THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
"BIOLOGISCH DETERMINIERT? MENSCHSEIN ZWISCHEN ZWANG UND AUTONOMIE"
Dr. Tobias Deschner (Leipzig)
Die Entwicklung von Kultur bei wildlebenden Schimpansen
Dienstag, 6. Januar 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
Kultur bestimmt weite Bereiche der menschlichen Identität. Ihre Bedeutung für das menschliche Selbstverständnis und die menschliche Entwicklung der Wahrnehmung hat dazu geführt, dass eine Reihe von Forschern Kultur als ein ausschließliches Kriterium des Menschseins betrachten. Ist dies tatsächlich so? Die vergleichende Anthropologie definiert Kultur als ein System an sozial (im Gegensatz zu genetisch) übertragenen Verhaltensweisen. Unter Verwendung dieses Kulturbegriffes weist eine wachsende Anzahl von Studien das Vorkommen von kulturellen Verhaltensweisen bei einer Reihe von Tierarten nach. Schimpansen, mit ihrer Vielzahl an kulturellen Verhaltensweisen nehmen dabei einen besonderen Platz ein. Kulturelle Verhaltensweisen von wildlebenden Schimpansen können im Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme stehen, so etwa das Knacken von Nüssen oder das Fischen von Ameisen. Auch in sozialem Kontext gibt es kulturelle Unterschiede zwischen Populationen, wie zum Beispiel beim "grooming handclasp" oder dem "leaf clipping". Die Beobachtung und Analyse von kulturellen Unterschieden zwischen Schimpansenpopulationen und der Vergleich mit kulturellen Verhaltensweisen beim Menschen erlauben uns einen faszinierenden Einblick in unsere eigene Stammesgeschichte. Aber gerade in dem Moment, in dem wir anfangen, uns diesen enormen Schatz an Wissen zu erschließen, wächst die Gefahr, dass sich dieses Fenster für immer verschließt. Menschliche Gier nach Rohstoffen bedroht die letzten Populationen frei lebender Schimpansen in Afrika. Ohne schnelles Eingreifen des "kultivierten" Menschen werden Schimpansen innerhalb der nächsten Jahrzehnte aussterben.
Dr. Tobias Deschner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Studium der Biologie bis zum Vordiplom an der Universität Heidelberg. Hauptstudium an der Universität Hamburg und der Indiana University in Bloomington, USA. Promotion 2004 an der Universität Leipzig. Seit 2004 Leiter der Arbeitsgruppe Verhaltensendokrinologie am MPI EVAN in Leipzig. Forschungsschwerpunkte sind Sexualverhalten und Endokrinologie von Menschenaffen. In Zusammenarbeit mit der Wild Chimpanzee Foundation (www.wildchimps.org) setzt sich Dr. Deschner für den Schutz von wildlebenden Schimpansen ein.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Regine Kollek (Technologiefolgenabschätzung, Universität Hamburg)
Prädiktive Genetik im Spannungsfeld von selbst bestimmter Lebensführung und Gesundheitsverantwortung
Dienstag, 13. Januar 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)