PD Dr. Sabine Obermaier – Vortragsexposé – Wintersemester 2004/2005

IAK MEDIÄVISTIK / STUDIUM GENERALE

ANGST UND TERROR IM MITTELALTER

PD Dr. Sabine Obermaier

Höllenangst, Kriegerangst, Liebesangst – Narrative Räume für Angst im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke

Donnerstag, 13. Januar 2004, 18.15 Uhr, P 3 (Philosophicum)

Als Minneroman der „ersten Stunde“, der Möglichkeiten des höfischen Erzählens erprobt, bildet der ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke (vor 1190) ein günstiger Ausgangstext für die Frage: Wo wird wie und wozu von Angst erzählt? Belege für angest und vorhte finden sich hier vor allem in drei Kontexten:
a) im Kontext der Unterweltfahrt des Eneas, wo die Angst des Helden als ein Zeichen dafür dient, dass das Vertraute verlassen wird; die Angst wird damit zum Indikator für eine äußere Situation der radikalen Fremdheit;
b) im Kontext mit Kampf und Krieg (oft als ‚verneinte‘ Angst), wo die Angst mehrere Funktionen erfüllen kann: als Kontrastfolie für Heldenhaftigkeit, zur (direkten und indirekten) Kennzeichnung des unterlegenen Gegners und schließlich als Indikator für ein Bewusstsein besonders großer Gefahr; und
c) im Kontext der beiden Liebeshandlungen, wo die Angst nicht nur benannt, sondern auch narrativ gestaltet wird, wo nicht nur die Protagonistinnen Dido und Lavinia, sondern auch der Held Eneas von sich sagen darf: „Ich habe Angst, ich fürchte“ und wo die Angst tatsächlich als psychischer Modus Thema werden kann, ohne dass sie gerechtfertigt werden muss. Dies ist möglich, weil die Angst – auch in der Liebestheorie – als wesentliches Ingrediens der Liebe begriffen wird.

PD Dr. Sabine Obermaier, geboren 1963 in Konstanz, Studium der Deutschen Philologie, Philosophie, Publizistik und Theaterwissenschaft in Mainz und Wien, Promotion 1992, Habilitation 2002, beides in Mainz, seit 1989 am Deutschen Institut der Universität Mainz tätig (inzwischen als Akademische Oberrätin), fachlicher Schwerpunkt: Deutsche Literatur des Mittelalters.

Wichtige Veröffentlichungen: Von Nachtigallen und Handwerkern. ‚Dichtung über Dichtung‘ in Minnesang und Sangspruchdichtung, 1995; Das Fabelbuch als Rahmenerzählung. Intertextualität und Intratextualität als Wege der Interpretation des Buchs der Beispiele der alten Weisen Antons von Pforr, 2004 [i.D.].