Abstracts zur Vorlesungsreihe »Gender, Queer und Fetisch – Konstruktion von Identität und Begehren« – Wintersemester 2010/2011

VORTRAGSREIHE

organisiert vom Autonomen Schwulenreferat im AStA der Johannes Gutenberg-Universität

Gender, Queer und Fetisch – Konstruktion von Identität und Begehren


Abstracts zu den einzelnen Vorträgen:


Martin Schneider (AStA Schwulenreferat)

Gender? Queer? Fetisch?

Der Versuch einer Annäherung


Montag, 25.10.2010, 16.15 Uhr



Geschlechterpolitik und Gender Mainstreaming scheinen in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Der Vortrag erklärt, was gender bedeutet und wie mit dem Begriff gearbeitet wird. Wenn im Wissenschaftsbetrieb und in dieser Ringvorlesung Genderforschung betrieben wird, wird auch oft der Bezug auf die Queer-Studies genommen, dessen Grundzüge abgesteckt werden. Beide wollen sich von den im Laufe der Zeit immer wieder wiederholten Trennungen in Mann/Frau oder in Hetero-/Homosexualität entfernen und erklären neue und alte Formen des sozialen Handelns. Bei der Untersuchung der akzeptierten Formen des Begehrens tritt auch der Fetischismus und S/M als umstrittene Begriffe auf. An welchem Punkt endet das sexuelle Symbol an oder in der Nähe meines Gegenübers und wann kann von einem Fetischismus gesprochen werden? Und was bedeutet es, wenn wir uns ein solches Handbuch der Perversionen erstellen?


Prof. Dr. Andrea Geier (Literaturwissenschaft Uni Trier)

Schöne Seele und Tomboy -

Vom Wandel der Geschlechterbilder in der Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Montag, 08.11.2010, 16.15 Uhr



Literarische Diskurse sind an gesellschaftlich-historischen Wandlungsprozessen und damit an Konstruktionen geschlechtlicher (wie auch ethnischer) Identität produktiv beteiligt. Der Vortrag gibt aus literaturwissenschaftlicher Perspektive eine Einführung in den Wandel der Geschlechterbilder seit dem 18. Jahrhundert. Hierfür werden zunächst kulturwissenschaftliche Ansätze zur Konstruktion von Geschlecht vorgestellt und anschließend anhand ausgewählter Textbeispiele von Lessing bis Thomas Meinecke unterschiedliche Entwürfe und Entwicklungen literarischer Geschlechterbilder seit dem 18. Jahrhundert skizziert.


Dipl.-Theol. Ruth Hess (Systematische Theologie Uni Bochum)

Back to the Future?

Zur Produktion normativer Umrisse von ›Geschlecht‹ in der (christlichen) Theologie

Montag, 15.11.2010, 16.15 Uhr



In jüngerer Zeit hat sich das Diskursfeld ›Theologie und Geschlecht‹ stark pluralisiert. Im Umkreis Feministischer Theologien – einem in sich selbst heterogenen Strang, der bereits mit den 1960er Jahren anhebt – melden sich seit den 1990er Jahren sukzessive weitere Strömungen mit je spezifischen Gegenstandsbereichen, Methoden und Erkenntnisinteressen zu Wort: Theologische Frauen-, Männer-, Geschlechterforschung; Theologische Weiblichkeits-, Männlichkeits-, Geschlechtlichkeitsforschung; lesbische, schwule, bisexuelle, transgender Theologien; Men’s, Women’s, LGBT Studies in Religion; Queer Theologies … Der Prozess ihrer Ausdifferenzierung lässt sich als Nachvollzug desjenigen in den Gender Studies insgesamt rekonstruieren. Ganz analog reflektiert der Kampf um Terminologisches die je eigene geschlechtertheoretische und theologische Verortung sowie den Streit um Akademisierung vs. politisch-emanzipatorischen Impetus des Feldes.

