Prof. Dr. Elmar Altvater – Vortragsexposé – Sommersemester 2008

1968 TRANSNATIONAL
Ringvorlesung mit dem Historischen Seminar

Prof. Dr. Elmar Altvater
Berlin

Wie die 68er Bewegung zur Kritik der politischen Ökonomie gekommen ist

Donnerstag, 3. Juli 2008, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

Die "68er-Bewegung" hat ihre Ursprünge Jahre vor 1968. Durch Nationalsozialismus und Krieg, infolge der erzwungenen Emigration vieler linker Wissenschaftler, auch wegen der Spaltung Deutschlands und dann in der Adenauer-Ära, die ja eine Zeit des "Wirtschaftswunders" war, verschwand an den Universitäten mit wenigen Ausnahmen (Werner Hofmann, Erich Preiser u. a.) kritische Wirtschaftstheorie und insbesondere eine "Kritik der politischen Ökonomie", noch dazu eine, die sich auf Marx und die marxistische Tradition berufen hätte. Rinnsale einer kritischen Tradition blieben freilich in zumeist außeruniversitären Studienzirkeln gegen den Mainstream erhalten, und man konnte sich auf Schriften aus anderen Ländern berufen, z. B. auf diejenigen aus dem Umkreis der Zeitschrift "monthly review", auf die Publikationen von Paul M. Sweezy, Paul A. Baran oder Harry Magdoff. Eine preiswerte Quelle politisch-ökonomischer Literatur waren auch die Veröffentlichungen in der DDR. Dort gab es nicht nur "Das Kapital" von Marx billig zu kaufen, sondern auch vor dem August 1968 (Niederschlagung des Prager Frühlings) eine Reihe von kritischen Beiträgen zur politischen Ökonomie des Sozialismus. An den Analysen zum "staatsmonopolistischen Kapitalismus in Westdeutschland" konnte sich die "Neue Linke" kritisch abarbeiten. Wichtig war auch die Analyse der "Wirtschaftswunder" durch Franz Jánossy, dessen Werk als Manuskript aus Budapest lange vor seiner deutschen Publikation im Verlag des SDS "Neue Kritik" zirkulierte. Seine Interpretation des Nachkriegsbooms hat in der Studentenbewegung viel zum Verständnis der Rolle der universitären Intelligenz im modernen Kapitalismus beigetragen, bevor dann ab Beginn der 1970er Jahre eine breite "Kapital"-Lesebewegung entstand mit ihren vielfältigen, manchmal eher philologischen als politischen Versuchen, mit Marx die moderne Welt besser zu verstehen: Das Ende des Wirtschaftswunders in Westeuropa, die Weltwährungskrise am Ende der Bretton Woods-Ära, die ungleichen Austauschbeziehungen zwischen Norden und Süden, die ökonomischen Hintergründe des Vietnam-Krieges oder die Ursachen der spontanen Klassenkämpfe in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern am Ende der 1960er Jahre (Pariser Mai '68, der italienische "autunno caldo", die wilden Streiks in Deutschland 1969).

Prof. Dr. Elmar Altvater ist Prof. em. für Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin.
Auswahl der jüngsten Veröffentlichungen: 1997 (mit Frigga Haug, Oskar Negt u. a.): Turbokapitalismus. Gesellschaft im Übergang ins 21. Jahrhundert. VSA-Verlag Hamburg; 2002 (mit Birgit Mahnkopf): Globalisierung der Unsicherheit – Arbeit im Schatten, schmutziges Geld und informelle Politik; 2005: Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik; 2007 (mit Birgit Mahnkopf): Konkurrenz für das Empire – Die Zukunft der Europäischen Union in der globalisierten Welt.

Nächster Vortrag dieser Reihe:
Boris Kanzleiter (Osteuropa-Institut der FU Berlin)
1968 in Jugoslawien – Studentischer Protest zwischen Ost und West
Donnerstag, 10. Juli 2008, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)