Prof. Dr. Hans Bertram – Vortragsexposé – Wintersemester 2013/2014

Studium generale: Mainzer Universitätsgespräche

"Die erschöpfte Gesellschaft"



Prof. Dr. Hans Bertram (Humboldt-Universität zu Berlin)

Die überforderte Generation

Mittwoch, 15. Januar 2014, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)



1957 publizierte Helmut Schelsky sein Buch "Die skeptische Generation" über die damals 15- bis 25-Jährigen. In der "Zeit" beschrieb Leona Siebenschön 1970 eindringlich diese pragmatische Generation, die das Private besonders schätzte und sich in den siebziger Jahren plötzlich in einer Auseinandersetzung mit einer Jugend befand, die rebellisch nach neuen Idealen und neuen Perspektiven suchte. Allerdings hat diese Generation die achtziger Jahre und auch die Wiedervereinigung stark geprägt und vermutlich haben ihr dabei genau der Pragmatismus und ihre Vernunft sehr geholfen.

Heute als Großeltern haben sie es mit einer Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun, die ihnen möglicherweise ähnlicher ist als jene Generation der 70er und 80er Jahre, mit der sie sich auseinandergesetzt haben. Doch der Pragmatismus, die Vernunftsorientierung, auch die Skepsis gegenüber großen Ideen und Heilsversprechen basiert bei der heutigen jungen Generation nicht mehr auf jener furchtbaren Erfahrung der Großeltern, die ohne Jugend gleich erwachsen geworden sind, sondern eher auf der zunehmenden Einsicht, dass trotz einer glücklichen und wohlhabenden Kindheit, hohen Bildungsqualifikationen und einer reichen Gesellschaft sich die Versprechen der Kindheit, ihre eigene Zukunft zu gestalten, vermutlich nicht einlösen lassen. Denn sie sind auf der einen Seite wenige, die auf ihren Schultern die vielen der vorhergehenden Generation tragen sollen. Sie sind andererseits zwar unglaublich gebildet, aber die Wege in die Berufswelt sind unsicher und unüberschaubar geworden: auf einzelne Stellen bewerben sich häufig 100 und mehr gleich gut qualifizierte andere junge Erwachsene, so dass plötzlich der Weg ins Erwachsenwerden schwierig wird und häufig auch erst nach einem langen Anlauf erreicht werden kann. Musste die skeptische Generation teilweise ohne Kindheit gleich erwachsen sein, wird bei der überforderten Generation das Erwachsenwerden hinausgezögert und die Übergänge in die Selbstständigkeit sind außerordentlich schwierig. Diese Entwicklungslinien nachzuzeichnen und auch daraus einige politische Schlussfolgerungen abzuleiten, ist Ziel des Vortrags.



Prof. Dr. Hans Bertram, Jg. 1946, verheiratet mit Prof. Dr. Birgit Bertram, 3 Söhne. Studium der Soziologie, Psycholo­gie und Jura in Münster und Mannheim. 1981–1984 Lehrstuhl für Soziologie, Universität der Bundeswehr in München. 1984–1993 Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Jugendinstituts, München. Seit 1992 Professor für Mikrosoziologie, Humboldt-Universität zu Berlin. Schwerpunkte (u.a.): Familienforschung, Sozialer Wandel. Mitgliedschaften und Funktionen in wissenschaftlichen Organisationen (Auswahl): Seit 2004 Vorsitzender des Beirats für Familienpolitik der Landesregierung Brandenburg, seit 2006 Mitglied von UNICEF Deutschland, seit 2007 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Mitglied des Kuratoriums der McDonald's Kinderhilfe Stiftung, Mitglied des Kuratoriums des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, Rostock, seit 2011 Mitglied des Review Panel NCCR LIVES sowie seit 2012 Mitglied des Council of Advisors of Population Europe.



Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. Dr. Johannes Siegrist

(Seniorprofessor für Psychosoziale Arbeitsbelastungsforschung, Institut für Medizinische Soziologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)

Erschöpfung in der modernen Arbeitswelt:

Ursachen, gesundheitliche Folgen und präventive Maßnahmen


Mittwoch, 22. Januar 2014, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)