Der Vortrag setzt mit einer knappen Kartographie dieses Panoramas ein (I.), bevor er sich dem Ansatz einer Theologischen GeschlechterDe-Konstruktion zuwendet (II.). Anhand exem-plarischer Modelle der christlichen Tradition (J. Ratzinger u.a.) werden im Hauptteil jene diskursiven Techniken untersucht, mittels derer theologische Anthropologie normative Umrisse von Geschlecht wirkmächtig produziert. Durch eine mehrschichtige Analyse treten neben den affir¬mativen Oberflächenfigurationen auch Bruchlinien und subversive Unterströmungen zutage, die, wie sich zeigen lässt, konstitutiv aus der ureigenen Logik des Christlichen resultieren. Das serielle Arrangement offenbart schließlich die auch im Religiösen unkontrollierbare Diversität des ›wahren Geschlechts‹ – weit über Dogmen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit hinaus. Am Ende des Vortrags stehen einige prinzipielle Überlegungen zum interdisziplinären Austausch zwischen Theologie und Geschlechterforschung (III.).


Univ.-Prof. Dr. Stefan Hirschauer (Soziologie Uni Mainz)

Über die Unterscheidung von Geschlechtern und Sexualitäten

Montag, 29.11.2010, 16.15 Uhr



Die Vorlesung befasst sich mit zwei Zusammenhängen: Zum einen mit dem von Zweisamkeit und Zweigeschlechtlichkeit, also mit der Frage, was das paarige Auftreten von Menschen mit ihrer kulturellen Teilung in zwei Geschlechtsklassen zu tun haben könnte. Zum anderen mit dem Zusammenhang zwischen der Unterscheidung von Geschlechtern und der von Sexualitäten. Wie ist die Unterscheidung von Homo- und Heterosexualität (und nicht etwa: Androphilen und Gynophilen!) mit der von Männern und Frauen verknüpft? Wegweisende Einsichten hierzu stammen schon von Woody Allan: Ich würde nie mit einem Mann meines Geschlechts unter die Dusche gehen.


Dr. Heinz-Jürgen Voss (Biologie Uni Bremen)

„Weiblichmännlich“, „männlichweiblich“ -

Historische und aktuelle biologische Geschlechtertheorien verweisen auf Gemeinsamkeiten zwischen „Frau“ und „Mann“ und auf viele Geschlechter


Montag, 06.12.2010, 16.15 Uhr



Biologisches Geschlecht ist gesellschaftlich hergestellt. Menschen werden in Gesellschaft hineingeboren und lernen in ihr; ihr Denk- und Sagbares ist damit durch Gesellschaft (u.a. Sprache) beschränkt. Das gilt auch für „biologisches Geschlecht“.

Die Annahme ist zu verwerfen, dass „biologisches Geschlecht“ außerhalb von Gesellschaft betrachtbar wäre. Auch bzgl. „biologischen Geschlechts“ geht es um Theorien – und diese wandeln sich, u.a. nach gesellschaftlichen Erfordernissen. Das wird in diesem Input deutlich und soll zur Diskussion anregen: Unterschiedliche Theorien über „biologisches Geschlecht“ werden vorgestellt (historisch und aktuell). Deutlich wird, dass nicht nur Argumente der Differenz, sondern auch der Gleichheit zweier Geschlechter in diesen prominent vertreten waren und sind. Sichtbar wird auch, dass Auseinandersetzungen stattfanden und stattfinden, dass also zu keiner Zeit nur eine Sichtweise verbreitet war, sondern Vertreter (später auch Vertreterinnen) verschiedener biologisch-medizinischer Geschlechtertheorien miteinander diskutierten.

Herausgestellt wird für aktuelle biologisch-medizinische Geschlechtertheorien, dass diese zunehmend zu dem Ergebnis gelangen, dass sich als geschlechtlich betrachtete Merkmale individuell (und im Vergleich verschiedener Menschen: vielgestaltig) ausprägen. So werden mittlerweile biologisch viele Geschlechter denkbar, statt nur zwei oder drei.


Dr. Julia Pfahl (Theaterwissenschaft Uni Mainz)

Körperinszenierungen

Montag, 13.12.2010, 16.15 Uhr



Das Spiel mit dem Körper, seine (bewusste und ostentative) Inszenierung ebenso wie seine Negation, zieht sich durch alle Epochen unserer Kultur. Sei es im Kontext historischer Schauspieldiskurse, vor dem Hintergrund subversiver Geschlechterpolitik oder im Zusammenspiel fiktiver Körper-Ideale und ihrer medialen Hervorbringung – Diskurse zu Verkörperung, Körperkult und Entkörperung stehen einander gegenüber und scheinen sich gleichzeitig wechselseitig zu bedingen.

