Öffentliche Online-Vorlesungsreihe – Wintersemester 2023/2024

 
Interdisziplinäre Vorlesungsreihe – online

Wem gehören kulturelle Güter? Kulturerbe, Aneignung, Austausch

Unser kulturelles Erbe, basierend auf menschlichem Erinnern, Erzählen, Erfinden, repräsentiert den Reichtum an Wissen, Praktiken, Ausdrucksformen und materiellen Arte­­fakten, der von vergangenen Generationen geschaffen wurde und der unsere Lebens- und Denkweisen und unsere Identitäten prägt. Wer aber sind die Erben? Wem gehören kulturelle Güter in einer globalisierten Welt? Welche Chancen bietet die Idee eines weltweiten gemeinsamen kulturellen Erbes?

Aktuelle Provenienz-Forschungen und Restitutionsdebatten weisen auch auf die aus der Geschichte erwachsene Rolle und besondere Verantwortung Europas hin. Es gilt, den Begriff der Kulturaneignung, der sich auf die Übernahme, Veränderung und Anpassung von Elementen aus anderen Kulturen bezieht, kritisch zu hinterfragen und die Machtverhältnisse und sozialen Kontexte, in denen Aneignung stattfindet, zu berücksichtigen, Kolonialismus und Identitätspolitik einzubeziehen.

Kulturaustausch kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden, sei es durch Migration, Kolonialisierung, Globalisierung, bewusste Übernahme oder technologischen Fortschritt. Dabei werden nicht nur Objekte und Praktiken übertragen, sondern auch Werte, Ideen und Vorstellungen. Forschungen zu den komplexen Austausch- und Transferprozessen zeigen die Dynamik zwischen Kulturen und Kulturräumen und nicht zuletzt die Auswirkungen auf individuelle, kulturelle und kollektive Identitäten auf.

In unserer Vorlesungsreihe möchten wir mit Beiträgen aus verschiedenen Fachdisziplinen wie Kunstgeschichte, Empirische Kulturwissenschaften, Kulturanthropologie, Rechtswissenschaft, Geschichte, Philosophie und Ethnologie die be​sonderen Herausforderungen diskutieren, die mit dem Schutz und der Pflege des Kulturerbes, mit Problemen der Kulturaneignung, des Erwerbs und der Entwendung, mit der Provenienz und der Restitution kultureller Güter einhergehen.


Einführungsvideo zur interdisziplinären Online-Vorlesungsreihe "Wem gehören kulturelle Güter? Kulturerbe, Aneignung, Austausch"

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Prof. Dr. Prof. h. c. mult. Eva-Maria Seng
Inhaberin des Lehrstuhls für Materielles und Immaterielles Kulturerbe, Historisches Institut, Universität Paderborn
Kulturerbe und Glokalisierung
Donnerstag · 16. November 2023 · 18:15 Uhr · online
Vortragsaufzeichnung


Prof. Dr. Barbara Plankensteiner
Direktorin des Museums am Rothenbaum – Kulturen und
Künste der Welt MARKK, Hamburg
Koloniales Erbe und museale Praxis am MARKK
Donnerstag · 23. November 2023 · 18:15 Uhr · online
→ Die Vortragsaufzeichnung ist für angemeldete Studierende im Moodle weiterhin verfügbar.

Das Museum am Rothenbaum befindet sich seit einigen Jahren in einem Prozess der Dekolonisierung und Neupositionierung, der mit der geplanten Neugestaltung der Dauerausstellung und Modernisierung des Museumsgebäudes in eine neue Phase mündet. Ein Überblick über rezente Ausstellungen, Projekte, Aktivitäten und Initiativen der Zusammenarbeit soll diesen Prozess illustrieren. Die Restitution der sogenannten Benin-Bronzen wie auch laufende Provenienzforschungsprojekte spielen hier ebenso eine wichtige Rolle wie das internationale Projekt zur Schaffung der Online-Plattform Digital Benin.

