Themenschwerpunkt des Studium generale
"Das gute Leben"
Prof. Dr. Dr. Robert Hettlage (Universität Regensburg)
Askese als Bedingung des Glücks?
Alte und neue Problemhorizonte
Montag, 24. Juni 2013, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)
Auf den ersten Blick scheint sich ein krasser Gegensatz zwischen Glücksstreben und Askese aufzutun, denn letztere steht heute gemeinhin für moralinsaure Glücksfeindlichkeit. Eine sorgfältigere, historisch instruierte Begriffsbestimmung belehrt uns eines anderen. In der alteuropäischen Tradition, um die es hier hauptsächlich geht, wurde das Glück immer eng an die Selbstdisziplinierung gebunden. Das hängt damit zusammen, dass man das Glück nicht so sehr als Laune des Schicksals (fortuna) und auch nicht als schnelle Zufriedenheit (Lustbefriedigung), sondern seit Aristoteles als Ergebnis einer die eigene Lebensspanne als Ganze in Betracht ziehenden, guten Lebensführung (eudaimonia) begriff. Wer seinem Leben einen solchen Antrieb (daimon) zu Grunde legte, konnte auf die Notwendigkeit nicht verzichten, sich eine entsprechende Arbeit am eigenen Charakter, an den Denk- und Gefühlsschemata zu verschreiben. Diese Daueranstrengung, um das "gute Leben" zu erreichen, nannte die alte Tradition "Tugend" – ein Begriff, der lange Zeit in der politischen Philosophie eine tragende Rolle spielte und erst in der Neuzeit eine verzerrende Begriffsentleerung erfuhr.
Robert Hettlage, em. Professor für Soziologie an der Universität Regensburg. Studium der Volkswirtschaftslehre, Philosophie und Soziologie an der Universität Fribourg/Schweiz. Dr. rer. pol. 1969, Dr. phil. 1971; seit 1981 Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Regensburg; Gastprofessuren an den Universitäten St. Gallen und Trento (Italien). Mehrjähriges Mitglied des Vorstands der Schweizer Gesellschaft für Soziologie; langjähriges Mitglied der Redaktion der Schweizerischen Zeitschrift für Soziologie; Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Beiräten. Forschungsschwerpunkte im Bereich Wirtschafts-, Kultur- und Entwicklungssoziologie, der Familiensoziologie, der Genossenschafts- und Migrationsforschung, der Europäischen Integration und des Grenzgebiets zwischen Sozialphilosophie und soziologischer Theorie. Veröffentlichungen u. a.: Familienreport. Eine Lebensform im Umbruch, München 1998; Identitäten in der modernen Welt, Wiesbaden 2000; Verleugnen, Vertuschen, Verdrehen. Leben in der Lügengesellschaft, Konstanz 2003; Die europäische Gesellschaft, Konstanz 2006; Der europäische Raum. Die Konstruktion europäischer Grenzen, Wiesbaden 2007; "Selbstdisziplin: Begründungen, Normen und Praktiken asketischer Lebensweisen", in: Bellebaum, Alfred & Hettlage, Robert (Hrsg.): Glück hat viele Gesichter, Wiesbaden 2010, 173–202.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Dr. Michelle Becka
(Projekt »Ethik im Justizvollzug«, Abteilung für Sozialethik, Katholisch-Theologische Fakultät, Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Sumaj Kawsay – ›Gut leben‹ in den Anden zwischen Weltanschauung, Ethik und Politik
Montag 1. Juli 2013, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)