Prof. Dr. Arbogast Schmitt – Vortragsexposé – Sommersemester 2015

Themenschwerpunkt des Studium generale:

SCHULD UND STRAFE

Prof. Dr. Arbogast Schmitt

(Universität Marburg/Freie Universität Berlin )

Odysseus und Aeneas.

Zwei Grundformen selbstbestimmten Handelns in einer von Göttern gelenkten Welt

Montag, 4. Mai 2015, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Odysseus und Aeneas stehen in der Antike für zwei grundlegend voneinander verschiedene Deutungen der Möglichkeit einer freien Selbstbestimmung des Menschen in einer Welt, in der er vielfältigen Determinierungen ausgesetzt ist. Vergil zeigt in Aeneas eine Person, deren Handeln in ein von Zeus selbst durchgängig bestimmtes Schicksal eingebunden ist. Er ist deshalb aber nicht unfrei, Vergil führt vielmehr immer wieder vor, wie Aeneas von sich aus in das ihm Vorgegebene einstimmt. 'Er kann, weil er will, was er muss' (frei nach Kant). In prägnanter Zusammenfassung lässt Vergil Jupiter selbst das Verhältnis von Schicksal und Freiheit darlegen: 'Was jeder von sich aus in Angriff nimmt, bringt ihm Leid oder Glück. König Jupiter ist für alle derselbe. Das Schicksal findet seinen Weg' (Aeneis 10, 111–113). Auch bei Homer ist immer wieder die Rede davon, dass sich im Handeln der Menschen 'der Plan des Zeus' erfülle. Auffällig ist, dass bei Homer Leid und Glück der Menschen nicht einfach davon abhängt, ob sie in den göttlichen Schicksalsplan einstimmen oder sich ihm eigensinnig widersetzen, sondern davon, ob sie sich dem Gott gemäß verhalten. Athene sagt zu Odysseus: 'Wir beide verstehen uns auf den wahren Vorteil, wie ich unter den Göttern für meine (praktische) Klugheit gerühmt bin, so bist Du es unter den Menschen. … Deshalb kann ich Dich im Unglück nicht verlassen…'. Wer sich in seinem Handeln weniger nach Athene richtet wie etwa Telemach oder Achill, erhält auch eine nur eingeschränktere Unterstützung durch Athene, wer sich ganz von der Vernunft Athenes abwendet, wie einmal Hektor oder grundsätzlich Pandaros, muss die schlimmen Folgen seiner Abwendung erfahren. Die Götter stehen bei Homer nicht für eine vollständige Determinierung des Weltgeschehens, sondern für Möglichkeiten, die zu ergreifen oder nicht zu ergreifen im Bereich der dem Menschen zu Gebote stehenden Vermögen liegt. – Diese beiden Weisen, Freiheit zu verwirklichen: durch Zustimmung zu einem unabänderlichen Kausalnexus oder durch das Ergreifen von Möglichkeiten, die nicht durch den Menschen in der Welt sind, die zu nutzen oder nicht zu nutzen aber in seiner freien Verfügung steht, wurden auch in der Philosophie der Antike diskutiert. Darauf und auch auf die unterschiedliche Rezeption dieser Positionen in Mittelalter und Moderne sollen im Vortrag am Ende wenigstens einige Ausblicke gegeben werden.



Arbogast Schmitt war Professor für Klassische Philologie in Mainz und Marburg und ist zur Zeit Honorarprofessor an der FU Berlin. Er studierte Gräzistik, Latinistik, Germanistik und Philosophie in Würzburg und Berlin und ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften bzw. Akademien. – Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Antike-Moderne-Antithese, Homer, griechische Tragödie sowie Platon und Aristoteles. – Wichtige Publikationen: Selbständigkeit und Abhängigkeit menschlichen Handelns bei Homer. Hermeneutische Untersuchungen zur Psychologie Homers, Stuttgart 1990. Die Moderne und Platon. Zwei Grundformen europäischer Rationalität, 2., überarb. Aufl., Stuttgart 2008 [englische: Modernity and Plato. Two Paradigms of Rationality, Rochester, NY, 2012]. Aristoteles, Poetik. Übersetzung und Kommentar, 2. Auflage 2011. Denken und Sein bei Platon und Descartes. Kritische Anmerkungen zur ,Überwindung‘ der antiken Seinsphilosophie durch die moderne Philosophie des Subjekts, Heidelberg 2011.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. P. DDr. Georg Braulik O.S. B.

(Professor i. R. für Alttestamentliche Bibelwissenschaft, Institut für Bibelwissenschaft, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Wien)

Lohnverweigerung und Sippenhaftung. Zu 'Schuld und Strafe' im Gesetz Moses

Montag, 11. Mai 2015, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)