof. Dr. Monika Bednarczuk
Lehrstuhl für Vergleichende Forschung und Editionswissenschaft, Fakultät für Philologie, Universität Bialystok, Polen
Von Telepathie bis New Age im kommunistischen Polen:
Parapsychologie und Esoterik im Spannungsfeld zwischen Geheimdienst, Zensur, Wissenschaft und Öffentlichkeit
Montag, 24. Juni 2024, 16:00 Uhr, online
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Von Telepathie bis New Age im kommunistischen Polen: Parapsychologie und Esoterik im Spannungsfeld zwischen Geheimdienst, Zensur, Wissenschaft und Öffentlichkeit
1946–1947 veröffentlichte Stefan Manczarski, ein Ingenieur und späterer Professor an der Polnischen Akademie der Wissenschaften, in der Fachzeitschrift Przegląd Telekomunikacyjny die Ergebnisse seiner Forschung zur Telepathie. 1948 warben Plakaten in Poznań für eine große Revue eines Zauberers und Hypnotiseurs namens Bosco. In den folgenden Jahren wurden solche Themen zwar zensiert, und manche Mitglieder esoterischer Gruppen verhaftet. Ab den späten 1950er Jahren wuchs aber das Interesse an der Parapsychologie und an verschiedenen esoterischen Ideen und Praktiken. Dies äußerte sich zunächst in Presseveröffentlichungen, in den 1970er Jahren wurden jedoch die ersten Vereine für Radiästhesie und Astrologie gegründet; und die 1980er Jahre standen im Zeichen des New Age, auch wenn der Begriff selten verwendet wurde. Zu dieser Zeit gab die esoterische Community ihre eigenen Zeitschriften heraus und war in der Öffentlichkeit sehr präsent.
Der Vortrag wird die wichtigsten Kontexte und Entwicklungsphasen des esoterischen Milieus in der Volksrepublik Polen aufzeigen. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf die Aktivitäten der Behörden (Geheimpolizei und Zensur), die Beziehungen dieses Milieus zur akademischen Welt und zu Kulturschaffenden, sowie die Legitimationsstrategien.
Prof. Dr. Monika Bednarczuk (Universität Bialystok) ist Literaturwissenschaftlerin. Sie hat zum Bild des spanischen Bürgerkrieges (1936–1939) in der polnischen Literatur (2005) promoviert und mit einer Arbeit zur Literatur und Publizistik rechter Autorinnen im Zwischenkriegspolen habilitiert (2015). Zu ihren Schwerpunkten gehören auch Egodokumente von Frauen, polnische Reiseliteratur, Wissens- und Kulturtransfer im frühen 19. Jh sowie westliche Esoterik im kommunistischen Polen. Das letztgenannte Thema steht im Mittelpunkt eines vom Polnischen Nationalen Forschungszentrum geförderten Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse sie während des Vortrags präsentieren wird. (https://orcid.org/0000-0003-3490-3446)
Weitere Informationen und Kontakt:
Dr. Camill Bartsch
Arbeitsbereich Polnisch, FTSK, JGU Mainz
E-Mail: bartsch@uni-mainz.de
Internet: https://polnisch.fb06.uni-mainz.de/bartsch/ und https://www.slavistik.uni-mainz.de/mainzer-polonicum/