Öffentliche Vorlesungsreihe – Sommersemester 2023

 
Mainzer Universitätsgespräche – Interdisziplinäre Kolloquienreihe

Was uns antreibt: Motivation und Emotion

Warum verhalten sich Menschen so, wie sie sich verhalten? Das ist eine der zentralen Fragen, mit denen sich die Motivationsforschung beschäftigt. Motivation steht immer im Zusammenhang mit dem Setzen und Bewerten von Handlungszielen und der Frage, warum bestimmte Handlungsprozesse begonnen, fortgeführt oder beendet werden. Auch Emotionen bestimmen unsere Motivation und unser Verhalten maßgeblich mit. Empfinden Menschen in einer bestimmten Situation Angst, dann werden sie ihre Handlungen entsprechend ausrichten, um die Angst zu verringern oder auszuschalten. Das komplexe Konzept Emotion eindeutig zu definieren, ist bisher allerdings nicht überzeugend gelungen.

Mindestens drei Aspekte müssen bei emotionalen Prozessen berücksichtigt werden. Einmal erfolgt eine physiologische Reaktion (z. B. Erhöhung der Herzfrequenz, Schwitzen). Zudem wird die Reaktion von einer Verhaltenskomponente begleitet: Mimik, Gestik und Körperhaltung ändern sich. Darüber hinaus – und am schwierigsten zu untersuchen – beschreibt die Erlebniskomponente das eigentliche Gefühl, das Menschen in einer solchen Situation empfinden. Diese drei Aspekte dienen dazu, eine Person auf eine angemessene Reaktion vorzubereiten.

Es greift zu kurz, Motivation und Emotion nur auf individueller Ebene zu betrachten. Auch das nähere soziale Gefüge, etwa Familie und Freunde, und das weitere gesellschaftliche Umfeld haben Auswirkungen. Wie wir erzogen werden oder in welchem politischen System (Demokratie, Diktatur etc.) wir leben, hat unmittelbare Effekte auf Motivation und Emotion – und Auswirkungen darauf, welche Ziele wir uns setzen. Diese wählen wir dann meistens so, dass negative emotionale Zustände vermieden werden.

Dem komplexen Zusammenspiel von Motivation und Emotion wollen wir in unserer Vorlesungsreihe mit Beiträgen aus den Lebenswissenschaften (Biologie, Medizin, Neurowissenschaften und Psychologie) sowie aus sozialwissenschaftlicher Perspektive nachgehen.


Einführungsvideo zur Vorlesungsreihe:

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Prof. Dr. Anne Schacht
Professorin für Kognition, Emotion und Verhalten, Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie, Georg-August-Universität Göttingen
Emotionale und motivationale Einflüsse auf die Aufmerksamkeit
Montag · 8. Mai 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)
Vortragsaufzeichnung

Das menschliche Gehirn steht vor der ständigen Herausforderung, aus der Fülle der uns umgebenden Informationen diejenigen herauszufiltern, die für den Organismus von größter Relevanz sind. Ein besonders adaptiver und effektiver Auswahlmechanismus ist die Aufmerksamkeit. Doch welche Faktoren beeinflussen unsere Aufmerksamkeit? Hier spielen Motivation und Emotion eine entscheidende Rolle. Zum einen verändern emotionale Zustände wie Angst, Trauer oder Freude die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung unserer Umgebung. Zum anderen werden emotional bedeutsame Informationen, wie wütende oder lachende Gesichter, bevorzugt wahrgenommen und verarbeitet, wobei auch zunächst irrelevante Reize durch Lernprozesse eine emotionale Bedeutung erlangen können. Im Bereich der Motivation spielen z. B. Neugier und persönliche Interessen, aber auch externe Belohnungen und Anreize bei der Steuerung der Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle und beeinflussen unsere Entscheidungen. Der Vortrag beleuchtet, wie emotionale und motivationale Faktoren mit Aufmerksamkeitsprozessen interagieren und wie dieses komplexe Zusammenspiel mit experimentellen Ansätzen und neurophysiologischen Messungen untersucht werden kann.