Prof. Dr. Barbara Plankensteiner ist seit 2017 Direktorin des Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK). Mit ihrem Amtsantritt leitete sie einen umfassenden Neupositionierungs- und Dekolonisierungsprozess ein. Ab 2015 war sie Senior Curator for African Art an der Yale University Art Gallery in New Haven und zuvor stellvertretende Direktorin, Chefkuratorin und langjährige Kuratorin der Afrika-Sammlung am Weltmuseum Wien. Sie ist Mitbegründerin der Benin Dialog Gruppe und des Digital Benin Projektes. Sie studierte Sozialanthropologie und Afrikawissenschaften an der Universität Wien.
Publikationen zum Thema (Auswahl): 2023, Barbara Plankensteiner (Hg.) Benin. Geraubte Geschichte (zweite Auflage). Berlin und Hamburg: Hatje Cantz und Museum am Rothenbaum. – 2019, Barbara Plankensteiner (Hg.) The Art of Being a World Culture Museum. Futures and Lifeways of Ethnographic Museums in Contemporary Europe. Bielefeld: Kerber Verlag. – 2010, Barbara Plankensteiner und Nath Mayo Adediran (Hgg.) African Lace. Eine Geschichte des Handels, der Kreativität und der Mode in Nigeria. Wien, Gent: Snoeck. – 2007, Barbara Plankensteiner (Hg.) Benin. Könige und Rituale. Höfische Kunst aus Nigeria. Wien, Gent: Snoeck.


Prof. Dr. Stefanie Michels
Leiterin der Abteilung Globalgeschichte, Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Der Restitutionsfall Akpini (Ghana) –
aus Sicht einer Afrikahistorikerin

Donnerstag · 7. Dezember 2023 · 18:15 Uhr · online
Vortragsaufzeichnung

Das Thema der Rückgabe von Kulturgütern in kolonialen Kontexten wirft historische, politische und moralische Fragen auf. Der Vortrag stellt den Restitutions-Fall aus der Akpini Traditional Area in Kpando (Ghana) vor. Dort wird die Rückgabe ihrer königlichen Insignien aus Deutschland gefordert. Dieser Fall wird in das Feld, in dem er sich entfaltet, eingebettet und die Vielzahl von Interessengruppen, die involviert sind, werden vorgestellt. Eines der rückgeforderten Insignien – ein Kriegshorn – wird in verschiedene historische Kontexte (Ashanti-Kriege, Entwendung durch den lokalen deutschen Kolonialbeamten 1914, Rückgabe durch die Briten 1916) eingeordnet. Dadurch wird die Bedeutung der Insignien in der wechselvollen Geschichte deutlich. Am Ende fragt der Vortrag, worin die Bedeutung des Wissens um diese Geschichte liegt und was in den gegenwärtig geführten Restitutionsdebatten wegfällt.

Prof. Dr. Stefanie Michels leitet die Abteilung Globalgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie studierte an der School of Oriental and African Studies der University of London und an der Universität Köln, wo sie auch promoviert wurde mit einer Arbeit über die deutsche Kolonialzeit im Cross-Rivergebiet Kameruns. Habilitiert wurde sie an der Universität Frankfurt mit dem Thema "Schwarze deutsche Kolonialsoldaten in Afrika". Sie lehrte und forschte außerdem an den Universitäten Wien, Hannover, Heidelberg und Frankfurt. 2021 leitete sie gemeinsam mit Aba Gertrude Mansah Eyifa-Dzidzienyo eine internationale Fellow-Group zum Thema Restitution am Merian Center for Advanced Studies in Africa (MIASA) an der University of Ghana.


Prof. Dr. Matthias Goldmann
Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht, EBS Law School, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden
Alles nur geklaut?
Zur Ambiguität des Kolonialrechts im Restitutionskontext

Donnerstag · 14. Dezember 2023 · 18:15 Uhr · online
→ Die Vortragsaufzeichnung ist für angemeldete Studierende im Moodle weiterhin verfügbar.

