Mainzer Universitätsgespräche – Interdisziplinäre Kolloquienreihe
Nature/Nurture: Das Zusammenspiel von Genen und Umwelt
Die Debatte ist alt, aber immer noch aktuell: Sind unsere genetischen Anlagen ("nature") oder Umwelteinflüsse ("nurture") entscheidend für die Entwicklung des Menschen? Heute gehen die meisten Wissenschaftler*innen davon aus, dass es keinen eindeutigen Sieger geben kann. Die Existenz des Menschen scheint gekennzeichnet von einem äußerst komplexen Zusammenspiel von Genen und Umwelt.
Gene tragen die Erbinformationen und damit die Bauanleitung für den menschlichen Körper. Sie bestimmen viele unserer physischen und psychischen Merkmale sowie die zentralen biologischen Prozesse. Sie legen auch die Grundlage für bestimmte Verhaltensweisen und Talente. Doch Gene allein sind nicht ausschlaggebend. Umweltfaktoren spielen eine entscheidende Rolle dabei, wie diese genetischen Anlagen "ausgelesen" werden und sich entfalten.
Umweltfaktoren umfassen eine breite Palette von Einflüssen wie Ernährung, Bildung, soziale Interaktionen und physische Umgebung. Ein genetisch veranlagtes mathematisches, musikalisches oder sportliches Talent kann durch den Zugang z. B. zu Unterricht gefördert oder durch fehlende Möglichkeiten massiv gehemmt werden. Ebenso können Stress und Traumata genetische Prädispositionen für psychische Erkrankungen verstärken oder auslösen.
Ein bedeutender Bereich der Gen-Umwelt-Interaktion ist die Epigenetik, die untersucht, wie Umweltfaktoren die Aktivität unserer Gene beeinflussen können, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Diese Veränderungen können unmittelbare oder auch langfristige Auswirkungen auf Gesundheit und Verhalten eines Individuums haben.
Zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen haben es sich zur Aufgabe gemacht, ein besseres Verständnis für das Zusammenspiel von Genen und Umwelt zu entwickeln. Gemeinsam mit Wissenschaftler*innen u. a. aus Biologie, Medizin, Psychologie, Erziehungswissenschaft und Intelligenzforschung wollen wir uns diesem Forschungsfeld nähern.
Sie können die Termine dieser Vorlesungsreihe als ICS-Kalender-Datei herunterladen.
Konzept und Organisation der Vorlesungsreihe:
Ass. d. L. Sabine Fetzer und Dr. Thomas Vogt
Einführungsvideo zur Vorlesungsreihe:
Prof. Dr. André Fischer
Standortsprecher und Gruppenleiter, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Göttingen · Professor für Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen, Universitätsmedizin Göttingen
Epigenetik und Gesundheit:
Wie wir unsere Gene beeinflussen können!
Dienstag · 29. Oktober 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
In seinem Vortrag erläutert Prof. André Fischer, wie Umwelteinflüsse und genetische Veranlagungen unsere Gesundheit prägen. Dabei beleuchtet er das Zusammenspiel von Genom und Umwelt, das durch epigenetische Mechanismen gesteuert wird. Anhand praktischer Beispiele, wie etwa der Frage, ob das Verhalten unserer Vorfahren unser Krankheitsrisiko beeinflussen kann, erklärt er die Grundlagen der Epigenetik und deren Bedeutung bei Erkrankungen, insbesondere Hirnerkrankungen wie Alzheimer und Demenz. Zudem wird aufgezeigt, wie solche Prozesse aktiviert werden können, um das Risiko schwer-wiegender neurologischer Erkrankungen zu verringern.
Prof. Dr. André Fischer erforscht epigenetische Prozesse bei neurodegenerativen und neuropsychiatri-schen Erkrankungen. Fischer hat als Postdoktorand an der Harvard Medical School und am Massachu-setts Institute of Technology (MIT) geforscht, bevor er eine unabhängige Forschungsgruppe am Euro-pean Neuroscience Institute in Göttingen leitete. Er ist seit 2011 Professor für Epigenetik neurodegenera-tiver Erkrankungen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttin-gen und leitet seit 2015 die Abteilung für Systemische Medizin und Epigenetik am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Er ist ebenfalls der Sprecher des DZNE Standorts Göttingen. Sein Fokus auf translationale und klinische Forschung zielt darauf ab, Erkenntnisse aus der Grundlagen-forschung in therapeutische Ansätze umzusetzen und somit die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit Hirnerkrankungen zu verbessern. Er hat über 200 wissenschaftliche Publikationen verfasst und be-deutende Preise wie den in Europa hochdotierten Preis für Alzheimerforschung, den Hans-und-Ilse-Breuer-Preis oder den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten. Darüber hinaus engagiert er sich in verschiedenen wissenschaftlichen Gesellschaften und hat zahlrei-che Nachwuchswissenschaftler betreut, die erfolgreiche akademische Karrieren eingeschlagen haben. Fischers Forschung hat maßgeblich dazu beigetragen, epigenetische Ansätze zur Behandlung neuro-degenerativer Erkrankungen voranzutreiben.
Dr. Holger Bierhoff
Leiter der Arbeitsgruppe Epigenetik des Alterns, Institut für Biochemie und Biophysik, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Alt werden ohne zu altern –
Wie hängen Genetik und Epigenetik mit einem langen und gesunden Leben zusammen?
