Interdisziplinäre Vorlesungsreihe – online
Wem gehören kulturelle Güter? Kulturerbe, Aneignung, Austausch
Unser kulturelles Erbe, basierend auf menschlichem Erinnern, Erzählen, Erfinden, repräsentiert den Reichtum an Wissen, Praktiken, Ausdrucksformen und materiellen Artefakten, der von vergangenen Generationen geschaffen wurde und der unsere Lebens- und Denkweisen und unsere Identitäten prägt. Wer aber sind die Erben? Wem gehören kulturelle Güter in einer globalisierten Welt? Welche Chancen bietet die Idee eines weltweiten gemeinsamen kulturellen Erbes?
Aktuelle Provenienz-Forschungen und Restitutionsdebatten weisen auch auf die aus der Geschichte erwachsene Rolle und besondere Verantwortung Europas hin. Es gilt, den Begriff der Kulturaneignung, der sich auf die Übernahme, Veränderung und Anpassung von Elementen aus anderen Kulturen bezieht, kritisch zu hinterfragen und die Machtverhältnisse und sozialen Kontexte, in denen Aneignung stattfindet, zu berücksichtigen, Kolonialismus und Identitätspolitik einzubeziehen.
Kulturaustausch kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden, sei es durch Migration, Kolonialisierung, Globalisierung, bewusste Übernahme oder technologischen Fortschritt. Dabei werden nicht nur Objekte und Praktiken übertragen, sondern auch Werte, Ideen und Vorstellungen. Forschungen zu den komplexen Austausch- und Transferprozessen zeigen die Dynamik zwischen Kulturen und Kulturräumen und nicht zuletzt die Auswirkungen auf individuelle, kulturelle und kollektive Identitäten auf.
In unserer Vorlesungsreihe möchten wir mit Beiträgen aus verschiedenen Fachdisziplinen wie Kunstgeschichte, Empirische Kulturwissenschaften, Kulturanthropologie, Rechtswissenschaft, Geschichte, Philosophie und Ethnologie die besonderen Herausforderungen diskutieren, die mit dem Schutz und der Pflege des Kulturerbes, mit Problemen der Kulturaneignung, des Erwerbs und der Entwendung, mit der Provenienz und der Restitution kultureller Güter einhergehen.
Einführungsvideo zur interdisziplinären Online-Vorlesungsreihe "Wem gehören kulturelle Güter? Kulturerbe, Aneignung, Austausch"
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Prof. Dr. Prof. h. c. mult. Eva-Maria Seng
Inhaberin des Lehrstuhls für Materielles und Immaterielles Kulturerbe, Historisches Institut, Universität Paderborn
Kulturerbe und Glokalisierung
Donnerstag · 16. November 2023 · 18:15 Uhr · online
→ Vortragsaufzeichnung
Prof. Dr. Barbara Plankensteiner
Direktorin des Museums am Rothenbaum – Kulturen und
Künste der Welt MARKK, Hamburg
Koloniales Erbe und museale Praxis am MARKK
Donnerstag · 23. November 2023 · 18:15 Uhr
→ Vortragsaufzeichnung
Das Museum am Rothenbaum befindet sich seit einigen Jahren in einem Prozess der Dekolonisierung und Neupositionierung, der mit der geplanten Neugestaltung der Dauerausstellung und Modernisierung des Museumsgebäudes in eine neue Phase mündet. Ein Überblick über rezente Ausstellungen, Projekte, Aktivitäten und Initiativen der Zusammenarbeit soll diesen Prozess illustrieren. Die Restitution der sogenannten Benin-Bronzen wie auch laufende Provenienzforschungsprojekte spielen hier ebenso eine wichtige Rolle wie das internationale Projekt zur Schaffung der Online-Plattform Digital Benin.
Prof. Dr. Barbara Plankensteiner ist seit 2017 Direktorin des Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK). Mit ihrem Amtsantritt leitete sie einen umfassenden Neupositionierungs- und Dekolonisierungsprozess ein. Ab 2015 war sie Senior Curator for African Art an der Yale University Art Gallery in New Haven und zuvor stellvertretende Direktorin, Chefkuratorin und langjährige Kuratorin der Afrika-Sammlung am Weltmuseum Wien. Sie ist Mitbegründerin der Benin Dialog Gruppe und des Digital Benin Projektes. Sie studierte Sozialanthropologie und Afrikawissenschaften an der Universität Wien.