Prof. Dr. Anne Schacht (geb. 1976) studierte Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der sie 2008 ihre Promotion zu Emotionseffekten in der Sprach- und Gesichterverarbeitung abschloss. Für diese Forschungsarbeiten wurde sie 2009 mit dem Förderpreis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Es folgten Gastprofessuren in Genf, Potsdam und Berlin. 2010 wurde sie zur Juniorprofessorin an der Georg-August-Universität Göttingen ernannt. Dort leitet sie seit 2016 das Affective Neuroscience and Psychophysiology Lab und seit 2023 die Abteilung für Kognition, Emotion und Verhalten. Ihre Forschung fokussiert auf das Zusammenspiel emotionaler, motivationaler und sozial-kognitiver Prozesse, die diesen Prozessen zugrunde liegenden Mechanismen und ihre Modulation durch verschiedene Kontexte und individuelle Aspekte.
Anne Schacht leitet und koordiniert den Aufbau und die Etablierung des Forschungszentrums Human Cognition and Behavior am Campus Göttingen und ist beteiligt an diversen Forschungsverbünden, wie dem SFB 1528 Cognition of Interaction und dem GRK 2070 Understanding Social Relationships. Seit 2015 ist sie Sprecherin des Promotionsprogramms Behavior and Cognition an der Universität Göttingen.


Prof. Dr. Ralf Brand
Professor für Sportpsychologie, Exzellenzbereich Kognitionswissenschaft, Universität Potsdam · Affiliated Professor of Kinesiology, Iowa State University, USA
Sport tut gut?!
Grundlegender Affekt und die Motivation zu mehr Bewegung im Alltag

Montag · 15. Mai 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)
Vortragsaufzeichnung

Die meisten Menschen wissen sehr wohl, dass sich mehr Sport und Bewegung in ihrem Alltag günstig auf die Gesundheit auswirken würde. Trotzdem tun es die wenigsten. Vielleicht hat das damit zu tun, so die zentrale These des Vortrags, dass sich Sport und Bewegung eben nicht immer gut anfühlt. Sport ist manchmal ganz einfach nur anstrengend, und schon leichte Bewegung bringt uns hin und wieder ordentlich ins Schwitzen. In der Sportpsychologie und Gesundheitsverhaltensforschung ist die Idee, dass der während Sport und Bewegung erlebte grundlegende Affekt – ein auf somatischen Wahrnehmungen beruhendes Gefühl, das automatisch entsteht und sich entlang der Dimension "angenehm vs. unangenehm" beschreiben lässt – zukünftige Verhaltensentscheidungen und motivationale Prozesse ganz maßgeblich beeinflusst, erst vor einigen Jahren in den Fokus aktueller, internationaler Forschungsbemühungen gerückt. Wie dieses Gefühl zustande kommt, wie man es messen kann, welche Auswirkungen frühere affektive Erfahrungen und Erlebnisse mit Sport auf aktuelle Verhaltensentscheidungen haben, und warum es töricht wäre anzunehmen, das Sport- und Bewegungsverhalten von Menschen vor allem durch Appelle an die Vernunft und mit psychologischen Tricks zur Verbesserung der Selbstdisziplin beeinflussen zu können, wird im Vortrag erläutert und mit Studienergebnissen aus neuester sportpsychologischer Forschung zum Thema illustriert.

Prof. Dr. habil. Ralf Brand (geb. 1971) erwarb im Doppelstudium an der Universität Konstanz sowohl das 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern Sport und Englisch, als auch das Diplom in Psychologie. Nach dem Studium und bis zur Promotion (2001) blieb er dort wissenschaftlicher Angestellter im Fach Sportwissenschaft. Nach dem Wechsel ans Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft der Universität Stuttgart folgte dort die Habilitation (2006) mit venia legendi in Sportwissenschaft. Seit dem Jahr 2008 ist er Professor für Sportpsychologie an der Universität Potsdam und seit 2019 zusätzlich affiliierter Professor für Bewegungswissenschaft (Kinesiology) an der Iowa State University (USA). Von 2012 bis 2022 war er Geschäftsführender Herausgeber des German Journal of Exercise and Sport Research. In seiner wissenschaftlichen Arbeit untersucht er, wie sich das mit Sport und Bewegung verbundene affektive Erleben auf motivationale Prozesse der Verhaltensänderung auswirkt.


