Themenschwerpunkt
"Wie fair ist Deutschland? Befunde und Perspektiven zur Geschlechtergerechtigkeit"
Dr. Christine Hohmann-Dennhardt
Landesministerin a. D. · Bundesverfassungsrichterin a. D. · Ehemaliges Mitglied des Vorstands der Daimler AG (2011–2015) und der Volkswagen AG (2016–2017)
Geschlechtergerechtigkeit – Juristische Fragestellungen
Dienstag, 05. Februar 2019, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
Der Kampf von Frauen um Gleichberechtigung reicht weit in die Geschichte zurück. Erst vor 100 Jahren wurden ihnen in Deutschland in der Weimarer Reichsverfassung gleiche staatsbürgerliche Rechte konzediert. Gleichberechtigung kehrte dadurch aber noch keineswegs ein. Auch Art. 3 Abs. 2 unseres Grundgesetzes, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen postuliert, wurde vom Gesetzgeber zunächst nicht ernst genommen und umgesetzt, sodass das Bundesverfassungsgericht des Öfteren einschreiten und verdeutlichen musste, dass diese Norm bindendes und einzuhaltendes Verfassungsrecht ist.
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wo und inwieweit das Recht immer noch diskriminierend wirkt und wie es zur Herstellung von Gleichberechtigung zum Einsatz gebracht werden kann. So kann man mittlerweile zwar konstatieren, dass es so gut wie kein Frauen unmittelbar diskriminierendes Recht mehr gibt, Frauen sich insbesondere im Bildungsbereich ihren Platz erobert haben und aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken sind. Immer noch stößt man aber auf Recht, das auf männliche Lebensmuster zugeschnitten ist oder Männer und Frauen zwar gleichbehandelt, aber mittelbar diskriminierend wirkt, weil es im Faktischen auf ungleiche Lebensverhältnisse von Männern und Frauen trifft. Wo dies der Fall ist, ist der Staat durch den in Art. 3 Abs. 2 GG seit 25 Jahren eingefügten Satz 2 angehalten, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Das Recht ist hier maßgebliches Mittel zur Erfüllung dieses Auftrags. Dabei ist allerdings vor allem die Frage nach wie vor umstritten, ob dies auch durch Quotenregelungen erfolgen kann bzw. soll. Recht als Steuerungsinstrument findet jedenfalls dort seine Grenze, wo es, auch wegen hergebrachter Rollenverständnisse, nicht in Anspruch genommen wird.
Dr. Christine Hohmann-Dennhardt ist Juristin und hat sich seit den 1970er Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen mit dem (Verfassungs-)Recht der Gleichberechtigung und seiner Durchsetzung befasst. Sie war Mitglied der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bund und Ländern, die nach der deutschen Wiedervereinigung den Auftrag hatte, Empfehlungen für eine Fortentwicklung des Grundgesetzes zu erarbeiten. Ein Ergebnis war die Ergänzung von Art. 3 Abs. 2 um seinen nunmehrigen Satz 2. Neben ihren wissenschaftlichen Studien konnte sie sich beim Thema Gleichberechtigung stets auch auf ihre Erfahrungen stützen, die sie sich, oft als erste und manchmal einzige Frau, in ihren beruflichen Positionen als Lehrende an Universitäten, als Richterin und Direktorin eines Gerichts, als Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt, als Ministerin der Justiz und später für Wissenschaft und Kunst des Landes Hessen, als Richterin des Bundesverfassungsgerichts und als Vorstandsmitglied zweier deutscher Automobilkonzerne erworben hat. Ihre weiteren fachlichen Schwerpunkte liegen im Arbeits-, Sozial- und Gesellschaftsrecht, im Verfassungsrecht und in der Compliance.
Publikationen zum Thema: Ungleichheit und Gleichberechtigung – Zur kompensatorischen Funktion der Frauenquoten in Rechts- und Sozialpolitik, Heidelberg 1982; Gleichberechtigung im Familienrecht, in: djb Aktuelle Informationen 1, 2006; Entfesselung. Von der Beharrlichkeit mentaler Strickmuster und patriarchaler Chefsesselbastionen, in: Herrschaftszeiten. Vom Leben in der Männerwelt, Hrsg. Friederike Girst, Köln 2009; Berufliche Gleichstellung von Frauen – Notwendigkeit und Formen einer Regulierung, in: Geschlechtergerechtigkeit, Festschrift für Heide Pfarr, Hrsg. Christine Hohmann-Dennhardt, Marita Körner, Reingard Zimmer, Baden-Baden 2010; Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz – ein verpflichtendes Erbe, in: Elisabeth Selbert und die Gleichstellung der Frauen: Eine unvollendete Geschichte, Hrsg. Hans Eichel, Barbara Stolterfoth, Kassel 2015.