Künstlerische wie kulturelle Phänomene, die mit der Überschreitung, Durchkreuzung bzw. Irritation vermeintlich eindeutiger Geschlechtergrenzen und Vorstellungen des Körpers spielen, stellen die scheinbare ontologische Normalität des binären Geschlechtermodells in Frage. Unter dem Schlagwort „Theatralität des Körpers“ spürt der Vortrag unterschiedlichen Formen dieser Inszenierungspraxis auf der Bühne und im Alltag nach und fragt nach der ästhetischen und sozialen Bedeutung des Body-Queering.


Dipl.-Psychologe Christoph Niepel (Psychologie Uni Trier)

Homosexuelle Identitäten im Blickfeld der empirisch-psychologischen Forschung - Theorien, Befunde und Meinungen

Montag, 20.12.2010, 16.15 Uhr



Weitere Infos folgen


Dr. Kerstin Brandes (Kunstwissenschaft Uni Oldenburg)

Queer/ing Kunst und Visuelle Kultur

Montag, 10.01.2011, 16.15 Uhr



Obgleich die repräsentationspolitische Frage der Sichtbarkeit ein zentraler Topos des queertheoretischen Diskurses ist, der sich mit den gegen die Normierung von Körper und Subjektivität gerichteten Problemstellungen verbinden lässt, wird sie selten als eine Frage des visuellen Feldes behandelt. In den queeren Debatten um Identitätskonstruktionen, Sichtbarkeit und Repräsentation steht eine Auseinandersetzung mit bildwissenschaftlichen Theorien erst ganz am Anfang. Umgekehrt sind zwar die Relevanz und das Potenzial von Queer Theory für die Kunstgeschichte wiederholt betont worden, aber auch hier hat eine dezidierte und systematische Nutzbarmachung bisher kaum stattgefunden. Dies zu tun scheint jedoch angebracht: zum einen, weil queertheoretische Perspektiven an die Kritik und Theoriebildung feministischer Kunstwissenschaften und kulturwissenschaftlicher Gender Studies anschlussfähig sind, sie ergänzen und auch weitertreiben können; zum anderen, weil queere künstlerische und kulturelle Praktiken selbst ‚andere Blicke‘ vorschlagen oder fordern; und drittens, weil sich mit einem disziplinenüberschreitenden Begriff „visuelle Kultur“ neue Herausforderungen stellen – bzw. alte Herausforderungen neu stellen –, die jenseits einer bloßen Erweiterung des Forschungsfeldes liegen.

Vor diesem Hintergrund stellt der Vortrag exemplarisch Thematisierungen und Darstellungsweisen von Queerness in Kunst und Visueller Kultur vor, fragt nach den subversiven und widerständigen Potenzialen eines queer reading sowie nach den Konsequenzen, die sich daraus für eine Politik der visuellen Repräsentation ergeben könnten.


Univ.-Prof. Dr. Peter Strasser (Rechtsphilosophie Uni Graz)

Die böse Krankheit AIDS - Phantasmen & Moralismen

Montag, 17.01.2011, 16.15 Uhr



Im Vortrag wird der medizinische Komplex HIV-AIDS in einen weiteren historischen und sozialen Kontext eingebettet. Aids teilt gewisse Merkmale mit jenen Leiden, die seit jeher die Diskriminierung der Betroffenen, ja brutale Gewaltanwendung gegen sie, zu rechtfertigen schienen.

1. Ein kurzer Exkurs zu den Bös-Kranken, wie wir sie in der Kriminologie des 19. Jahrhunderts – Stichwort: Lombrosos „geborener Verbrecher“ – bis hin zu den Pogromen der Nazis finden, soll an archaische Muster im Umgang mit Phänomenen erinnern, die kollektiv als „fremdartig“ oder „pervers“, gar als „untermenschlich“ etikettiert und mit Furcht, Hass und dem Willen zur Vernichtung abgewehrt werden. Es wäre naiv, diese Archaik für endgültig überwunden zu halten. Auch heute noch gibt es, auf der politisch Rechten und in klerikalen Kreisen, genügend Stimmungsmacher, die Homosexualität für abnorm und Aids für eine böse Krankheit, eine „Geißel Gottes“, halten.