Prof. Dr. Sven Barnow
Leiter der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie, Leiter der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz, Universität Heidelberg
Brauchen wir Emotionen?
Wie Gefühle und deren Regulation unsere (psychische) Gesundheit beeinflussen

Montag · 22. Mai 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)

Seit etwa 15 Jahren beschäftigen sich mein Team und ich mit dem Thema der Emotionsregulation (ER) und wie ER-Prozesse Psychopathologie bzw. Wohlbefinden beeinflussen. Speziell interessieren uns folgende Fragestellungen: Wie regulieren Personen ihre Emotionen? Welche Mechanismen moderieren den Zusammenhang zwischen ER und Psychopathologie bzw. Wohlbefinden? Wie wirken Kognition und Emotion zusammen und welche Bedeutung hat dabei die ER? Was versteht man unter flexibler ER? Welche Effekte zeigt ein Training flexibler ER bezüglich psychischer Gesundheit? – Zusammenfassend konnten wir zeigen, dass ER-Prozesse nicht nur mit Psychopathologie und Wohlbefinden assoziiert sind, sondern dass hierbei besonders die Flexibilität der Regulation von Bedeutung ist. Aufbauend auf diesen Befunden haben wir ein Gruppentraining "Gefühle im Griff" entwickelt, das wir in unserer Ambulanz durchführen und evaluieren. Im Vortrag werde ich einige unserer Befunde zur Bedeutung der ER für psychische Gesundheit vorstellen und anschließend auf das Training "Gefühle im Griff" eingehen, inklusive kleiner Demonstrationen zu einigen Übungen.
Literatur: Barnow, S. (2020, Hrsg.). Handbuch Emotionsregulation: Zwischen psychischer Gesundheit und Psychopathologie. Springer. · Barnow, S. (2017). Gefühle im Griff! (3. Aufl.; 2. Auflage 2015, 1. Auflage, 2014). Springer. · Barnow, S., Reinelt, E., & Sauer, C. (2016). Emotionsregulation. Manual und Materialien für Trainer und Therapeuten. Springer.

Prof. Dr. Sven Barnow ist Leiter der Arbeitseinheit für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der daran angeschlossenen Psychotherapeutischen Hochschulambulanz. Er beschäftigt sich mit der Bedeutung der Emotionsregulation für psychische Gesundheit und Psychopathologie und hat hierzu gemeinsam mit seinem Team eine Vielzahl von Studien durchgeführt und publiziert. Daraus ist u. a. das Training "Gefühle im Griff" entstanden, das seit einigen Jahren erfolgreich durchgeführt wird. Professor Sven Barnow ist zudem leidenschaftlicher Hobby-Fotograf und beschäftigt sich aktuell mit der Verbindung zwischen stoischer Philosophie und aktueller Emotionsforschung. Ebenso hat er gemeinsam mit seinen Studenten und Studentinnen den Verein prEVENTion gegründet, wobei es darum geht, für Menschen in schwierigen Lebenssituationen verschiedene soziale Aktivitäten anzubieten (u. a. Sportgruppe, Kreativgruppe, Wandergruppe), die von den Studenten geleitet werden. Link: https://www.youtube.com/watch?v=vbHU2R2TiFY


Prof. Dr. Christian von Scheve
Professor für Soziologie, Leiter des Arbeitsbereichs Soziologie der Emotionen, Institut für Soziologie, Freie Universität Berlin
Gefühle auf dem Prüfstand:
Zur Streitbarkeit von Emotionen in gesellschaftlichen Konflikten

Montag · 5. Juni 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)
Vortragsaufzeichnung

Das gesellschaftliche Leben der Gegenwart kann als ein Leben konflikthafter Krisen und Umbrüche beschrieben werden, die Vieles infrage stellen: wie wir reisen und arbeiten, was wir essen, unsere Sicherheit und unseren Wohlstand. In diesem Vortrag möchte ich die These entwickeln, dass die Krisen und Transformationen der Gegenwart aber auch etwas herausfordern und infrage stellen, das wir üblicherweise als etwas sehr Individuelles und Persönliches – und damit gesellschaftlich Unverfügbares – wahrnehmen, nämlich unsere Gefühle und Emotionen. In der sozialwissenschaftlichen Forschung werden Emotionen im Kontext von Krisen und Konflikten meist als Motivation für Protest (Wut, Zorn, Ärger) oder als ein spezifischer Modus der Aushandlung von Konflikten (besonnen, erhitzt, hasserfüllt) erforscht. Ich werde darlegen, dass Emotionen in gegenwärtigen Konflikten zunehmend selbst zum Gegenstand der Auseinandersetzung werden. Dabei geht es vielfach darum, welche Emotionen angesichts gesellschaftlich strittiger Themen gefühlt werden sollen, welche als angemessen oder unangemessen, als richtig oder falsch gelten. Der Vortrag wird zunächst die gesellschaftlichen Bedingungen herausstellen, die eine solche Sicht auf Emotionen überhaupt erst möglich machen. Anschließend werde ich die These der "Streitbarkeit von Emotionen" anhand einiger Beispiele illustrieren und plausibilisieren.

