Prof. Dr. Martin Haspelmath – Vortragsexposé – Wintersemester 2018/2019

Themenschwerpunkt
"Warum wir reden müssen – Kultur und Sprache"

Prof. Dr. Martin Haspelmath
Linguist am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena Honorarprofessor, Universität Leipzig

Evolution und Anpassung in den Sprachen der Welt

Montag, 17. Dezember 2018, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Schon seit den 1860er Jahren gibt es immer wieder Diskussionen um die Ähnlichkeiten zwischen biologischer und sprachlicher Entwicklung, die in letzter Zeit in der Linguistik immer stärkere Popularität erlangt haben. Das geht so weit, dass fast jede Art von Sprachwandel mit dem Etikett der ″Evolution″ versehen wird. Ob das abgesehen von einem Prestigegewinn weiterführt, ist nicht immer klar, aber in diesem Vortrag geht es mir um ein Thema, das auch in der neueren Diskussion oft vernachlässigt wird: Die evolutionäre Anpassung von Sprachsystemen. Anpassung oder Adaptation war schon lange vor Darwin eine unbestrittene Eigenschaft in allen Bereichen der Biologie, aber in der Linguistik wird der Begriff der Anpassung selten verwendet. Hier möchte ich dafür argumentieren, funktional-adaptive Prozesse und Strukturen in der Linguistik ebenso ernst zu nehmen wie in der Biologie. Im Wortschatz ist die Anpassung nicht so evident, obwohl man sie auch hier findet (z.B. mehr verschiedene Wörter für Schnee und Eis in zirkumpolaren Sprachen). Besonders deutlich ist die Adaptation in der Grammatik, und zwar insbesondere bei asymmetrischen Markierungen und bei der Wortstellung. Im Vortrag werde ich diese Behauptung anhand von verschiedenen Sprachen aus aller Welt illustrieren, aber es finden sich meistens auch Beispiele aus dem Deutschen oder Englischen. Ich möchte zeigen, dass viele sprachliche Universalien einen adaptiven Ursprung haben, und dass man zu ihrer Erklärung meistens keine angeborene Universalgrammatik braucht.

Martin Haspelmath, geb 1963; Studium der Allgemeinen Sprachwissenschaft, Historisch-Vergleichenden Sprachwissenschaft und Slawistik in Wien, Köln, Buffalo (USA) und Moskau. Promotion 1993 mit einer Arbeit zu den Indefinitpronomina in den Sprachen der Welt, Habilitation 1996, jeweils an der Freien Universität Berlin. Von 1998 bis 2015 leitender Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, seit 2015 am MPI für Menschheitsgeschichte in Jena. Haspelmaths Forschungsschwerpunkt ist seit jeher die vergleichende Grammatik der Sprachen der Welt.
Wichtige Werke sind The World Atlas of Language Structures (Mitherausgeber 2005; wals.info), The Atlas of Pidgin and Creole Language Structures (Mitherausgeber 2013; apics-online.info), Understanding morphology (Mitherausgeber 2002; Glottolog.org).

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Uwe Hinrichs

(Professor em. für Südslavische Sprach- und Übersetzungswissenschaft einschließlich Südosteuropa-Linguistik, Universität Leipzig)
Veränderungen der Sprache durch Migration
Montag, 7. Januar 2019, 18:15 Uhr, Hörsaal N1 (Muschel)