2. Den alten und neuen Diskriminierungsimpulsen stehen Normalisierungskampagnen gegenüber, die sich heute weltweit auf eine Fülle von Aktivitäten stützen, bei denen freilich die Aufklärungsarbeit bisweilen in den Hintergrund rückt. Es dominieren dann die Symbole sexueller Wunscherfüllung, als ob man das HI-Virus besiegen könnte, indem man es ignoriert. Der Wiener Life-Ball ist seit langem ein derartiges Großereignis (2010 bildete er den Auftakt zur Internationalen Aids-Konferenz). Durch eine Spektakelkultur, wozu die Regenbogenparaden, Lesben- und Schwulenumzüge gehören, ist ein hohes Maß an sozialer Wahrnehmung erreicht worden, allerdings unter Inkaufnahme fragwürdiger Effekte:

Zum einen ist die von quotensensiblen Massenmedien und stimmungssensiblen Politikern plakativ transportierte Sympathie für die Lebensweise und Kultur sexueller Minderheiten umso wankelmütiger, je stärker sie sich auf die Äußerlichkeiten einer „Lebensfreude“ stützt, die in Wirklichkeit die Stimmung bei illustren Charity-Events und ästhetisch hochgezogenen Performances widerspiegelt. Eine bloße Gefühlssolidarität, gemischt mit der üblichen Portion Voyeurismus, kann jedoch jederzeit, unter veränderten politischen Randbedingungen und kollektivem Stress (samt der üblichen Suche nach Sündenböcken) in ihr Gegenteil umschlagen.

Zum anderen verstellen Regenbogenästhetik und erotischer Glamour nicht nur die Realität von Aids, sondern – einengender, indes umso bedeutsamer – die Realität des homosexuellen Lebens selbst. Ausgeblendet wird der ganz normale Alltag, besonders aber das Elend jener, die als Randständige, Infizierte, Drogensüchtige in Armut und Ächtung leben müssen. Mangelnde Informationen und das Fehlen eines kenntnisreichen Blicks auf gesellschaftliche Minderheiten ist seit jeher das Eldorado „moralischer Unternehmer“, die mit der Keule der Moralisierung beginnen, um – wie die Geschichte lehrt – nicht selten bei der Aufforderung zu enden, sich realer Keulen zu bedienen, ob es sich dabei nun um Gesetze oder Schlagstöcke handelt.

3. Im Vortrag wird dafür plädiert, die den liberalen Demokratien eigene Tendenz zur Anerkennung unterschiedlicher Lebensstile, ob religiös, ob sexuell, rechtsstaatlich zu nützen. Die Pflicht zur unbedingten Einhaltung menschenrechtlicher Prinzipien fordert eine vollständige Gleichstellung der homosexuellen Minderheit. Nur das Recht, das als legitim, weil prinzipientreu empfunden wird, ist in der Lage, eine emotional abgekühlte Form der Solidarität zu schaffen. Diese verlangt keine Sympathie, keine innere Identifikation, wohl aber lässt eine Rechtssolidarität am ehesten auf Stabilität hoffen – über schwankende Stimmungslagen und populistische Attacken hinweg.


Dr. Antke Engel (Institut für Queer Theory Berlin)

Verwandtschaft (durch-)kreuzen -

Die Politik des Inzests als heteronormative Regulierung des Sozialen


Montag, 24.01.2011, 16.15 Uhr



Der Vortrag wird sich mit der Frage befassen, inwiefern das Inzesttabu dazu beiträgt, heteronormative (also normativ heterosexuelle, rigide zweigeschlechtliche und geschlechterhierarchische) Verhältnisse aufrecht zu erhalten. Im Kontext der Queer Theory wird für ein „troubling kinship“, ein Durchkreuzen von Verwandtschaftsstrukturen plädiert. Argumentiert wird, dass die angebliche Stabilität verwandtschaftlicher Positionen und Hierarchien nur um den Preis zu erhalten ist, dass es für inzest-geborene Kinder keinen Namen und keine gesellschaftliche Sichtbarkeit gibt bzw. sie sogar als „monströse“ Unmöglichkeit gelten. Diese Kinder erfahren (auch als Erwachsene) die „normative Gewalt“ des Verwandtschaftssystems am eigenen Leib; ihre Subjektivität sitzt auf einer gewaltsamen sozialen Verdrängung auf.