Prof. Dr. Christian von Scheve (geb. 1973) hat an der Universität Hamburg Soziologie mit den Nebenfächern Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Psychologie studiert. Nach dem Studium hat er mehrere Jahre in einem Abgeordnetenbüro des Deutschen Bundestags gearbeitet. Nach seiner Promotion in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg (2007) hat er eine Assistenzprofessur am Institut für Soziologie der Universität Wien wahrgenommen. Anschließend wurde er 2008 auf eine Juniorprofessur für Soziologie mit Schwerpunkt Soziologie der Emotionen am Exzellenzcluster "Languages of Emotion" an die Freie Universität Berlin berufen. Seit 2014 ist er dort Universitätsprofessor und Leiter des Arbeitsbereichs "Soziologie der Emotionen". Zudem ist er Research Fellow am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Vorstandsmitglied im Sonderforschungsbereich "Affective Societies" sowie Mitherausgeber der "Sozialen Welt". Seine Forschungsschwerpunkte sind die Soziologie der Emotionen, Kultur- und Wirtschaftssoziologie, politische Soziologie und Sozialpsychologie.


Prof. Dr. Johannes Keller
Leiter der Abteilung Sozialpsychologie, Institut für Psychologie und Pädagogik, Universität Ulm
Das Flow-Erleben verstehen und erklären:
Ein Überblick mit speziellem Fokus auf Ergebnisse experimenteller Forschung

Montag · 12. Juni 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)
Vortragsaufzeichnung

In den vergangenen Jahren hat in der Psychologie eine Forschungsperspektive viel Aufmerksamkeit gewonnen, die sich explizit der Analyse der positiven Aspekte im menschlichen Denken, Empfinden und Verhalten widmet: die so genannte "Positive Psychologie". Im Zentrum dieser Perspektive steht u. a., die Grundlagen des (subjektiven) Wohlbefindens zu analysieren und der Frage nachzugehen, was Menschen glücklich und zufrieden macht. In diesem Kontext hat das so genannte "Flow-Erleben" besondere Aufmerksamkeit geweckt. Unter "Flow-Erleben" wird ein Zustand intrinsischer Motivation verstanden, der gekennzeichnet ist durch eine fokussierte und intensive Konzentration, ein Gefühl starker Kontrolle über den Handlungsablauf, ein völliges Aufgehen in der Tätigkeit und einen damit verbundenen Verlust von Selbstreflexion sowie ein verändertes Zeitgefühl ("Stunden vergehen wie Minuten"). Dieser Zustand des "Flow-Erlebens" kann laut Flow-Theorie bei allen fähigkeitsbezogenen Tätigkeiten auftreten und ist daher bei Chirurg:innen während der Operation ebenso zu beobachten wie bei Künstler:innen während der Erstellung eines Kunstwerks oder bei Musiker:innen beim Spielen ihres Instruments. In diesem Vortrag wird die Forschungslage zum "Flow-Erleben" vorgestellt und diskutiert. Dabei wird u. a. die Frage thematisiert, ob bzw. inwiefern das "Flow-Erleben" als "Geheimnis des Glücks" zu verstehen ist, wie es von manchen Flow-Theoretikern postuliert wird. Aktuelle Befunde eigener Forschungsarbeiten – insbesondere auch zur Physiologie des Flow-Erlebens – legen hier eine differenziertere Sichtweise nahe.