Publikationen zum Thema (Auswahl): 2023, Barbara Plankensteiner (Hg.) Benin. Geraubte Geschichte (zweite Auflage). Berlin und Hamburg: Hatje Cantz und Museum am Rothenbaum. – 2019, Barbara Plankensteiner (Hg.) The Art of Being a World Culture Museum. Futures and Lifeways of Ethnographic Museums in Contemporary Europe. Bielefeld: Kerber Verlag. – 2010, Barbara Plankensteiner und Nath Mayo Adediran (Hgg.) African Lace. Eine Geschichte des Handels, der Kreativität und der Mode in Nigeria. Wien, Gent: Snoeck. – 2007, Barbara Plankensteiner (Hg.) Benin. Könige und Rituale. Höfische Kunst aus Nigeria. Wien, Gent: Snoeck.
Prof. Dr. Stefanie Michels
Professorin für Europäische Expansion im 19. und 20. Jahrhundert, Leiterin der Abteilung Globalgeschichte, Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Der Restitutionsfall Akpini (Ghana) –
aus Sicht einer Afrikahistorikerin
Donnerstag · 7. Dezember 2023 · 18:15 Uhr
→ Der Link zum Livestream wird spätestens am Tag der Veranstaltung hier veröffentlicht.
Das Thema der Rückgabe von Kulturgütern in kolonialen Kontexten wirft historische, politische und moralische Fragen auf. Der Vortrag stellt den Restitutions-Fall aus der Akpini Traditional Area in Kpando (Ghana) vor. Dort wird die Rückgabe ihrer königlichen Insignien aus Deutschland gefordert. Dieser Fall wird in das Feld, in dem er sich entfaltet, eingebettet und die Vielzahl von Interessengruppen, die involviert sind, werden vorgestellt. Eines der rückgeforderten Insignien – ein Kriegshorn – wird in verschiedene historische Kontexte (Ashanti-Kriege, Entwendung durch den lokalen deutschen Kolonialbeamten 1914, Rückgabe durch die Briten 1916) eingeordnet. Dadurch wird die Bedeutung der Insignien in der wechselvollen Geschichte deutlich. Am Ende fragt der Vortrag, worin die Bedeutung des Wissens um diese Geschichte liegt und was in den gegenwärtig geführten Restitutionsdebatten wegfällt.
Prof. Dr. Stefanie Michels leitet die Abteilung Globalgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie studierte an der School of Oriental and African Studies der University of London und an der Universität Köln, wo sie auch promoviert wurde mit einer Arbeit über die deutsche Kolonialzeit im Cross-Rivergebiet Kameruns. Habilitiert wurde sie an der Universität Frankfurt mit dem Thema "Schwarze deutsche Kolonialsoldaten in Afrika". Sie lehrte und forschte außerdem an den Universitäten Wien, Hannover, Heidelberg und Frankfurt. 2021 leitete sie gemeinsam mit Aba Gertrude Mansah Eyifa-Dzidzienyo eine internationale Fellow-Group zum Thema Restitution am Merian Center for Advanced Studies in Africa (MIASA) an der University of Ghana.
Prof. Dr. Matthias Goldmann
Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht, EBS Law School, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden
Alles nur geklaut?
Zur Ambiguität des Kolonialrechts im Restitutionskontext
Donnerstag · 14. Dezember 2023 · 18:15 Uhr
→ Der Link zum Livestream wird spätestens am Tag der Veranstaltung hier veröffentlicht.
Für viele europäische Staaten ist die Frage unausweichlich geworden, ob und in welchem Umfang Kulturgüter aus ehemals abhängigen Territorien zu restituieren sind. Dabei stellt sich die Frage, welche Bedeutung der rechtlichen Beurteilung des Erwerbsvorgangs zukommt. Weit verbreitet ist die Annahme, das damalige (Völker-)Recht sei eben ungerecht gewesen; deshalb seien die meisten umstrittenen Objekte legal erworben worden. Deshalb sei eine rein politische Lösung vorzugswürdig. Doch wohin sollen politische Lösungen führen angesichts der bestehenden Machtungleichgewichte zwischen den betroffenen Ländern? Der Vortrag wählt daher einen anderen Ansatz. Er hinterfragt die Annahme, es sei alles legal gewesen. Bei genauerer Analyse erweist sich das damalige (Völker-)Recht nämlich als eine in sich widersprüchliche, inkohärente und schon zu seiner Zeit hochgradig umstrittene Materie. Diese Kontingenz und Ambiguität resultiert aus dem untauglichen Versuch, koloniale Unterdrückung durch das Recht zu legitimieren. Der Beitrag expliziert sodann diese Methode anhand einiger Beispiele und weckt Zweifel an der Rechtmäßigkeit des jeweiligen Erwerbs. Die Rückgabepraxis sollte dies berücksichtigen. Eine Rückgabe "auf Augenhöhe" mit dem Ziel der Versöhnung setzt daher eine kritische Auseinandersetzung mit dem kolonialen (Völker-)Recht voraus, das in mancher Hinsicht bis heute fortwirkt.
