Studium generale – Mainzer Unversitätsgespräche
WIE FREI IST DER MENSCH?
Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber (Berlin)
Sind wir alle unzurechnungsfähig?
Entscheidungsfreiheit und strafrechtliche Verantwortlichkeit aus der Sicht des Psychiaters
Mittwoch, 8. Dezember 2004, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
Kann man künftig Straftäter anhand biologischer Merkmale bereits identifizieren, bevor sie ihre erste Straftat begangen haben? Und was macht man dann mit ihnen? Wer durch Besonderheiten seines Gehirns bedingt Straf¬taten begehe, erklären einige Hirndeuter, sei für diese strafrechtlich nicht verantwortlich. Man solle ihn aber dauerhaft einsperren, nicht als Strafe, sondern rein prophylaktisch, zur Sicherung. Denn wer für sein Tun nicht verantwortlich ist, kann die Freiheit nicht kosten. Das Referat soll verdeutlichen, dass die plakativen Anwendungen der »Hirnforschung« auf die Beurteilung von Straftätern ausgesprochen fragwürdig sind, sowohl methodisch wie praktisch. Bestimmte Untergruppen chronisch Straffälliger weisen neurophysiologische und neuroanatomische Besonderheiten auf. Aber auch das Wahrnehmen, Werten, Denken und Handeln rechtskonformer und psychisch ungestörter Menschen ist in erheblichem Umfang im biologischen Untergrund verankert und in dem lebensgeschichtlichen Umgang mit den eigenen Stärken und Schwächen herausgebildet. Dass unsere Entscheidungen auf einer materiell fassbaren biologischen Grundlage erfolgen, besagt nichts darüber, ob es freie Entscheidungen sind, und entsprechend auch nichts über die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Wir sind strafrechtlich verantwortlich, wenn wir imstande sind, unsere Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen, wenn wir imstande sind, unsere Wünsche kritisch zu bewerten. Und wir sind zufriedener, wenn wir nicht jedem rhetorischen Trick der vermeintlichen »Tabubrecher« unter den Hirndeutern aufsitzen.
Univ.-Prof. Dr. med. habil. Hans-Ludwig Kröber, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, 1951 geb. in Bielefeld, 1969 Abitur am Ratsgymnasium Bielefeld. Medizinstudium an der Universität Münster, 1977 Medizinisches Staatsexamen. Zunächst gut zwei Jahre in der Inneren Medizin, seit 1980 in der Psychiatrie tätig. Facharztausbildung in Bethel/Bielefeld, seit 1984 wissenschaftl. Mitarbeiter an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, seit 1987 als Leiter der Psychiatrischen Poliklinik (Ambulanz). Dort 1990 Habilitation mit einer Untersuchung »Einflüsse auf den Verlauf bipolarer Erkrankungen«. März 1994 Professor für Klinische Psychiatrie an der Universität Hamburg, März 1996 Ernennung zum C4-Professor für Forensische Psychiatrie und Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie der Freien Universität Berlin (jetzt »Charité – Universitätsmedizin Berlin«). – Ein Schwerpunkt der Forschungstätigkeit ist seit zwanzig Jahren die Verlaufsforschung bei Straftätern, insbesondere Gewalt- und Sexualstraftätern, früher auch zum Verlauf bei psychischen Erkrankungen (bipolar Manisch-Depressive). Daneben seit Jahren Untersuchungen zur Schuldfähigkeitsproblematik und den ideengeschichtlichen Grundlagen der forensischen (gerichtlichen) Psychiatrie. Weitere Informationen zur Biographie und zu Veröffentlichungen (insbes. zahlreichen Zeitschriftenartikeln) unter http://www.forensik-berlin.de/.
Bücher: H. L. Kröber, H. Scheurer, P. Richter: Ätiologie und Prognose von Gewaltdelinquenz. Ergebnisse einer Verlaufsuntersuchung. Roderer, Regensburg, 1993. – H. L. Kröber, K.-P. Dahle (Hrsg): Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz, Verlauf – Behandlung – Opferschutz. Kriminalistik-Verlag, Heidelberg, 1998. – H.-L. Kröber, M. Steller (Hrsg.): Psychologische Begutachtung im Strafverfahren – Indikationen, Methoden und Qualitätsstandards. Steinkopff, Darmstadt, 2000. – H.-L. Kröber, H.-J. Albrecht (Hrsg): Verminderte Schuldfähigkeit und psychiatrische Maßregel. Nomos, Baden-Baden, 2001. – J. Elz, J.-M. Jehle, H.-L. Kröber (Hrsg.): Exhibitionisten – Täter, Taten, Rückfall. Kriminologische Zentralstelle, Wiesbaden, 2004.
Nächste Veranstaltung in dieser Reihe:
Prof. Dr. Armin Kreiner (Professor für Fundamentaltheologie, Katholisch-Theologische Fakultät, LMU München)
Freier Wille und christlicher Glaube
Mittwoch, 15. Dezember 2004, 18.15 Uhr, N 3 (Muschel)