Prof. Dr. Johannes Keller: Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim (Abschluss 2001), Dissertation an der Universität Mannheim (im Jahr 2004), Visiting Scholar an der University of Michigan, Institute for Social Research (Ann Arbor, USA; 2005–2006 ), Visiting Scholar an der Université catholique de Louvain, Department of Psychology (Louvain-la-Neuve, Belgien; 2006–2007); Habilitation für das Fach Psychologie an der Universität Mannheim (2009); seit 2009 Leiter der Abteilung Sozialpsychologie am Institut für Psychologie & Pädagogik der Universität Ulm. – Forschungsschwerpunkte: Motivation und Selbstregulation; Stereotype und Vorurteile; soziale Dilemmas; Empathie und Mitgefühl; soziale Kognition (wie denkt der Mensch, speziell über andere Menschen?). In der entsprechenden Forschung werden vielfältige Verfahren und Methoden eingesetzt, um menschliches Denken, Empfinden und Verhalten zu untersuchen. Im Zentrum steht dabei die experimentelle Analyse von Kausalzusammenhängen, d.h. das zentrale Merkmal des methodischen Herangehens besteht in der Durchführung von (Labor- und Feld-)Experimenten. Dabei wird eine biopsychosoziale Perspektive verfolgt, d.h. neben dem "klassischen" Fokus der Sozialpsychologie auf kognitive und affektive Mechanismen beziehen wir physiologische Indikatoren in unsere Forschung explizit mit ein.


Prof. Dr. Katja Liebal
Leiterin der AG Humanbiologie und Primatenkognition, Institut für Biologie, Fakultät für Lebenswissenschaften, Universität Leipzig
Emotionen bei Menschenaffen:
Ausdruck, Wahrnehmung und Entwicklung von Emotionen bei unseren nächsten Verwandten

Montag · 19. Juni 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)
Vortragsaufzeichnung

Um zu verstehen, welche Aspekte der menschlichen Kognition, Kommunikation und des emotionalen Erlebens einzigartig menschlich sind, vergleichen Psycholog:innen und Biolog:innen menschliches Verhalten mit dem anderer Primatenarten.
Das ist mit einer Reihe konzeptioneller, methodischer und ethischer Herausforderungen verbunden. In meinem Vortrag werde ich auf diese Aspekte mit Fokus auf die Erforschung des Ausdrucks und der Wahrnehmung von Emotionen bei unseren nächsten Verwandten, den großen Menschenaffen, eingehen. Welche Emotionen besitzen andere Menschenaffen und wie entwickeln sie sich in den ersten Lebensjahren? Wie können wir den Emotionsausdruck einer anderen Art systematisch erfassen und wie können wir Rückschlüsse auf die ihnen zugrundeliegenden Emotionen ziehen und wie vermeiden wir eine Anthropomorphisierung unserer Beobachtungen? Wie erhalten wir Zugang zu Emotionen, die nicht körperlich oder mimisch ausgedrückt werden? Wie nehmen Menschenaffen die Emotionen anderer Artgenossen und die anderer Arten wahr? Bei der Beantwortung dieser Fragen werde ich ebenfalls auf verschiedene nicht-invasive methodische Zugänge, wie das Facial Action Coding System und Blickbewegungsmessung, eingehen. Anhand von aktuellen Forschungsergebnissen werde ich auf die Frage eingehen, ob es einzigartig menschliche Emotionen gibt, sowie "blinde Flecken" in der vergleichenden Verhaltensforschung identifizieren.

Prof. Dr. Katja Liebal leitet die Arbeitsgruppe Humanbiologie und Primatenkognition an der Universität Leipzig und ist Vorstandssprecherin des LeipzigLabs, in dem sie das Projekt "Kinder und Natur" leitet. Sie hat 2005 am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und an der Universität Leipzig promoviert und danach an der University of Portsmouth in der Abteilung für Psychologie als Lecturer gearbeitet. Ab 2009 war sie Juniorprofessorin für Evolutionäre Psychologie im Exzellenzcluster Languages of Emotion an der Freien Universität Berlin und hatte dort ab 2015 eine Professur für Vergleichende Entwicklungspsychologie inne, bis sie 2020 nach Leipzig an das Institut für Biologie wechselte. Ihr Interesse gilt der multimodalen Kommunikation von Primaten einschließlich des Menschen sowie der Variabilität der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten von Menschenkindern in unterschiedlichen kulturellen Kontexten.


