Prof. Dr. Frank Göbler · Vortragsexposé · Wintersemester 2009/2010

Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Drama und Theater und das Studium generale laden im Rahmen der Ringvorlesung WENDEZEITEN UND EPOCHENUMBRÜCHE: DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT HISTORISCHEN ZÄSUREN IM DRAMA zu folgendem Vortrag ein:

Prof. Dr. Frank Göbler
(Institut für Slavistik, Universität Mainz)

Zeit der Wirren. Die russische Staatskrise des frühen 17. Jahrhunderts im Spiegel der Dramatik

Montag, 25. Januar 2010, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)

Nachdem im 16. Jahrhundert die Grundlagen für das russische Zartum geschaffen worden waren, trat dieses um die Wende zum 17. Jahrhundert in eine tiefe Krise, ausgelöst durch den ersten Zaren selbst. Ivan IV. erschlug 1581 den rechtmäßigen Thronfolger, seinen ältesten Sohn. Nach Ivans Tod 1584 gelangten ungeeignete und schlecht legitimierte Zaren auf den Thron, unter ihnen der "falsche Dmitrij". Das Vertrauen in die Gottgewolltheit der Zarenherrschaft wurde dadurch so sehr erschüttert, dass Rußland sich erst nach einem dreijährigen Interregnum mit der Wahl Michail Romanovs zum Zaren 1613 wieder stabilisierte. Dieser Stoff gehört zu den produktiven der europäischen Dramenliteratur. Die russischen Bearbeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts stellen eine Vielzahl von Aspekten der historischen Vorgänge heraus: die Legitimationsproblematik, die Dialektik von Macht und Schuld, die Rolle des Volkes, den Antagonismus kultureller und religiöser Traditionen usw. Aktuelle Bezüge werden zwar nie explizit gemacht, sind aber bisweilen im Kontext der ideologischen Debatten ihrer Entstehungszeit durchaus nachvollziehbar. Ein interessanter Nebenaspekt des Themas ist das Verhältnis der Dramen zu den jeweiligen Theaterkonventionen und der gattungsgeschichtlichen Entwicklung.

Univ.-Prof. Dr. Frank Göbler (*1957). Studium, Promotion und Assistententätigkeit an der Universität zu Köln. Habilitation ebendort 1991. Nach Lehrtätigkeit an den Universitäten Frankfurt a. M., Heidelberg und Würzburg seit 1997 Professor für Slavische Literaturwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Monographien über die russischen Dichter V. F. Chodasevič (1988) und A. K. Tolstoj (1992). Buchveröffentlichungen der letzten Jahre (als Herausgeber): Don Juan – Don Giovanni – Don Žuan. Europäische Deutungen einer theatralen Figur. Tübingen, Basel 2004; Russische Emigration im 20. Jahrhundert. Literatur – Sprache – Kultur. München 2005; Das Künstlerdrama als Spiegel ästhetischer und gesellschaftlicher Tendenzen. Tübingen 2009.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Dr. Ewa Makarczyk-Schuster und Łukasz Neca (Mainz)
Über Leben. Różewicz und Klata
Montag, 1. Februar 2010, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)