Für viele europäische Staaten ist die Frage unausweichlich geworden, ob und in welchem Umfang Kulturgüter aus ehemals abhängigen Territorien zu restituieren sind. Dabei stellt sich die Frage, welche Bedeutung der rechtlichen Beurteilung des Erwerbsvorgangs zukommt. Weit verbreitet ist die Annahme, das damalige (Völker-)Recht sei eben ungerecht gewesen; deshalb seien die meisten umstrittenen Objekte legal erworben worden. Deshalb sei eine rein politische Lösung vorzugswürdig. Doch wohin sollen politische Lösungen führen angesichts der bestehenden Machtungleichgewichte zwischen den betroffenen Ländern? Der Vortrag wählt daher einen anderen Ansatz. Er hinterfragt die Annahme, es sei alles legal gewesen. Bei genauerer Analyse erweist sich das damalige (Völker-)Recht nämlich als eine in sich widersprüchliche, inkohärente und schon zu seiner Zeit hochgradig umstrittene Materie. Diese Kontingenz und Ambiguität resultiert aus dem untauglichen Versuch, koloniale Unterdrückung durch das Recht zu legitimieren. Der Beitrag expliziert sodann diese Methode anhand einiger Beispiele und weckt Zweifel an der Rechtmäßigkeit des jeweiligen Erwerbs. Die Rückgabepraxis sollte dies berücksichtigen. Eine Rückgabe "auf Augenhöhe" mit dem Ziel der Versöhnung setzt daher eine kritische Auseinandersetzung mit dem kolonialen (Völker-)Recht voraus, das in mancher Hinsicht bis heute fortwirkt.

Matthias Goldmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht an der EBS Universität und Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Zuvor arbeitete er von 2016 bis 2021 als Juniorprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt. Im Jahr 2015 wurde er mit einem Freigeist-Stipendium der VolkswagenStiftung ausgezeichnet. Er hat an der Universität Heidelberg in Rechtswissenschaften promoviert und an der New York University einen LL.M. erworben, zahlreiche Publikationen in nationalen und internationalen juristischen Fachzeitschriften veröffentlicht und war von 2017 bis 2022 einer der Schriftleiter des German Law Journal. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Recht und die politische Ökonomie des Finanzwesens, die Transformation der Wirtschaftsverfassung sowie die Theorie und Geschichte des Europa- und Völkerrechts, insbesondere deren koloniale Vergangenheit. Veröffentlichungen (Auswahl): Internationale öffentliche Gewalt. Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, Berlin/Heidelberg 2015; Völkerrechtliche Vereinbarungen und direkte Demokratie. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 78(2018), 281–310; Anachronismen als Risiko und Chance: Der Fall Rukoro et al. gegen Deutschland. Kritische Justiz, 52(2019), 92–117; Review of Bénédicte Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage. European Journal of International Law (1/2023).


Prof. Dr. Thomas Thiemeyer
Professor für Empirische Kulturwissenschaft, Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen
Kultur, Kommerz und Politik.
Was ist kulturelle Aneignung?

Donnerstag · 11. Januar 2024 · 18:15 Uhr · online
Vortragsaufzeichnung

Kulturelle Aneignung ist eines der wichtigsten kulturpolitischen Themen der Gegenwart. Der Begriff richtet sich gegen eine hegemoniale Aneignung kultureller Codes marginalisierter Gruppen, die sich in Form von Bräuchen, Traditionen, Frisuren, Kleidung, Sprache, Gesten, musikalischen Stilen oder Tanzbewegungen vollzieht. Diese Form der Aneignung steht im Verdacht, die einstigen ErfinderInnen oder NutzerInnen zu enteignen, und zwar in der Regel für kommerzielle Nutzungen oder politische Zwecke. Groß werden konnten diese Debatten in einem kulturpolitischen Umfeld, das seit den 1970ern in erhöhtem Maß Eigentumsrechte auf kulturelle Erzeugnisse vergibt. Kulturerbe wird so zum exklusiven Gut, und mit ihm wird (Identitäts-)Politik betrieben. Der Vortrag will sich mit dem Zusammenhang von kultureller Aneignung, Identitätspolitik, der Kommodifizierung von Kultur und ihren Auswirkungen auf unser Verständnis von und unseren Umgang mit Kultur und Kulturerbe befassen.

Prof. Dr. Thomas Thiemeyer beschäftigt sich mit Themen der Erinnerungskultur, mit Identitätskonstruktionen (Heimatvorstellungen, Identitätspolitiken) und Institutionen des kulturellen Erbes, allen voran mit Museen, Archiven und Sammlungen. Sein Interesse gilt dabei gleichermaßen der Geschichte wie der Gegenwart der Institutionen bzw. der untersuchten Phänomene (Wandel der Erinnerungskulturen, des Heimatverständnisses etc.). Kulturwissenschaftlich perspektiviert interessieren ihn vor allem (veränderte) Arbeitsweisen und Handlungsformen sowie die Frage, wie Institutionen konkret Wissen stiften. Insbesondere die unterschiedlichen Handlungslogiken und Funktionsweisen von Museen und Universitäten bilden einen Schwerpunkt. – Publikationen zum Thema: Cosmopolitanizing Colonial Memories in Germany, in: Critical Inquiry 45 (2019), S. 967–990. Full text: https://doi.org/10.1086/703964; Kulturerbe als Shared Heritage? Kolonialzeitliche Sammlungen und die Zukunft einer europäischen Idee. In: Merkur 829 (2018), S. 30–44 und Merkur 830 (2018), S. 85–92.


