Brandstetter, Dr. Anna-Maria – Vortragsexposé – Sommersemester 2019

Themenschwerpunkt "Was darf Wissenschaft?"

Dr. Anna-Maria Brandstetter
Akademische Direktorin, Institut für Ethnologie und Afrikastudien ·
Kuratorin der Ethnografischen Studiensammlung, JGU Mainz

Was tun mit dem kolonialen Erbe in ethnografischen Sammlungen?

Montag, 24. Juni 2019, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Seit einigen Jahren wird in der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik intensiv und kontrovers über das koloniale Erbe in ethnologischen Museen und universitären Sammlungen diskutiert. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen Fragen nach der Provenienz der Objekte aus der Kolonialzeit und ganz besonders nach der Rechtmäßigkeit ihres Erwerbs. Das zunehmende gesellschaftliche Bewusstsein für eine ethische Verantwortung im Umgang mit kolonialen Sammlungen zeigt sich u.a. im ″Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten″, den der Deutsche Museumsbund mit Expert*innen aus Herkunftsländern/-gesellschaften diskutierte und erweiterte, und am neuen Förder­bereich ″Koloniale Kontexte″ im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste.
In dem Vortrag werde ich ausgehend von Objektgeschichten die verschiedenen Standpunkte, Vorschläge und ethischen Überlegungen erörtern. Ich werde zeigen, dass es gerade bei kolonialen Sammlungen um weit mehr als nur darum geht, den Erwerb und die Aneignung der Dinge in Europa zu untersuchen, was eine Fortführung des europäischen Blicks auf Sammlungen wäre. Ethnologische Forschung in kolonialen Sammlungen bedeutet vielmehr, dass wir mit Expert*innen aus den Herkunftsregionen der Sammlungen an diesen Sammlungen arbeiten und gemeinsam – und mit Sicherheit auch kontrovers – erarbeiten, wie solche historischen Sammlungen re-aktiviert werden können.

Anna-Maria Brandstetter ist promovierte Ethnologin und Akademische Direktorin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 1992 ist sie Kuratorin der Ethnografischen Studiensammlung. Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Erinnerung und Geschichte, materielle Kultur, Geschichte ethnografischer Sammlungen, (post-)koloniale Verflechtungsgeschichte und Politik. Ihre Forschungsreisen führten sie in den Kongo (Kinshasa), nach Südäthiopien und Ruanda. Sie publizierte u.a. über Erinnern und Geschichte in Ruanda sowie zu ethnologischen Sammlungen und deren Geschichte, u.a. Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und wissenschaftlichen Sammlungen (2018), herausgegeben mit Vera Hierholzer (open access: www.v-r.de/de/nicht_nur_raubkunst/t-1/1097499/). Sie ist Mitunterzeichnerin der Heidelberger Stellungnahme ″Dekolonisierung erfordert Dialog, Expertise und Unterstützung″ der Direktor*innen und Leiter*innen der Ethnologischen Museen und Sammlungen im deutschsprachigen Raum (www.ifeas.uni-mainz.de/1007.php) und Mitglied der AG Koloniale Provenienzen (im Arbeitskreis Provenienzforschung e.V.).

Abschließender Vortrag in dieser Reihe:
PD Dr. Christian Forstner

(Physiker und Wissenschaftshistoriker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Sonderforschungsbereich ″Schwächediskurse und Ressourcenregime″, Universität Frankfurt a. M.)
Die Erfindung der Verantwortung. Physiker und die Atombombe
Montag, 1. Juli 2019, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)