VORTRÄGE IN DER MUSIKWISSENSCHAFT
Vortragsreihe des Musikwissenschaftlichen Instituts zum Themenschwerpunkt des Studium generale »NORMEN UND KULTUREN«
Dr. Helga Lühning (Bonn)
Edition und Werkvorstellung: Beethoven als Herausgeber seiner eigenen Werke
Donnerstag, 16. Februar 2006, 19.15 Uhr
Hörsaal des Musikwissenschaftl. Instituts (Philosophicum, linker Vorbau)
In der neueren Musikgeschichte ist Beethoven der erste Komponist, der nicht allein für den Konzertsaal, für die Aufführung und für den aktuellen Erfolg komponiert hat, sondern primär für die Publikation seiner Werke durch den Druck. Nicht der schwindende Augenblick des Erklingens ist sein Ziel, sondern die Unvergänglichkeit des gedruckten Opus. Daraus entwickelt sich eine neue Einstellung zur Niederschrift, zur Fixierung des Notentextes und darüber hinaus zur Werkhaftigkeit der Komposition. Die Vorstellung, dass eine musikalische Komposition ein in sich abgeschlossenes Werk sui generis sein könnte oder sollte – von Mozart und Haydn gerade erst angedacht – hat Beethoven bereits sehr weitgehend zum Prinzip entwickelt. Das prägt nicht zuletzt seine Rolle als Herausgeber. Beethoven bestimmte, welche Werke Opus-Nummern erhalten und welche nicht, legte die Nummerierung fest und bereitete damit sein eigenes chronologisches »Werke«-Verzeichnis vor. Er entwickelte ein durchorganisiertes Verfahren für Korrekturen und für die Drucklegung, die er genauestens überwachte. Die Stichvorlagen (sofern erhalten) oder die Originalausgaben sind die definitiven Zeugnisse seines Autorwillens.
Beethovens emphatischer Werkbegriff, durch den die Flüchtigkeit der musikalischen Kunst gewissermaßen in der Unvergänglichkeit des Notendrucks aufgehoben ist, wurde nicht nur zur ästhetischen Kategorie, sondern er bildete auch die Basis für die wissenschaftliche Musikedition. Deren Prinzipien entwickelten sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts gleich mit dem ersten großen Unternehmen, der Gesamtausgabe der Werke Johann Sebastian Bachs, und wirken im Wesentlichen bis heute fort. Dabei wurden der klassizistische Werkbegriff und die Endgültigkeit des überlieferten Textes mehr oder weniger stillschweigend in jeder komponierten, künstlerisch gestalteten Musik vorausgesetzt – vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, in der Instrumentalmusik ebenso wie in der Vokalmusik. Erst allmählich wird bewusst, dass Werkvorstellung und Edition auf einander zu beziehen sind, dass nicht jede Komposition ein Werk ist und dass jedes musikalische Werk, das tatsächlich eines ist, seine eigenen Darstellungsformen einfordert.
Dr. Helga Lühning hat in Berlin und Erlangen studiert und war nach ihrer Promotion zunächst Assistentin an der Universität Erlangen. Seit 1981 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Beethoven-Archiv Bonn, wo sie unter anderem mit der Edition der Werke Beethovens beschäftigt ist. Von 1991 bis 2003 war Frau Dr. Lühning Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Freien musikwissenschaftlichen Forschungsinstitute. In dieser Funktion hat sie zahlreiche Veranstaltungen zur Musikedition geleitet.
Abschließender Vortrag dieser Reihe:
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Osthoff (Würzburg)
Die Neunte Sinfonie und Schiller
Donnerstag, 23. Februar 2006, 19.15 Uhr, Hörsaal des Musikwissenschaftlichen Instituts