THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
"SELBSTBILD UND WELTBILD. KULTURALITÄT, PLURALITÄT, UNIVERSALITÄT?"
Prof. Dr. Astrid Messerschmidt (Karlsruhe)
Der Wunsch, nicht rassistisch zu sein. Selbstbilder in den Nachwirkungen des Nationalsozialismus
Montag, 10. Dezember 2012, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
Erst in den letzten Jahren ist in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft eine breitere Aufmerksamkeit für die Analyse und Kritik des Rassismus als Problem der gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer Bildungsinstitutionen entstanden. Bereits 1986 sprachen Annita Kalpaka und Nora Räthzel von der "Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein" und stießen eine Debatte darüber an, wie auch diejenigen Rassismus reproduzieren, die beanspruchen, ihn zu bekämpfen. Doch es hat lange gedauert, bis eine breitere bildungswissenschaftliche Diskussion dazu entstanden ist. In den Selbstbildern hiesiger Bildungsinstitutionen ist die Vorstellung verankert, frei von Diskriminierung zu sein, während zugleich spürbar ist, dass strukturelle Barrieren und ausgrenzende Praktiken und Haltungen an Schulen und Universitäten vorzufinden sind. Die Nichtthematisierung von Rassismus stabilisiert die Macht rassistischer Praktiken. Der Begriff wird abgewehrt durch eine Verschiebung in die Vergangenheit und durch eine Auslagerung an gesellschaftliche Ränder, die als extremistisch gekennzeichnet werden, damit die "Mitte" sich ihnen gegenüber als unproblematisch repräsentieren kann. Der Vortrag diskutiert Praktiken der Abwehr und Relativierung von Rassismus auf dem Hintergrund einer spezifischen gesellschaftlichen Konstellation in den Nachwirkungen des Nationalsozialismus. Der nach 1945 kontinuierlich geäußerte "Wunsch, unschuldig zu sein" (Christian Schneider) nimmt vier Generationen später neue Formen an und betrachtet die NS-Verbrechen als erfolgreich aufgearbeitete Geschichte, woraus sich ein aufgeklärtes Selbstbild ableiten lässt. Dabei wird die Gegenwart der Vergangenheit kontrastiert, so dass Rassismus nur im Modus der Distanzierung vorkommt und Antisemitismus darunter subsumiert wird. Demgegenüber entwickeln "rassismuskritische" Bildungskonzeptionen (Paul Mecheril) alternative Formen der Thematisierung und Reflexion alltäglicher Artikulationen von Ungleichwertigkeit und fragen nach den aktuellen Ausdrucksformen von Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus.
Prof. Dr. Astrid Messerschmidt, Erziehungswissenschaftlerin und Erwachsenenbildnerin, 2002 Promotion in Pädagogik, 2000–2009 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Darmstadt, 2009 Habilitation, Lehraufträge und Gastprofessuren u.a. in Flensburg und Wien, seit 2009 Professorin für Interkulturelle Pädagogik/Lebenslange Bildung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Bildung in der Migrationsgesellschaft, zeitgeschichtliche Erinnerungsprozesse in den Nachwirkungen des Nationalsozialismus, diskriminierungskritische und diversity-reflexive Bildungskonzeptionen, Kritische Bildungstheorie, pädagogische Geschlechterforschung.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Eberhard Knobloch (Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte, Technische Universität Berlin · Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften BBAW)
Naturwissenschaftliche Weltbilder im Wandel der Zeit – Von Aristoteles zu Kepler
Montag, 17. Dezember 2012, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)