Prof. Dr. Frank Heidlberger – Vortragsexposé – Wintersemester 2005/2006

VORTRÄGE IN DER MUSIKWISSENSCHAFT
Vortragsreihe des Musikwissenschaftlichen Instituts
zum Themenschwerpunkt des Studium generale
NORMEN UND KULTUREN

Prof. Dr. Frank Heidlberger (Denton/Texas)

«La Damnation de Berlioz»
Macht und Religion als biographisch-musikalische Konstruktion

Donnerstag, 24. November 2005, 19.15 Uhr
Hörsaal des Musikwissenschaftl. Instituts (Philosophicum, linker Vorbau)

Zu den Konstanten der Berlioz-Kritik gehört die Behauptung, der geniale Komponist sei areligiös und unpolitisch gewesen, und habe stattdessen seinem geliebten Shakespeare sowie romantischen Idealen eines Lord Byron nachgeträumt. Dieser Vortrag geht unterdessen von der gegenteiligen These aus, dass ein Großteil von Berlioz’ Werk politische und religiöse Macht werkästhetisch konstruiert und gerade deshalb »romantisch« ist – allerdings nicht im Sinne der deutschen Romantik mit ihrem idealistisch-träumerischen Zug, sondern im Sinne der französischen, die in hohem Maße politisch war und sein musste.
Gleichwohl äußert sich Berlioz’ politische und religiöse Haltung nicht im pragmatischen Sinne – Berlioz war nicht Mitglied der Saint-Simonisten wie Liszt und schrieb keine politischen Pamphlete wie Hugo – , sondern symbolisch transformiert durch seine zentralen Werke, vor allem durch solche, die von religiösen Themen handeln oder gar im engeren Sinne liturgisch sind. Zu diesen beiden Kategorien zählen die frühe Messe solenelle (1824), das Requiem (1837), das Te Deum (1848–52) und – als Oratorium mit lockerem biblischem Bezug – L’Enfance du Christ (1850–1854). Eine Diskussion von Ursache und Wirkung bio¬graphisch-historischer Verhältnisse sowie des werk- und schaffensästhetischen Konnexes zwischen diesen Werken soll die These der »biographisch-musikalischen Konstruktion« hinterfragen und das Verständnis für eine differenzierte Berlioz-Kritik fördern.

Frank Heidlberger ist Professor für Musiktheorie (historischer Schwerpunkt) an der University of North Texas, Denton. Er schrieb und edierte Bücher über Carl Maria von Weber, Hector Berlioz, Französische Musikkritik des 19. Jahrhunderts, Instrumentalmusik des 16. Jahrhunderts und veröffentlichte Aufsätze zur Musikgeschichte des 16. bis 20. Jahrhunderts, darunter Studien zur inszenierten Präsentation der Oper in Massenmedien, zu Richard Strauss und Paul Hindemith. Derzeit vorwiegend Forschungs- und Publikationstätigkeit zu Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts sowie intensive internationale Vortragstätigkeit. – Prof. Heidlberger ist Herausgeber der Zeitschrift Theoria – Historical Aspects of Music Theory (UNT press) sowie zweiter Vorsitzender der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft (Berlin). Er ist außerdem als Saxophonist und Klarinettist in Ensembles für Neue Musik aktiv.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Dr. Peter Brenner (Mainz)
Was ist Werktreue bei der Inszenierung von Opern?
Donnerstag, 8. Dezember 2005, 19.15 Uhr, Hörsaal des Musikwissenschaftlichen Instituts