Dr. Anna-Maria Brandstetter
Akademische Direktorin, Institut für Ethnologie und Afrikastudien, Kuratorin der Ethnografischen Studiensammlung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Gibt es ein Menschenrecht auf kulturelles Erbe?
Erläuterungen am Beispiel von Kulturgütern aus dem kolonialzeitlichen Kamerun

Donnerstag · 18. Januar 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel) und online
Vortragsaufzeichnung

Bei der Frage nach der Herkunft von kulturellen Artefakten, die in der Kolonialzeit extrahiert und in Museen und Sammlungen im Globalen Norden disloziert wurden, wird oft darauf verwiesen, dass es in der Regel nur schwer möglich sei zu bestimmen, wie der Besitz- oder Eigentumswechsel vonstatten ging. War es Raub, Diebstahl, Plünderung, Tausch, Kauf oder Geschenk? Aufgabe der Provenienzforschung sei daher herauszufinden, wie dieser Wechsel von Besitz oder Eigentum stattgefunden hat, um dann gegebenenfalls Forderungen nach Restitution nachkommen zu können. Dagegen schlägt Evelien Campfens, Juristin und Spezialistin für internationales Recht zu Kunst- und Kulturerbe an der Universität Leiden, einen Menschenrechtsansatz vor, der anerkennt, dass Kulturgegenstände für Gemeinschaften bis heute einen Wert als Kulturerbe haben können.
Ich werde in meinem Vortrag die verschiedenen gesetzlichen Regelungen und die Überlegungen eines Menschenrechts auf kulturelles Erbe (E. Campfens) vorstellen und am Beispiel ausgewählter kultureller Gegenstände aus dem kolonialzeitlichen Kamerun erörtern, wie der Menschenrechtsansatz ermöglicht, zusammen mit den Communities einen Umgang mit diesem kulturellen Erbe zu entwickeln.

Dr. Anna-Maria Brandstetter ist Akademische Direktorin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 1992 ist sie Kuratorin der Ethnografischen Sammlung der Universität Mainz. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind politische Ethnologie, Geschichts- und Erinnerungsforschung, Ethnologie der Dinge, Geschichte ethnografischer Sammlungen und ethnologische Provenienzforschung. Ihre Forschungsreisen führten sie unter anderem in den Kongo (Kinshasa), nach Südäthiopien und Ruanda. Zu ihren Veröffentlichungen gehören "Contested Pasts: The Politics of Remembrance in Post-Genocide Rwanda" (2010) und "Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und universitären Sammlungen" (2018), hg. mit Vera Hierholzer (Open Access: https://doi.org/10.14220/9783737008082). Sie ist Mitunterzeichnerin der Heidelberger Erklärung „Dekolonisierung braucht Dialog, Expertise und Unterstützung“ der Direktor:innen und Leiter:innen ethnologischer Museen und Sammlungen im deutschsprachigen Raum (https://www.ifeas.uni-mainz.de/files/2020/01/20190502-Heidelberg-Statement.pdf), Mitglied der AG Koloniale Provenienzen (im Arbeitskreis Provenienzforschung e.V.) und Mitbegründerin des Netzwerks Koloniale Kontexte (https://www.evifa.de/en/about/fid-projects/network-colonial-contexts?set_language=en).