Matthias Goldmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht an der EBS Universität und Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Zuvor arbeitete er von 2016 bis 2021 als Juniorprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt. Im Jahr 2015 wurde er mit einem Freigeist-Stipendium der VolkswagenStiftung ausgezeichnet. Er hat an der Universität Heidelberg in Rechtswissenschaften promoviert und an der New York University einen LL.M. erworben, zahlreiche Publikationen in nationalen und internationalen juristischen Fachzeitschriften veröffentlicht und war von 2017 bis 2022 einer der Schriftleiter des German Law Journal. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Recht und die politische Ökonomie des Finanzwesens, die Transformation der Wirtschaftsverfassung sowie die Theorie und Geschichte des Europa- und Völkerrechts, insbesondere deren koloniale Vergangenheit. Veröffentlichungen (Auswahl): Internationale öffentliche Gewalt. Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, Berlin/Heidelberg 2015; Völkerrechtliche Vereinbarungen und direkte Demokratie. Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 78(2018), 281–310; Anachronismen als Risiko und Chance: Der Fall Rukoro et al. gegen Deutschland. Kritische Justiz, 52(2019), 92–117; Review of Bénédicte Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage. European Journal of International Law (1/2023).
Prof. Dr. Thomas Thiemeyer
Professor für Empirische Kulturwissenschaft, Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen
Kultur, Kommerz und Politik.
Was ist kulturelle Aneignung?
Donnerstag · 11. Januar 2024 · 18:15 Uhr
→ Der Link zum Livestream wird spätestens am Tag der Veranstaltung hier veröffentlicht.
Dr. Anna-Maria Brandstetter
Akademische Direktorin, Institut für Ethnologie und Afrikastudien, Kuratorin der Ethnografischen Studiensammlung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Gibt es ein Menschenrecht auf kulturelles Erbe?
Erläuterungen am Beispiel von Kulturgütern aus dem kolonialzeitlichen Kamerun
Donnerstag · 18. Januar 2024 · 18:15 Uhr
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PD Dr. Johannes Breuer
Akademischer Direktor, Klassische Philologie, Institut für Altertumswissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Wem gehört die Philosophie?
Frühchristliche Reflexionen über Zugehörigkeit und Aneignung von Bildungsgütern
Donnerstag · 25. Januar 2024 · 18:15 Uhr
→ Der Link zum Livestream wird spätestens am Tag der Veranstaltung hier veröffentlicht.
Prof. Dr. Christoph Zuschlag
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Professur für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart (19.–21. Jh.) mit Schwerpunkt Provenienzforschung /Geschichte des Sammelns, Universität Bonn
Nicht alles geklaut!
Provenienzforschung als Grundlage aktueller Diskurse um Aneignung und Restitution
Donnerstag · 1. Februar 2024 · 18:15 Uhr
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Prof. Dr. Regina F. Bendix
Professorin für Volkskunde, Institut für Kulturanthropologie /Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität Göttingen
Die Grenzen des Besitzens:
Verhandlungen um wissenschaftliches und koloniales „Kulturerbe“ im Feld von human remains
Donnerstag · 8. Februar 2024 · 18:15 Uhr
→ Der Link zum Livestream wird spätestens am Tag der Veranstaltung hier veröffentlicht.
Die Vorlesungsreihe "Wem gehören kulturelle Güter? Kulturerbe, Aneignung, Austausch" ist öffentlich und richtet sich an alle Interessierten. Die Vorträge dieser Reihe sind als Online-Veranstaltungen mit Livestream vorgesehen. Die Links zum Livestream werden spätestens am Tag der jeweiligen Veranstaltung auf dieser Seite veröffentlicht. – Bei einzelnen Vorträgen wird es eventuell die Möglichkeit zur Präsenzteilnahme geben.
Aufzeichnung:
Die Beiträge werden (vorbehaltlich der Zustimmung der Vortragenden) auch aufgezeichnet und sollen allen Interessierten auch nachträglich zugänglich sein. Die Links zu den Aufzeichnungen werden in der Regel einen Tag nach der Veranstaltung auf dieser Seite veröffentlicht.
Bildnachweis:
The Benin Bronzes at the British Museum in London, England (Ausschnitt). Dennis, stock.adobe.com