Doch inwiefern lässt sich argumentieren, dass ein Durchkreuzen der Verwandtschaftsstrukturen eine Aufweichen heteronormativer Verhältnisse bewirkt? Um diese Frage zu beantworten, nimmt der Vortrag die politischen Bewegungen in den Blick, die für eine Aufhebung des Inzestverbots kämpfen. Wie wird in diesen Zusammenhängen für eine Abgrenzung inzestuösen Begehren und sexueller Gewalt argumentiert? Und was ist die politische Reichweite dieser Bewegungen? Bleibt die Arbeit gegen das Inzesttabu letztendlich einem heterosexuellen Paradigma verpflichtet, dass eine Vorrangstellung reproduktiver Verwandtschaftsverhältnisse bestätigt?


Kerstin Rüther M.A. und Marco Lehmann (Literaturwissenschaft Uni Mainz)

Die Liebe zu den Dingen –

Überlegungen zu Fetisch, Körper und Literatur

Montag, 31.01.2011, 16.15 Uhr



Wenn man über das Verhältnis von Kunst und Begehren nachdenkt, läßt sich das Konzept des Fetischismus offenbar nur schwer umgehen. In klassischer psychoanalytischer Lesart hat der Fetisch seinen Entstehungsort genau in der Differenz zwischen den Geschlechtern; er supplementiert, so die Pointe von Freuds einschlägiger Abhandlung, ein Objekt, das es nie gegeben hat - den Phallus der Mutter. Damit bewährt er sich als (obschon ambivalentes) Schutzschild gegen die Kastrationsdrohung, mit der das weibliche Genital den männlichen Blick konfrontieren soll. Indem er den von jenem ausgehenden Schrecken mildert, „erspart“ er „es dem Fetischisten auch, ein Homosexueller zu werden“ (Freud). Die libidinöse Besetzung toter Dinge, die Binet und Freud mit dem Begriff Fetischismus belegen, zeugt von der grundlegenden Künstlichkeit und Plastizität des sexuellen Begehrens. Dabei zieht schon der Terminus Fetischismus eine Parallele zu der überschüssigen Aufladung von Objekten, wie sie sich im der Bereich der Religion beobachten läßt, zu der Sphäre von sakralen Gegenständen und Reliquien also. Es verwundert nicht, daß Freuds Modell seinerseits wiederum für ästhetische Fragestellungen fruchtbar gemacht wurde und etwa eine psychoanalytisch inspirierte Literaturwissenschaft versucht hat, den poetischen Text tout court als Fetisch zu konzipieren.

Bei all dem erweist sich der ‘Fetisch’ nicht allein mit Blick auf die bei Freud offenkundigen gender-theoretischen Implikationen als ein problematischer Begriff, der dazu tendiert, „den Diskurs eines Verstehens eher abzuschließen“ denn zu öffnen (W. Genazino). Unter diesen Vorzeichen verdient es Beachtung, daß die Literatur sich schon lange vor Freud immer wieder intensiv für emphatisch und erotisch besetzte Objekte interessiert hat. Es geht dabei um solche Gegenstände, in denen sich eine affektive und/oder sexuelle Beziehung quasi materialisiert. Ihnen wird namentlich das Vermögen zugeschrieben, den abwesenden oder toten Körper des Geliebten zu vergegenwärtigen, zu dem sie entweder einmal ein Verhältnis der Kontiguität unterhielten oder aus dessen Bestandteilen (etwa Haaren, Knochen oder Zähnen) sie überhaupt erst angefertigt wurden. Der Vortrag möchte sich entsprechenden Szenarien anhand von ausgewählten Beispielen aus unterschiedlichen literarhistorischen Zusammenhängen zuwenden – von Chrétien de Troyes bis Hans Henny Jahnn. Dabei soll vor allem die Frage im Vordergrund stehen, inwieweit die Literatur Modelle eines fetischhaften Umgangs mit Objekten ausbildet, die als Alternativen zu Freuds Konzeption betrachtet werden können respektive von Freud ausgeblendete Aspekte des Phänomens ins Spiel bringen.