PD Dr. Johannes Breuer
Akademischer Direktor, Klassische Philologie, Institut für Alter­tumswissen­schaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Wem gehört die Philosophie?
Frühchristliche Reflexionen über Zugehörigkeit und Aneignung von Bildungsgütern

Donnerstag · 25. Januar 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel) und online
Vortragsaufzeichnung

Ist es Sünde, Platon zu lesen? Ist Bildung für Christen wichtig? Und wenn ja, welche Bildung? Für die frühen Christen war es von zentraler Bedeutung, einen angemessenen Umgang mit den Disziplinen und Inhalten der antiken griechisch-römischen Bildungstradition zu finden, etwa mit der Philosophie, der Rhetorik oder auch der Dichtung. Die Antworten auf die o.g. Fragen fielen im Laufe der Zeit höchst unterschiedlich aus; aber auch Zeitgenossen gelangten zu divergierenden Einschätzungen. Im Vortrag sollen einige Stimmen dieses polyphonen Diskurses hörbar gemacht werden, u.a. diejenigen von Justin, Tertullian, Arnobius d. Ä., Hieronymus und Augustinus. Für diese Autoren waren Aspekte wie Provenienz, Zugehörigkeit und korrekte Aneignung durchaus wichtige Kriterien bei der Beurteilung der Gefahren und Potenziale von Bildungsgütern. Beleuchtet werden einerseits wichtige Etappen dieser für die Geistesgeschichte fundamentalen Auseinandersetzung zwischen (paganer) Antike und Christentum, andererseits werden besonders markante und wirkmächtige Denkfiguren vorgestellt und in ihren ideengeschichtlichen Kontext eingeordnet.

PD Dr. Johannes Breuer lehrt als Akademischer Direktor Klassische Philologie und Neugriechisch an der JGU Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die augusteische und die spätantike Dichtung, der antike Mythos, die antike Rhetorik (inkl. lateinischer Prosarhythmus) sowie die Bewertung und Nutzung paganer Wissensfelder durch die frühen Christen. Einschlägige Publikationen sind u.a.: Rhetorik im Christentum, in: M. Erler, Chr. Tornau (Hg.), Handbuch Antike Rhetorik, Berlin 2019, 513–535; Rhetorik und Religion. Die Bewertung und Nutzung paganer Wissensfelder bei Arnobius von Sicca (Altertumswissenschaftliches Kolloquium. 29), Stuttgart 2021 (ausgezeichnet mit dem Preis der Antonie Wlosok-Stiftung); Die Matrone Cornelia und der Märtyrerbischof Cyprian. Zur Bedeutung von Properz 4,11 für Prudentius, Peristephanon 13, Hermes 149, 2021, 104–117.


Prof. Dr. Christoph Zuschlag
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart (19.–21. Jh.) mit Schwerpunkt Provenienzforschung /Geschichte des Sammelns, Universität Bonn
Nicht alles nur geklaut!
Provenienzforschung als Grundlage aktueller Diskurse um Aneignung und Restitution

Donnerstag · 1. Februar 2024 · 18:15 Uhr · N 6 (NatFak, Johann-Joachim-Becher-Weg 21) und online
Vortragsaufzeichnung

Der Vortrag beleuchtet im ersten Teil die Geschichte der Provenienzforschung als Teildisziplin der Kunstgeschichtswissenschaft und den Prozess ihrer zunehmenden Politisierung seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert. Sodann werden die Methoden und Erkenntnisdimensionen der Provenienzforschung im Hinblick auf verschiedene Objektgattungen vorgestellt. Weiterhin wird den Fragen nachgegangen, wie die aktuelle Provenienzforschung im Hinblick auf NS-Raubgut und auf Kulturgüter aus kolonialen Kontexten aussieht und worin die jeweiligen Besonderheiten der Restitutionsthematik bestehen. Die These des Referenten ist, dass wir gegenwärtig eine Wende hin zur Provenienz als neuem Paradigma in den Kultur- und Geisteswissenschaften erleben (provenancial turn). Erst die Provenienzforschung ermöglicht die notwendige Differenzierung der Erwerbs- und Sammlungsumstände der Museen. Sie ist daher die notwendige Grundlage der aktuellen und künftigen Restitutionsdiskurse.

Prof. Dr. Christoph Zuschlag studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Heidelberg und Wien und absolvierte Museumspraktika in Berlin, Wien, San Francisco und Los Angeles. Er war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und wurde 1991 an der Universität Heidelberg promoviert, wo er bis 1998 als Assistent am Kunsthistorischen Institut tätig war. Die Habilitation mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft erfolgte 2002. Nach einer Tätigkeit an der Forschungsstelle "Entartete Kunst" am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin erhielt er 2007 Rufe an die Universität Hildesheim und an die Universität Koblenz-Landau. In Landau war er bis 2018 Professor für Kunstgeschichte und Kunstvermittlung. Seit 2018 ist er Inhaber der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart (19.–21. Jahrhundert) mit Schwerpunkt Provenienzforschung/Geschichte des Sammelns am Kunsthistorischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 2022 erschien seine "Einführung in die Provenienzforschung" im Verlag C. H. Beck.