Prof. Dr. Dr. Henrik Walter
Stv. Ärztlicher Direktor (Forschung), Professor für Psychiatrie mit Schwerpunkt psychiatrische Neurowissenschaft und Neurophilosophie, Leiter FB Mind and Brain, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Anhedonie und die Lust am Leben.
Was wir über Motivation von der Psychiatrie lernen können

Montag · 26. Juni 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)
Vortragsaufzeichnung


Prof. Dr. Sibylle Adam
Professorin für Ernährungswissenschaften, Leiterin der Forschungsgruppe "Nudging im Norden", Department Ökotrophologie, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Nudging – der Anstups für ein günstigeres Ernährungsverhalten
Montag · 3. Juli 2023 · 18:15 Uhr · online
Vortragsaufzeichnung

Das menschliche Verhalten, explizit das Ess- bzw. Ernährungsverhalten, zu verstehen, ist Gegenstand verschiedener Forschungsperspektiven. Fakt ist, dass unser Essverhalten sehr komplex ist – Emotionen und Motivation als Ursache oder Konsequenz des Essverhaltens aber durchaus relevant sind.
Hohe Übergewichts- und Adipositasprävalenzen sowie eine Zunahme ernährungsmitbedingter Erkankungen sind immer wieder ein Grund, um eine gesundheitsförderliche Ernährung als ein Baustein für ein insgesamt gesündere Lebensweise zu fordern. Die Prävention eines ungesunden Essverhaltens spielt hier eine zentrale Rolle. Viele bisherige Maßnahmen, die auf eine bewusste Verhaltensänderung gesetzt haben, waren nicht so erfolgreich wie erwartet. In diesem Zusammenhang wird seit einigen Jahren das Konzept des Nudgings diskutiert, da es im Wesentlichen auf eine unbewusste Verhaltensänderung abzielt.
Nudging bedeutet im Englischen "anstupsen". Diese "Anstupser" (nudges) stehen für kleine gezielte Impulse, die das Verhalten unbewusst beeinflussen. Dafür wird die jeweilige Umgebung, so gestaltet, dass dies intuitiv eine günstigere Entscheidung auslöst. Die Entscheidungsarchitektur ist zentraler Teil dieses Konzeptes: sie ist die Art und Weise wie die Umgebung, in der Menschen Entscheidungen treffen, gestaltet ist. Nudging ist ein unauffälliger Weg – ohne Zwang - Verhalten zu beeinflussen, damit Menschen eine bessere Wahl treffen z.B. für mehr Nachhaltigkeit und Gesundheit.
An der HAW Hamburg, im Department Ökotrophologie hat sich dazu im Jahr 2016 eine Forschungsgruppe (Nudging im Norden) gegründet, mit dem Ziel, die Möglichkeiten des Nudgings zur Optimierung des Essverhaltens zu erforschen. Bisher konnten verschiedene angewandte Forschungsprojekte, vor allem im Setting der Gemeinschaftsgastronomie, umgesetzt werden. Einige dieser Ergebnisse werden in diesem Vortrag präsentiert.

Prof. Dr. Sibylle Adam ist Diplom-Ökotrophologin und seit 2015 Professorin für Ernährungswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Nach dem Studium arbeitete sie freiberuflich viele Jahre im Bereich der Prävention und Therapie – vor allem in den Bereichen Übergewicht und Adipositas. Zudem war sie im Team vom Ernährungspsychologen Prof. Dr. Westenhöfer tätig, welches sich mit wissenschaftlichen und praktischen Fragestellungen rund um das Ernährungsverhalten von Menschen beschäftigte.
Prof. Dr. Sibylle Adam verfügt über eine umfassende Expertise in der Konzeption, Umsetzung und Evaluation von wissenschaftlich basierten Ernährungs- und Gesundheitskonzepten. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte an der HAW Hamburg liegen in den Bereichen Ernährungskonzepte und Ernährungsverhalten. Insbesondere fokussiert sie sich hier auf die Konzeption von Ernährungskonzepten für bestimmte Zielgruppen (z.B. Sportler*innen, Schichtarbeiter*innen), um eine gesündere Ernährungsweise durch Verhaltensänderungen umsetzen und eine (gesteigerte) Leistungsfähigkeit gewährleisten zu können. Auch die Prozesse der Verhaltensentscheidung und -motivation sind dabei ein wesentlicher Gegenstand ihrer Arbeit und Forschung. Seit 2016 leitet sie zusammen mit ihrer Kollegin Prof. Dr. Pfannes die Forschungsgruppe "Nudging im Norden".


