Prof. Dr. Alfred Gall – Vortragsexposé – Wintersemester 2007/2008 – ID 1067

Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Drama und Theater und das Studium generale laden im Rahmen der Ringvorlesung
DAS KÜNSTLERDRAMA ALS SPIEGEL ÄSTHETISCHER UND GESELLSCHAFTLICHER TENDENZEN
zu folgendem Vortrag ein:

Prof. Dr. Alfred Gall (Institut für Slavistik, Univ. Mainz)

Das Künstlerdrama als Gesellschaftsdrama:
"Gospoda Glembajevi" ("Die Glembays") von Miroslav Krleža

Mittwoch, 12. Dezember 2007, 18.15 Uhr, P 3 (Philosophicum)

Mit dem Drama "Gospoda Glembajevi" (1928) eröffnet Miroslav Krleža (1893–1981) seine Dramentrilogie über den Aufstieg und Niedergang einer kroatischen Familie und fokussiert die Spätzeit der Habsburger Monarchie. Am Beispiel des Malers Leone Glembay, der am Vorabend des Ersten Weltkriegs nach einem langjährigen Aufenthalt in Westeuropa zu seiner Familie zurückkehrt, zeigt sich der historisch-gesellschaftliche Umbruch auch als Krise der Kunst und des Künstlers. Dabei richtet Krleža in seinem Drama den Blick weniger auf Probleme der Kunst selbst, sondern fokussiert gesellschaftliche sowie kulturelle Rahmenbedingungen von Kunst, deren Legitimität nicht allein wegen kunstimmanenter Probleme angezweifelt wird, sondern auch aus historisch-politischen Gründen fragwürdig wird. In der Figur des Malers Leone Glembay steigert sich die in spannungsreichen Dialogen vorgeführte Erosion einer großbürgerlichen Gesellschaftsschicht zum Verlust letzter Gewissheiten. Auch die Kunst bietet in einer Welt, die in Dunkelheit versinkt, keine Orientierung mehr: "Alles in uns ist dunkel, meine liebe Beatrice". Leone Glembays Worte offenbaren eine Ratlosigkeit, die auch das Künstlertum in Mitleidenschaft zieht. Der historische Wandel reißt das Individuum aus seinen sozialen Verankerungen und wirft es auf sich selbst zurück, ohne sichere Grundlagen kann es freilich keine neuen Perspektiven entwerfen. Auch die Kunst bietet keinen Ausweg; sie scheint vielmehr selbst die Desintegration Leone Glembays voranzutreiben.
Im Vortrag soll das in Krležas Drama entfaltete Verhältnis zwischen historisch-gesellschaftlichem Wandel und Legitimitätskrise der Kunst erörtert werden.

Alfred Gall, geb. 1971 in Walenstadt (CH), seit 2006 Professor für westslavische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und wissenschaftlicher Leiter des Mainzer Polonicums. Studium in Zürich und Sankt-Petersburg (1991–1996), Assistent am Slavischen Seminar der Universität Zürich, Promotion 2000, 2000 bis 2001 Forschungsaufenthalt in Warschau, Habilitation 2004. 2005 Gastprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte: Polnische, russische, serbische sowie kroatische Literatur und Kultur v. a. des 19. und 20. Jahrhunderts, Systemtheorie, Poststrukturalismus, Literaturgeschichte. Publikationen: Hermetische Romantik: Die religiöse Lyrik und Versepik F. N. Glinkas aus systemtheoretischer Sicht. Slavica Helvetica, Bd. 67. Bern etc. 2001; Performativer Humanismus. Die Auseinandersetzung mit Philosophie in der literarischen Praxis von Witold Gombrowicz. Mundus polonicus, Bd. 1. Dresden 2007.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Dr. Ewa Makarczyk-Schuster (Institut für Slavistik, Univ. Mainz) und Dr. Karlheinz Schuster
Stanisław Ignacy Witkiewicz: Am Ende die Kunst
Mittwoch, 19. Dezember 2007, 18.15 Uhr, P 3 (Philosophicum)