Studium generale: Mainzer Universitätsgespräche
WELT OHNE STILLSTAND – BEWEGUNG ALS PRINZIP
Prof. Dr. Achim Köddermann
(Philosophy Department, SUNY College at Oneonta)
Philosophische Konzepte und Modelle der Bewegung
Mittwoch, 23. Nov. 2011, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
Alle Philosophie ist ihrer Natur nach Philosophie der Bewegung. Bewegung ist Veränderung, und Veränderung ist der Pfad, auf dem und über den wir die Welt begreifen. Der Vortrag wird ein Spaziergang durch die Geschichte der Philosophie: Bereits der Rigveda ist, mit der Aufteilung der Welt in Gegensätze, der Beginn einer Philosophie der Bewegung. ″Der Krieg ist der Vater aller Dinge″ sagt Heraklit – und beschreibt damit die Gegensätzlichkeit der erkennbaren Welt als Grundvoraussetzung allen Verstehens, den Übergang als einzig konstantes: ″Panta rhei″ – alles fließt, bewegt sich, ist im Fluss; ohne Bewegung kein Wissen. Platon begreift den Eros als ausgleichende Kraft zwischen natürlichen Gegensätzen. Aber wenn das Verschiedene zur Eintracht-Einfachheit verbunden werden soll, wie es auch der rhythmische Tanz in Harmonie als Ziel hat, kommt es dann zur Ruhe, zum Stillstand? Durch Eros als Ausgleich zwischen den Gegensätzen wird vielmehr Bewegung zum Prinzip. Die Reise führt weiter vom statischen Aristotelisch-Cartesischen Zeitverständnis über dialektische Ansätze, um schließlich im ″linguistic turn″ – oder der Wende der Sprache in der Hermeneutik zu enden.
Widersprüchlich sind die vielen gegenseitig widerstrebenden Bewegungen, die heute die Metamorphose der Philosophie selbst beschreiben. Essayistisch steht sie oft da, fragmentarisch oder unsystematisch. Im Tao, als unausweichliche Bewegung, hat dies Prinzipcharakter. Jeder Aufbruch ins Neue muss ein Bild der Veränderung sein – die Bilder, die wir sehen, rasen an uns vorbei. Vilém Flusser, Philosoph der Geschwindigkeit einer neuen, schnelleren Zeit, kommt darin um: Welt ohne Stillstand, Bewegung als gefährliches Prinzip.
Dr. Koeddermann, Promotion in Philosophie 1991 (JGU Mainz), Inhaber des Lehrstuhls für angewandte Philosophie an der Staatsuniversität von New York (SUNY), College at Oneonta. Schwerpunkte seiner Lehre und Forschung liegen in der Hermeneutik, der Kultur-, Umwelt- und Medienphilosophie, u.a. Avicennas Verbindung zwischen Philosophie und Wissenschaft. Zuletzt hat er sich als Generalsekretär des Senats der SUNY erfolgreich für die Umsetzung von Prinzipien der Nachhaltigkeit eingesetzt. Er bereist Taschkent, Samarkand und Buchara, um sich für die Umsetzung der Entwicklungsnormen der Vereinten Nationen in Zentralasien zu engagieren. Z. Zt. arbeitet er an einem neuen Studiengang für angewandte Philosophie und einem Buch über Philosophie des Tanzes.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
PD Dr. Dietrich Einzel (Bayerische Akademie der Wissenschaften · TU München)
Von Newton bis Schrödinger ̶ Bewegung in der Physik
Mittwoch, 30. November 2011, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)