HD Dr. Ursula Kramer – Vortragsexposé – Wintersemester 2004/2005

VORTRÄGE IN DER MUSIKWISSENSCHAFT
Vortragsreihe des Musikwissenschaftlichen Instituts
KOMPONISTEN UND IHRE LEKTÜRE

HD Dr. Ursula Kramer (Mainz/Göttingen)

»Ganz erfüllt von Kreißler, Krespel und anderen Musikgespenstern«: Richard Wagner und die Literatur

Donnerstag, 13. Januar 2005, 19.00 Uhr
Hörsaal des Musikwissenschaftl. Instituts (Philosophicum, linker Vorbau)

Dass Opernkomponisten lesen, erscheint zumal im 19. Jahrhundert nicht gerade ungewöhnlich. Doch bei Wagner war es – wie so manches – anders; seine Lektüre war nie unmittelbar funktional auf die Suche nach einem zur Vertonung geeigneten Stoff ausgerichtet.
Elternhaus und Schule hatten dem Jungen frühzeitig eine gigantische Welt von Homer über Shakespeare bis hin zur zeitgenössischen romantischen Literatur eröffnet, die dieser nicht nur zur Kenntnis nahm, sondern in seiner Person weiterlebte. Mochte es in der Jugendzeit auch zunächst spontane Nachschöpfun¬gen von Gelesenem gegeben haben, so wirkten die Eindrücke später wesentlich langfristiger und tiefgründiger nach; dies gilt besonders für Wagners Beschäftigung mit mittelalterlicher Literatur und seiner Konzeption des Musikdramas um 1850.
Aber gab es auch einen ganz privaten Leser Wagner? Wann hat er sich mit welchen Werken beschäftigt und warum? Wo lagen seine Vorlieben, wem galten seine Vorbehalte?
Der Vortrag versucht, diese Fragen anhand von exemplarischen Beispielen und Lebenssituationen zu be¬antworten. Dabei verrät die Art seiner Lektüre auch eine Menge über die Person Wagners: nach eigenen Äußerungen liest er »selten das, was vor mir steht, sondern das, was ich hineinlege« – Lesen also nicht nur im üblichen Sinne als Akt von Rezeption, sondern durchaus immer wieder benutzt als Folie für die eigenen Lebenskonstellationen. – Im Zusammenhang mit dem relevanten Quellenmaterial wird demnach auch das schwierige Phänomen der Selbstinszenierung Wagners zu thematisieren sein: seidene Schlaf¬anzüge und reich ausgestattete Bucheinbände liegen da nahe beieinander.

Ursula Kramer, nach Studium von Musikwissenschaft, Schulmusik und Germanistik vier Jahre Tätigkeit als Dramaturgin am Staatstheater in Mainz; danach Hochschulassistentin und -dozentin am Musikwissenschaftlichen Institut in Mainz; seit Sommersemester 2004 Lehrstuhlvertretung am Musikwissenschaftlichen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen. – Forschungsschwerpunkte: Oper des 19. Jahrhunderts, Singspiel und Schauspielmusik des späteren 19. Jahrhunderts, Bläserkammermusik.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Tobias Untucht, M. A. (Mainz)
Literaturrezeption in der Popmusik
Donnerstag, 27. Januar 2005, 19.00 Uhr, Hörsaal des Musikwissenschaftlichen Instituts