Dr. Wolfgang Kraushaar – Vortragsexposé – Sommersemester 2005

THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
»WIDERSTAND UND VERANTWORTUNG«

Dr. Wolfgang Kraushaar
Politikwissenschaftler, Hamburger Institut für Sozialforschung

Protest und Widerstand.
Zur Bestimmung des Differenzpunktes

Montag, 20. Juni 2005, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

Protest ist ein positioneller Begriff. Er richtet sich gegen einen Mißstand, deckt auf, klagt an, macht öffentlich, wendet sich an Bündnispartner, schlägt Lösungsmodelle vor und versucht Schritte zu ihrer praktischen Umsetzung in Gang zu bringen. Protest an sich macht keinen Sinn. Er entsteht nicht im luftleeren Raum. Nur in Beziehung zu etwas, in kritischer, oppositioneller oder gegnerischer Haltung zu einem Machthaber oder einer Machtinstanz gewinnt er seine Bedeutung. Mit dem Protest wird eine Beziehung zu einem Gegenüber aufgebaut, zu dem- oder denjenigen, an die sich der Appell, die Aufforderung, zuweilen auch eine Drohung, richtet. Damit kommt eine Person, Institution oder Organisation ins Spiel, ein Ausschnitt des politischen Systems, in das Appellierende und Handelnde aufeinander bezogen sind. Und in dieser Konstellation geht es um bestimmte Problemstellen, um Mängel, Widersprüche, Krisen- und Gefahrenherde. Insofern ist der Protest immer schon eingebunden in das System, in dem er auftritt. Er ist negativ eingebunden, indem er sich gegen einen Mangel oder Mißstand richtet; er ist positiv eingebunden, indem er auf dessen Behebung, Überwindung oder Veränderung abzielt. Mit dem Begriff des Widerstands wird dagegen nicht einfach nur das Terrain des Protests ausgeweitet, sondern auch eine doppelte Grenze überschritten – in praktischer wie in legitimatorischer Hinsicht. Während sich der Protest auf einen als legal zugestandenen Spielraum beziehen kann, hält sich der Widerstand nicht an diesen Rahmen. In einem Rückblick auf die Protestbewegungen in der Geschichte der Bundesrepublik soll geklärt werden, an welchem Punkt die Propagierung von Widerstandsformen mit der Verfassung in Konflikt geraten sind.

Dr. Wolfgang Kraushaar, Jahrgang 1948; seit 1987 Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung; Forschungsschwerpunkt: Geschichte der Protestbewegungen in Bundesrepublik und DDR (1949–1990). 2004 Gastprofessur an der Beijing Normal University.

Ausgewählte Publikationen: Die Protest-Chronik 1949-1959, Bd. I-IV, Hamburg 1996; Frankfurter Schule und Studentenbewegung, Bd. I-III, Hamburg 1998; 1968. Das Jahr, das alles verändert hat, München 1998; 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000; Linke Geisterfahrer. Denkanstöße für eine antitotalitäre Linke, Frankfurt/Main 2001; Fischer in Frankfurt - Karriere eines Außenseiters, Hamburg 2001; Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005.

Nächster Vortrag dieser Reihe:
PD Dr. Stefanie Schmahl (Potsdam/Regensburg)
Rechtsstaat und Widerstandsrecht
Montag, 27. Juni 2005, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)