Dr. Michael Bachmann · Vortragsexposé · Wintersemester 2009/2010

Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Drama und Theater und das Studium generale laden im Rahmen der Ringvorlesung
WENDEZEITEN UND EPOCHENUMBRÜCHE: DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT HISTORISCHEN ZÄSUREN IM DRAMA
zu folgendem Vortrag ein:

Dr. Michael Bachmann
(Institut für Theaterwissenschaft, Universität Mainz)

Inszenierte Zeugenschaft: Vom Umgang mit Auschwitz in Theater und Film

Montag, 9. November 2009, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)

Ein Paradox kennzeichnet die Zeugenschaft von und nach Auschwitz: Für den Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden Primo Levi sind die "wahren" Zeugen der Shoah die Opfer, die umgebracht wurden, bevor sie Zeugnis ablegen konnten. Mit dieser Einschätzung negiert er nicht die Möglichkeit der Holocaust-Zeugenschaft. Vielmehr leitet Levi aus ihr die Verpflichtung ab, auch das zu bezeugen was – mit den Worten Giorgio Agambens – "intestimoniabile" (unbezeugbar) bleibt, weil es sich um Erfahrungen handelt, auf die sich nur jene beziehen können, denen sie fehlen. Die Überlebenden sprechen für die abwesenden Zeugen und an deren Stelle. Die Möglichkeit der "stellvertretenden" Zeugenschaft, die bei Levi aufscheint, ist zugleich Bedingung und Grenze des künstlerisch vermittelten Zeugnisses. An verschiedenen Beispielen – u. a. an den Bühnenfassungen des Tagebuchs der Anne Frank oder an Roman Polanskis Film The Pianist (2002) – analysiert der Vortrag unterschiedliche Strategien der Inszenierung von Zeugenschaft in Theater und Film seit den fünfziger Jahren.

Dr. Michael Bachmann studierte Theaterwissenschaft, Politikwissenschaft und Deutsche Philologie in Mainz und Paris. Von 2004–2008 promovierte er im Rahmen des Internationalen Promotionsprogramms Performance and Media Studies mit einer Arbeit zu Autorisierungsstrategien in Darstellungen der Shoah (Der abwesende Zeuge, Francke 2009). Seit 2007 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mainzer Institut für Theaterwissenschaft. Letzte Veröffentlichungen (Auswahl): "(1968) Ein Aufnahmezustand – Klang/Körper und Ideologiekritik im Neuen Hörspiel", in Politik mit dem Körper: Performative Praktiken in Theater, Medien und Alltagskultur, hg. von Friedemann Kreuder u. Michael Bachmann, Transcript 2009; "Derrida on Film: Staging Spectral Sincerity", in The Rhetoric of Sincerity, hg. von Ernst van Alphen, Mieke Bal u. Carel Smith, Stanford University Press 2008.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Brigitte Schultze (Institut für Slavistik, Universität Mainz)
Diktatur als ›Zivilisationsbruch‹:
Die Stücke des Befreiten Theaters von Voskovec und Werich (1933–1938)
Montag, 16. November, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)