STUDIUM GENERALE: MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE
"WAS IST GERECHTIGKEIT?"
Prof. Dr. Axel Honneth (Frankfurt a. M.)
Das Gewebe der Gerechtigkeit.
Über die Grenzen des zeitgenössischen Prozeduralismus
Mittwoch, 11. Februar 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)
In den Debatten um eine philosophische Theorie der Gerechtigkeit herrscht seit einigen Jahrzehnten ein Prozeduralismus vor, der besagt, dass wir uns theoretisch darauf beschränken müssen, normativ nur die demokratischen oder fairen Verfahren auszuzeichnen, mit deren Hilfe die Bürgerinnen und Bürger dann selbst über die Ausgestaltung einer wohlgeordneten, gerechten Gesellschaft entscheiden sollen. Dieser liberale Konsens stößt aber insofern immer wieder auf Grenzen, als die Auszeichnung der entsprechenden Prozeduren nur möglich ist, wenn zugleich die Voraussetzungen benannt werden, unter denen die Beteiligten als Freie und Gleiche miteinander beratschlagen können; und dabei spielen zwangsläufig inhaltliche Vorstellungen über die elementaren Bedingungen eine Rolle, die die Bürgerinnen und Bürger dazu befähigen, sich ebenbürtig an solchen Verfahren zu beteiligen. Philosophische Theorien der Gerechtigkeit lassen sich nicht substantiell soweit entkernen, dass sie am Ende nur die möglichst sparsame Idee einer rechtfertigenden Prozedur übrigbehalten; vielmehr müssen sie stets auch hypothetisch über die Köpfe der Betroffenen hinweggreifen, indem sie Vorschläge unterbreiten, wie wir die sozialen Voraussetzungen von Freiheit und Gleichheit angemessen verstehen sollen. Der Vortrag will aber nicht nur diese eher methodologischen Fragen erörtern, sondern ineins damit auch schon die Grundannahmen einer alternativen Gerechtigkeitskonzeption entwickeln.
Prof. Dr. Axel Honneth, geb. 1949 in Essen, studierte Philosophie, Soziologie und Germanistik in Bonn, Bochum und Berlin. Nach Professuren an der Universität Konstanz und der FU Berlin ist er heute Professor für Sozialphilosophie an der Goethe-Universität und Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt/Main. Axel Honneth gilt als einer der wichtigsten Vertreter der kritischen Theorie in Fortführung der "Frankfurter Schule"; Ehrendoktorwürde der Universität Lüneburg 2008. Buchpublikationen: Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie (1985), Die zerrissene Welt des Sozialen (1989, erw. Auflage 1999), Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte (1992, erw. Auflage 2003), Desintegration. Bruchstücke einer soziologischen Zeitdiagnose (1994), Das Andere der Gerechtigkeit (2000); Leiden an Unbestimmtheit. Versuch einer Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie (2001), Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität (2003), zus. mit Nancy Fraser: Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse (2003), Verdinglichung. Eine anerkennungs-theoretische Studie (2005), Pathologien der Vernunft. Geschichte und Gegenwart der Kritischen Theorie (2007), zus. mit Beate Rössler (Hg.): Von Person zu Person. Zur Moralität persönlicher Beziehungen (2008); Axel Honneth ist Mitherausgeber der "Deutschen Zeitschrift für Philosophie", der "WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung" sowie der Zeitschrift "Constellations. An International Journal of Critical and Democratic Theory".