Prof. Dr. Wulf Haubensak
Leiter der Abteilung Neuronale Zellbiologie, Zentrum für Hirnforschung, Medizinische Universität Wien · Group Leader "Circuit mechanics of emotional behaviour", IMP – Research Institute of Molecular Pathology, Vienna BioCenter
Neuronale Baupläne für Emotionen
Montag · 10. Juli 2023 · 18:15 Uhr · Hörsaal N 1 (Muschel)
Vortragsaufzeichnung

Emotionen sind zentrale Elemente unseres Erlebens. Alles, was uns wichtig ist, ist mit Emotionen verknüpft. Sie helfen zum einen dabei, das für uns Wesentliche aus den Millionen von Reizen zu filtern, die täglich auf uns einprasseln. Zum anderen speichern sie unsere Eindrücke ab und "motivieren" uns, mit dem richtigen Verhalten zu antworten. Das gilt für das erfolgreiche Überleben in der Wildnis genauso wie für die komplexen Herausforderungen in modernen Gesellschaften. Doch wie filtert das Gehirn emotionale Reize, wie speichert es emotionale Erinnerungen und steuert emotionales Verhalten? Wie können neuronale Erregungsmuster tiefgreifende emotionale Empfindungen hervorbringen?
Um das zu verstehen, begeben wir uns auf eine Reise ins Gehirn, bei der wir die neuronale Architektur des emotionalen Verhaltens kartieren. Dabei beobachten und manipulieren wir neuronale Schaltkreise. Wir können dann aus diesen Daten ableiten, wie bestimmte neuronale Schaltkreismotive emotionale Verhaltensaufgaben lösen, z. B. Gefahren auszuweichen und Belohnungen zu verfolgen, emotionale Erfahrungen zu speichern und abzurufen. Und wie uns unser Bauchgefühl hilft, Erlebnisse subjektiv zu erleben und intuitive Entscheidungen zu treffen.
Auf unserer Vortragsreise erhalten wir so Einblicke in die neuronale "Mechanik" von Emotionen, eines zentralen und biomedizinisch wichtigen Teils unseres mentalen Selbst.

Prof. Dr. Wulf Haubensak studierte Biochemie an der Universität Bochum mit Schwerpunkt Neurowissenschaften und Plastizität in neuronalen Netzwerken. Im Anschluss promovierte er an der Universität Heidelberg und am Max-Planck Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden zu neuronalen Zellteilungsmustern in der Gehirnentwicklung. Nach einer Postdoc-Phase am California Institute of Technology (USA) etablierte er eine Forschungsgruppe für emotionales Verhalten am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, unterstützt durch ERC, DACH und Boehringer Forschungsprogramme sowie der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Derzeit ist er Leiter der Abteilung Neuronale Zellbiologie und der Arbeitsgruppe für affektive Neurowissenschaft am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien und Adjunct Investigator am IMP.
Seine Forschungsschwerpunkte sind Architektur, Dynamik und Neurogenetik affektiver Informationsverarbeitung. Er arbeitet mit translationalen Modellen und Hirndatenbanken um zu verstehen, wie Emotionen und individuelle Unterschiede im emotionalen Verhalten entstehen.

 

 
Öffentliche Vorlesungsreihe:
Die Vorlesungsreihe "Was uns antreibt: Motivation und Emotion" ist öffentlich und richtet sich an alle Interessierten. Die Vorträge finden – soweit möglich – als Präsenzveranstaltungen im Hörsaal N 1 in der "Muschel", Johann Joachim-Becher-Weg 23, statt.

Aufzeichnung:
Die Beiträge werden (vorbehaltlich der Zustimmung der Vortragenden) auch aufgezeichnet und sollen allen Interessierten auch nachträglich zugänglich sein. Einen Livestream gibt es bei den Präsenzveranstaltungen nicht. Die Links zu den Aufzeichnungen werden in der Regel einen Tag nach der Veranstaltung auf dieser Seite veröffentlicht.
Ausnahme: Die Veranstaltung am 03.07.2023 findet rein online statt. Dieser Vortrag wird live gestreamt und auch aufgezeichnet.

Einfahrt auf den Campus:
Seit dem 01.02.2023 gibt es für Gäste ein Freikontingent von 30 Stunden pro Jahr für die Einfahrt mit dem PKW auf den Campus. Anhand der Kennzeichenerkennung bei Ein- und Ausfahrt wird die Verweildauer auf dem Campus automatisch ermittelt und abgerechnet. Mehr erfahren
 

Bildnachweis:
Amazing view of Roque Nublo natural park (Ausschnitt), inigolaitxu, stock.adobe.com