Themenschwerpunkt des Studium generale
"Zur Kulturalität von Emotionen. Grundprobleme der Kulturbegegnung"
Prof. DDr. Michael Fischer (Salzburg)
Die Bühne als Ort emotionaler Betroffenheit. Über dunkle Legenden
Montag, 15. Juni 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)
Jede Zivilisation braucht ein Ventil für den sich steigernden Anpassungsdruck, einen kathartischen Mechanismus, der die Gesellschaft vor dem Rückfall in die Barbarei bewahrt. Ritual, Exzess, Kult sind keineswegs Luxus, sondern für das zivilisierte Zusammenleben unverzichtbar. Sprachen entstehen mit spezifischen Rhetoriken. Die Bühne wird der klassische Ort der Sprache. Dort wird deutlich, dass Expression und Emotion ökonomischen Kriterien unterliegen, weil sie Interesse wecken und so Aufmerksamkeit institutionalisieren. Das Theater hat seinen Ursprung im Ritus bewahrt, nicht zuletzt, weil die im Theater versammelten Akteure und Zuschauer zu Komplizen der symbolischen Entblößungen, Fehltritte, Mordtaten auf der Bühne werden. Auch die Theatralisierung des Hochleistungssports brilliert gerade durch ihre Künstlichkeit. Der Tod als Grenze, die nicht überschritten werden darf, zu deren Verletzung die Protagonisten ständig angereizt werden: Verbot und Stimulierung zur Übertretung des Verbots garantieren die Echtheit der Emotionen, des Ereignisses. Untergründig beherrscht den Sport immer die Verbindung von Eros und Tod. Keine Leidenschaft ohne Inszenierung. Und die Inszenierung führt uns in die Gewaltlaboratorien der Künste. Verschmilzt Kunst, wie in den Anfängen, mit dem Totenkult?
Gewaltphantasien sind elementarer Bestandteil ästhetischer Produktion. Die antike Tragödie und Shakespeares Stücke sprechen eine deutliche Sprache, denkt man nur an die Brutalität und Folter bei "Titus Andronicus" (1592) oder "King Lear" (1604/1605). Herrschaftsräume werden dabei als emotionsfreie Experimentalbetriebe der Gewalt gezeigt. Wer Mitleid hat, stirbt, wer gewalttätig ist, überlebt. Shakespeares Welt ist für eine glatt gebügelte Ästhetik nicht geeignet. Einschaltquoten liefern damals wie heute die Tötungstechniken und Todesarten der Seele oder des Körpers. Karten werden ja gekauft, um sich zu erregen und aufzuregen. Zuschauer, Schauspieler und Akteure sind im Hier und Jetzt der Bühne anwesend, übernehmen Verantwortung. Daher resultiert häufig die Wut auf Tabuverletzungen im Theater aus der Selbstentblößung. Riskant ist Ästhetik für den Konsumenten, das Publikum allemal. Wird uns das Wahrgenommene hinwegreißen, zu einer Absage an die fundierte Moral führen? Die Erschütterung des Logos auf der Bühne kann sich zu einer Rezeption bündeln, die der Mittelmäßigkeit des Vernünftigen eine Absage erteilt. Umgekehrt kann nicht mit Sicherheit die Gefahr vermieden werden, dass gerade die ästhetische Integration des Tabuisierten seiner weiteren Rationalisierung dient. Aber ohne das Risiko einer tatsächlichen Verletzung des Zuschauers wäre eine solche Ästhetik ohnmächtig.
Univ. Prof. DDr. Michael Fischer, geb. 1945 in Prag; Dr. jur. 1969, Dr. phil. 1972; Univ. Doz. für Rechts- und Sozialphilosophie sowie Politikwissenschaften 1979; Universitätsprofessor 1982; Honorarprofessor für Kulturwissenschaften an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt 2007; seit 2003 Fachbereichsleiter des Fachbereichs Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Salzburg; Professuren und Gastprofessuren an den Universitäten Zürich, Tübingen, Innsbruck, Graz und Klagenfurt. Seit 1994 Leiter der Salzburger Festspiel-Dialoge.
10 Monographien, zuletzt "Vernunft als Norm. Gesellschaftskonstruktion und Lebenshorizont" 2005; umfangreiche Tätigkeit als Herausgeber, darunter der Schriftenreihe "Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsphilosophie" (Peter Lang Verlag, bisher 20 Bände) und "Ethik transdisziplinär" (Peter Lang Verlag, bisher 9 Bände) sowie über 150 Beiträge in Sammelbänden und Fachzeitschriften.
!!!Achtung: Vortrag von Prof. Walter, 29. Juni, fällt aus!!!