Dr. Marcus Stiglegger (Filmwissenschaft Uni Siegen)

Fetischismus im Film

(Achtung!) Mittwoch, 09.02.2011, 20.15 Uhr



Fetischismus – sexualpsychologisch die kultische Verehrung eines als auratisch betrachteten Gegenstandes und im weiteren Sinne eine queere Sexualneigung – spielt für das Medium Filme eine erhebliche Rolle. So ist die filmisch inszenierte Aura nicht nur mit kultisch verehrten Schauspielern (den Stars) verknüpft, sondern auch mit jenen Insignien, die deren Image prägten: Kleidung, Schmuck, Masken, Waffen, Fahrzeugen usw. Josef von Sternberg etwa inszenierte Marlene Dietrich auf diese Weise, und Erich von Stroheim verschmolz auf einzigartige Weise private Obsessionen mit filmischer Performanz. Der sexuell konnotierte Fetischismus wurde zudem immer wieder selbst zum Thema von Filmen: Von Luis Bunuel (BELLE DE JOUR) über Barbet Schroeder (MAITERSSE), Rainer Werner Fassbinder (QUERELLE) und William Friedkin (CRUISING) bis hin zu Tim Burton (BATMANS RÜCKKEHR) und aktuellen Eventfilmen wie die UNDERWORLD-Reihe und WATCHMEN. Der Vortrag wird die Bedeutung des Fetischismus für den Film erläutern und an prägnanten Beispielen illustrieren.


Diplom-Politologe Maurice Schuhmann (Politikwissenschaft FU Berlin)

Fetisch Performance Kultur

Montag, 14.02.2011, 16.15 Uhr



Auch und vor allem die medienwirksamen Auftritte der Burleske-Performerin Dita von Teese haben zu einer Renaissance der öffentlichen Wahrnehmung von Fetish Performance Kultur geführt. Dabei stellt Burleske nur einen Teil des Ganzen dar, das unter Fetish Performance Kultur gefasst werden kann. Diese drückt sich vorrangig in Szene-Events aus, sowohl im auf sich selbst bezogenen Kontext (z.B. „German Fetisch Ball“) als auch beispielsweise im Rahmen von Events der angrenzenden BDSM-Subkultur (Playpartys).

Ausgehend von einer Annäherung an den Begriff des Fetisch und einer exemplarischen Darstellung einer der Subkulturen, die sich auf ihn bezieht, wird die Bedeutung der Performance Kultur nachvollzogen, hinsichtlich der Konstituierung dieser Subkultur, ihrer Ausdrucksformen und der damit verbundenen Assoziationen ihrer Angehörigen. Berücksichtigung finden dabei auch einzelne fließende Übergänge zum Exhibitionismus und Voyeurismus, die einen prägenden Einfluss auf die kommerzielle wie auch auf die nichtkommerzielle Fetisch Performance Kultur ausüben.


Die Studierenden folgender Fächer können die Vorlesung studienrelevant (= Scheine, Modulinhalt) besuchen:

Germanistik/Deutsch (Magister / Staatsexamen)

Geschichte (Magister / Staatsexamen)

Philosophie (Magister / Staatsexamen)

Politikwissenschaften (Magister / Staatsexamen)

Soziologie (Diplom / Magister)

Pädagogik (Diplom / Magister)

B.A.s British Studies & American Studies

Kulturanthropologie (Enthalten in: Modul 6 Kernfach; Modul 5 Beifach)


Die Vortragsreihe wird vom AStA Schwulenreferat durchgeführt. Das Ablegen einer Prüfung ist nicht möglich.

Natürlich sind auch alle anderen Interessierten zur Vorlesung eingeladen.

Weitere Info und Kontakt:

Schwulenreferat im AStA der Universität Mainz

Telefon +49 6131 39-26851

E-Mail: schwule@asta.uni-mainz.de

Internet: http://www.schwulenreferat-mainz.de/