Dienstag · 12. November 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Wir befinden uns weltweit mitten im demografischen Wandel. Der einerseits erfreuliche Trend, dass Menschen immer älter werden, geht andererseits mit großen gesellschaftlichen Herausforderungen einher. Entsprechend stellt sich die Frage, wie die Lebensqualität als auch die Produktivität der Menschen bis ins hohe Lebensalter erhalten werden kann. Bei der Erforschung der molekularen Ursachen des Alterns hat es in den letzten Jahren gerade auf den Gebieten der Genetik und Epigenetik große Fortschritte gegeben. Diese neuen Erkenntnisse machen Hoffnung, zielgerichtete und wirksame Maßnahmen gegen altersassoziierte Degenerationsprozesse zu entwickeln.
In diesem Vortrag wird der aktuelle Kenntnisstand über die biologische Alterung aus Sicht der Genetik und Epigenetik skizziert. Genetische Manipulationen von Modellorganismen, genomweite Assoziationsstudien sowie Untersuchungen von vererbbaren Erkrankungen mit Alterungssymptomatik, haben Gene mit besonderer Bedeutung für das Altern identifiziert. Dagegen weisen die Beschleunigung der Alterung durch Erosion von Chromatin und die Entdeckung von epigenetischen Lebenszeituhren auf die wichtige Rolle der Epigenetik hin. Entsprechend soll die Frage diskutiert werden, ob Altern gemäß einer "Blame it on my genes"-Einstellung schicksalhaft hingenommen werden muss, oder inwieweit ein gesundes und langes Leben durch einen auf die Epigenetik wirkenden Lebensstil aktiv gefördert werden kann.
Dr. Holger Bierhoff studierte Biologie an der Ruhr-Universität Bochum bevor er 2003 für seine Doktorarbeit an das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg wechselte. Nach seiner Promotion, die sich mit onkogenen Signaltransduktionswegen befasste, verlagerte er den wissenschaftlichen Fokus auf epigenetische Regulationsmechanismen. Seit 2017 leitet er die Forschungsgruppe "Epigenetik des Alterns" am Institut für Biochemie und Biophysik der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Mit seinem Team, das auch mit dem Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena assoziiert ist, erforscht er, wie Änderungen in der Genexpression und Chromatinstruktur mit Alterungsprozessen zusammenhängen. Er ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Alternsforschung (DGfA) und gehört zur Steuerungsgruppe des IMPULS-Forschungskonsortiums, das die Zusammenhänge von Physiologie und Psychologie bei der biologischen Alterung ergründen möchte.
Prof. Dr. Sabina Pauen
Professorin für Entwicklungspsychologie und Biologische Psychologie, Psychologisches Institut, Universität Heidelberg
Welchen Einfluss haben Biologie und Erfahrung auf die Entwicklung der Geschlechter-Identität in der frühen Kindheit?
Dienstag · 19. November 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Dr. Peter Spork
Biologe und Wissenschaftsautor, Hamburg
Erbe, Umwelt und Vergangenheit.
Warum die Epigenetik den Blick auf Gesundheit verändert
Dienstag · 26. November 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Prof. Dr. Frank M. Spinath
Professor für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik, Fachrichtung Psychologie, Universität des Saarlandes, Saarbrücken · Principal Investigator der Studie "TwinLife"
Anlage und Umwelt:
Was Zwillingsstudien uns über die Entstehung individueller Unterschiede verraten
Dienstag · 3. Dezember 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Prof. Dr. Anna-Lena Schubert
Professorin für Analyse und Modellierung komplexer Daten, Psychologisches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Bildung, Lebensstil und Gene:
Welchen Einfluss haben sie auf die Intelligenzentwicklung über die Lebensspanne?
Dienstag · 10. Dezember 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Prof. Dr. Till Kössler
Professor für Historische Erziehungswissenschaft, Institut für Pädagogik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Nature versus Nurture:
Zur Geschichte der Anlage-Umwelt-Debatte
Dienstag · 17. Dezember 2024 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Prof. Dr. Mathias Heikenwälder
Wissenschaftlicher Direktor, M3 Forschungszentrum für Malignom, Metabolom und Mikrobiom, Universitätsklinikum Tübingen · Professor und Forschungsgruppenleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
Chronische Entzündung, fehlgeleiteter Metabolismus und Krebs: Wie Lifestyle unsere Genexpression und Ansprechen auf Therapien verändert
Dienstag · 21. Januar 2025 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Prof. Dr. Jenny Wagner
Professorin für Pädagogische Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung, Institut für Psychologie, Universität Hamburg
Wer schreibt unsere Lebensgeschichte?
Trends, Einflussfaktoren und Auswirkungen von Persönlichkeitsentwicklung
Dienstag · 4. Februar 2025 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)
Die Vorlesungsreihe "Nature/Nurture: Das Zusammenspiel von Genen und Umwelt" ist öffentlich und richtet sich an alle Interessierten. Die Vorträge finden in der Regel als Präsenzveranstaltungen im Hörsaal N 1 in der "Muschel", Johann Joachim-Becher-Weg 23, statt.
Aufzeichnung:
Die Beiträge werden (vorbehaltlich der Zustimmung der Vortragenden) auch aufgezeichnet und sollen allen Interessierten auch nachträglich zugänglich sein. Einen Livestream gibt es bei den Präsenzveranstaltungen nicht. Die Links zu den Aufzeichnungen werden in der Regel einen Tag nach der Veranstaltung auf dieser Seite veröffentlicht.
Einfahrt auf den Campus:
Für Gäste gibt es ein Freikontingent von 30 Stunden pro Jahr für die Einfahrt mit dem PKW auf den Campus. Anhand der Kennzeichenerkennung bei Ein- und Ausfahrt wird die Verweildauer auf dem Campus automatisch ermittelt und abgerechnet. Mehr erfahren
Bildnachweis:
Group of babies (Ausschnitt). Moodboard, stock.adobe.com