Prof. Dr. Frank Göbler – Vortragsexposé – Sommersemester 2005

Kolloquium: GESCHICHTE DER THEATERKRITIK

Veranstaltung des Interdisziplinären Arbeitskreises für Drama und Theater
in Zusammenarbeit mit dem Studium generale am
Freitag, 22. Juli 2005, 11.00–18.15 Uhr
Samstag, 23. Juli 2005, 9.00–13.15 Uhr
Fakultätssaal, R 01-185 (Philosophicum)

Vortragsexposé:

Prof. Dr. Frank Göbler
(Institut für Slavistik, Universität Mainz)

Zwischen Marxismus und Avantgarde: Anatolij Lunačarskij als Theaterkritiker

Der russische Schriftsteller, Kritiker und Kulturpolitiker Anatolij Lunačarskij (1875-1933) war seit seiner Jugend überzeugter Marxist, schloß sich 1903 den Bolschewiki an und ging nach der russischen Revolu-tion von 1905 ins Exil. Nach dem Oktoberumsturz 1917 wurde er in der sowjetischen Regierung Volkskommissar für Bildungswesen und bemühte sich in dieser Funktion um die Einbeziehung unterschiedlichster Konzeptionen in die aufzubauende Sowjetkultur. Die literarische Tradition und die akademischen Theater gehörten hierzu ebenso wie die experimentellen Ansätze der Avantgarde. In einer ersten kurzen Phase als Theaterkritiker (vor der Emigration) hatte Lunačarskij die „Aufgaben der Theaterkritik“ (1904) formuliert. Nach 1917 begleitete er die Entwicklungen im Theatersektor nicht nur administrativ, sondern auch durch regelmäßige Rezensionen und Aufsätze. Besonderes Interesse verdienen hierbei die Ausführungen zum kommunistischen Theater sowie die kritische Auseinandersetzung mit einzelnen Theatern wie dem Moskauer Künstlertheater sowie mit den Regisseuren Mejerchol’d und Tairov. Ab 1929 wurde Lunačarskij schrittweise entmachtet, sein theaterkritisches Werk, soweit es auf die Integration innovativer Kräfte abzielte, durch die kulturpolitische Gleichschaltung der 1930er Jahre zunichte gemacht.

Frank Göbler, Jg. 1957, Studium und Promotion in Köln. Habilitation 1991, danach Lehrtätigkeit an den Universitäten Frankfurt/Main, Heidelberg und Würzburg. Seit 1997 Professor am Institut für Slavistik der Universität Mainz.

Buchveröffentlichungen: Vladislav Chodasevič. Dualität und Distanz als Grundzüge seiner Lyrik (1988), Das Werk Aleksej K. Tolstojs (1992); Herausgeber von Sammelbänden und Editionen, zuletzt: Don Juan – Don Giovanni – Don Žuan. Europäische Deutungen einer theatralen Figur (2004), Wolfgang Kasack: Der Tod in der russischen Literatur (2005), Russische Emigration im 20. Jahrhundert. Literatur - Sprache - Kultur (2005); Herausgeber der Reihen „Deutsch-russische Literaturbeziehungen. Forschungen und Materialien“ sowie (mit Rainer Goldt) „Arbeiten und Texte zur Slavistik“.