Themenschwerpunkt des Studium generale
"Identitäten. Kontinuität und Wandel"
!!!Achtung, der für den 09.11.15 angekündigte VORTRAG von
Prof. Dr. Astrid Erll
Professorin für Anglophone Literaturen und Kulturen, Institut für England- und Amerikastudien IEAS, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Kollektives Gedächtnis und kollektive Identität: Die Herausforderungen von Migration und Transkulturalität
muss leider AUSFALLEN!!!
Eine einfache Formel lautet in etwa so: Individuelles Gedächtnis bildet die Basis von individueller Identität. Schon John Locke wusste: nur wer sich erinnert, ist sich der Kontinuität seines Ichs über die Zeit hinweg bewusst. In Analogie dazu wird kollektive Identität durch kollektives Gedächtnis fundiert und gestützt. Soziale Gruppen und Gesellschaften bilden ein "Wir-Gefühl" aus, indem sie die Erinnerung an eine gemeinsame Herkunft oder an geteilte Erfahrungen wachhalten.
Wie aber ist der Zusammenhang von kollektivem Gedächtnis und kollektiver Identität im Zeitalter von Globalisierung und Migration zu denken? Die Gedächtnisforschung hat im Laufe des vergangenen Jahrzehnts gezeigt, dass Kollektivgedächtnisse nicht als in sich abgeschlossene "Container" mit einem stabilen Vorrat an identitätsrelevantem Wissen über die gemeinsame Vergangenheit zu denken sind. Vielmehr sind Erinnerungsprozesse auf sozialer Ebene stets dynamisch und offen für Bilder und Geschichten, die neuen und anderen Repertoires entstammen. Begriffe wie "transkulturelle Erinnerung", "prothetische Erinnerung" oder "multidirektionale Erinnerung" beschreiben die Bewegung von Erinnerungsträgern (z.B. Migranten), von Erinnerungsmedien (z.B. Filme), von Erinnerungsformen und -praktiken (z.B. die Schweigeminute) über kulturelle, ethnische, religiöse oder nationale Grenzen hinweg.
Müsste man angesichts dieser Dynamisierung des Gedächtniskonzeptes nicht auch kollektive Identität neu denken als grundsätzlich "multidirektionale" oder "transkulturelle" Identität? Am Beispiel des Films "Almanya – Willkommen in Deutschland" (Regie: Yasemin Samdereli, 2011) und der Erinnerung an die Anfänge der türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland in den 1950er Jahren will ich Transformationen des nationalen Gedächtnisses in Migrationsgesellschaften diskutieren und die Frage stellen, wie eine multidirektionale Erinnerungspraxis dazu beitragen kann, kollektive (nationale) Identitäten zu dynamisieren.
Astrid Erll ist Professorin für Anglophone Literaturen und Kulturen an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie hat zu Erinnerungen des Ersten Weltkriegs, des Spanischen Bürgerkriegs, des britischen Kolonialismus in Indien, des Vietnamkriegs und des ersten Irakkriegs geforscht. Sie ist Mitherausgeberin der Buchreihe Medien und kulturelle Erinnerung / Media and Cultural Memory (mit A. Nünning, de Gruyter, seit 2004) sowie der Bände A Companion to Cultural Memory Studies (mit A. Nünning, 2010), Film und kulturelle Erinnerung (mit S. Wodianka, 2008), und Mediation, Remediation, and the Dynamics of Cultural Memory (mit A. Rigney, 2009). Sie ist Autorin einer Einführung in die kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung (Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, Metzler, 2005/2011; engl. Memory in Culture, Palgrave 2011). Mit der "Frankfurt Memory Studies Platform" baut sie zurzeit an der Goethe-Universität Frankfurt eine internationale Plattform zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung auf: http://www.memorystudies-frankfurt.com/.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Jürgen Straub (Sozialtheorie und Sozialpsychologie, Ruhr-Universität Bochum)
Identität – psychosoziales Phänomen und wissenschaftlicher Begriff
Montag · 16. November 2015 · 18:15 Uhr · N 1 (Muschel)