Themenschwerpunkt des Studium generale
"Strategien der Kommunikation. Argumentation, Logik, Rhetorik"
Prof. Dr. Hans Jürgen Heringer (Augsburg)
Macht und Ordnung oder Moral und Argumentation?
Montag, 23. November 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
In einer beliebten Kolumne der Süddeutschen Zeitung erörtert der Moralexperte Dr. Dr. Rainer Erlinger regelmäßig Gewissensfragen wie die folgende:
″Wir haben in Brüssel unser Auto verkauft und abgemeldet und in Deutschland, unserem Zweitwohnsitz, ein neues zugelassen. Danach haben wir erfahren, dass es in Brüssel eine Umweltprämie gibt, wenn man sein Auto dort abmeldet: eine Jahreskarte für Bus und Trambahn. Wir könnten diese bekommen, meine Freundin fände es aber moralisch nicht korrekt, weil wir ja weiterhin ein Auto haben. Was sagen Sie?″
Wir alle stehen nicht gerade täglich, aber immer wieder vor Situationen, in denen wir uns fragen: Soll ich das tun? Darf ich das tun? Mit meinem Titel werden zwei Modelle skizziert, die in unserer Gesellschaft konkurrieren. Das MA-Modell: Moral und Argumentation appelliert an das freie, verantwortungsbewusste, aufgeklärte rationale Individuum. Es basiert auf einem moralischen Prinzip. Das Definiens des moralischen Prinzips ist: Es muss universalisierbar sein. Das MO-Modell basiert auf Gesetzen und ihrer Durchsetzung. Wie im Rahmen dieser Vortragsreihe zu erwarten, wird Prof. Heringer nicht für das zweite Modell plädieren und es öfter nur streifen.
Das MA-Modell wird an diversen Beispielen diskutiert, etwa an Fairness im Sport. Auch hier sollte sich erweisen, dass Argumentation essentiell ist. Moral hat aber auch einen öffentlichen Aspekt und auch hier greift Argumentation, hier allerdings kommunikative und öffentliche Diskussion. Das wird exemplifiziert an einem spektakulären juristischen Fall, der mit dem sog. Mörderzitat zu tun hat. Und dabei wird es wesentlich auch um juristische Argumentation gehen, die sich letztlich als Instanz des MO-Modells erweist, dessen Bedrohlichkeit einst Kafka so dargestellt hat:
″Von Saal zu Saal stehen aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.″ (Franz Kafka, Der Prozess)
Hans Jürgen Heringer (geb. 1939), Studium der Germanistik und Romanistik in Heidelberg und Mainz, Professor für Germanistische Linguistik in Heidelberg (1969) und Tübingen (1971), für Deutsch als Fremdsprache in Augsburg (1981), Gastprofessuren in Kopenhagen, Graz, Barcelona, Paris Sorbonne, Dudenpreisträger 1989. – Bücher (in Auswahl): Theorie der Deutschen Syntax (2. Aufl. 1973), "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort". Politik, Sprache und Moral (1991), Grammaire allemande (1996), Interkulturelle Kommunikation. Grundlagen und Konzepte (2. Aufl. 2007), Morphologie (2009), Die Stille Post: Redewiedergabe in Zeitungen. Eine sprachkritische Analyse (erscheint demnächst).
Nächster Vortrag dieser Reihe:
Prof. Dr. Margarete Imhof (Psychologisches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
″Hört auch jemand zu?″ – Oder: Von der Kunst des Zuhörens
Montag, 30. November 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)