Prof. Dr. Regina F. Bendix
Professorin für Volkskunde, Institut für Kulturanthropologie /Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität Göttingen
Die Grenzen des Besitzens:
Verhandlungen um wissenschaftliches und koloniales „Kulturerbe“ im Feld von human remains

Donnerstag · 8. Februar 2024 · 18:15 Uhr · online
→ Die Vortragsaufzeichnung ist für angemeldete Studierende im Moodle weiterhin verfügbar.

Die meisten Mitglieder moderner Universitäten wissen wenig um die Sammlungen menschlicher Überreste, die v.a. in Medizin und Anthropologie seit dem 18. Jahrhundert aufgebaut wurden. Wichtig für grundlegende anatomische Erkenntnisse aber auch zentral für die Formulierung der desaströsen Rassenkunde wurden Schädel in Verbindung mit kolonialer Expansion bis ins frühe 20. Jahrhundert aus allen Kontinenten herbeigeschafft. Akteur*innen in Herkunftsgesellschaften fordern ihre Vorfahren seit langem zurück, seit einiger Zeit auch verstärkt durch postkolonialen Aktivismus im globalen Norden. Human remains sind kein "Kulturgut" im Sinne von Kunst und Ethnographica. Gekauft oder auch illegitim erworben sind menschliche Überreste, je nach Perspektive, auch nicht besitzbar: Jeder Schädel repräsentiert oder konstituiert ein verstorbenes Individuum. Gerade weil human remains sich den Logiken von Gütern nicht ohne weiteres unterordnen lassen, erlauben sie eine vertiefte Auseinandersetzung mit Fragen von Ethik, Recht, kolonialer Aufarbeitung und Restitutionsaufforderungen.

Prof. Dr. Regina F. Bendix ist seit 2001 Professorin für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie studierte an den Universitäten Zürich, University of California Berkeley und Indiana University Bloomington, wo sie auch promovierte. Sie lehrte und forschte außerdem an der University of Pennsylvania, Philadelphia und nahm Gastaufenthalte an verschiedenen anderen Orten wahr. Ihre Forschungen befassen sich u.a. mit Kulturerbe und kulturellem Eigentum. Sie hat das VW Projekt "Sensible Provenienzen", das sich mit den Göttinger Schädelsammlungen befasste, von 2020–23 mitgeleitet.


Öffentliche Online-Vorlesungsreihe:
Die Vorlesungsreihe "Wem gehören kulturelle Güter? Kulturerbe, Aneignung, Austausch" ist öffentlich und richtet sich an alle Interessierten. Die Vor­träge dieser Reihe sind als Online-Veranstaltungen mit Livestream vorgesehen. Die Links zum Livestream werden spätestens am Tag der jeweiligen Veranstaltung auf dieser Seite veröffentlicht.
Bei einzelnen Vorträgen wird es zusätzlich auch die Möglichkeit zur Präsenzteilnahme geben: Am 18.01.2024 und am 25.01.2024 im Hörsaal N 1 in der "Muschel", Johann Joachim-Becher-Weg 23, und am 01.02.2024 im Hörsaal N 6 im Naturwissenschaftlichen Institutsgebäude, Johann Joachim-Becher-Weg 23.

Einfahrt auf den Campus:
Für Gäste gibt es ein Freikontingent von 30 Stunden pro Jahr für die Einfahrt mit dem PKW auf den Campus. Anhand der Kennzeichenerkennung bei Ein- und Ausfahrt wird die Verweildauer auf dem Campus automatisch ermittelt und abgerechnet. Mehr erfahren

Aufzeichnung:
Die Beiträge werden (vorbehaltlich der Zustimmung der Vortragenden) auch aufgezeichnet und sollen allen Interessierten auch nachträglich zugänglich sein. Die Links zu den Aufzeichnungen werden in der Regel einen Tag nach der Veranstaltung auf dieser Seite veröffentlicht.

Bildnachweis:
The Benin Bronzes at the British Museum in London, England (Ausschnitt). Dennis, stock.adobe.com