Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Drama und Theater und das Studium generale laden im Rahmen der Ringvorlesung
WENDEZEITEN UND EPOCHENUMBRÜCHE: DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT HISTORISCHEN ZÄSUREN IM DRAMA
zu folgendem Vortrag ein:
Prof. Dr. Henry Thorau
(Portugiesische Kulturwissenschaft, Universität Trier)
Abertura im Theater: die vielen Facetten der Auseinandersetzung mit den finsteren Zeiten der Diktatur der 1960er und 70er Jahre in Brasilien
Montag, 23. November 2009, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)
"As classes populares vão chegar ao poder logo, logo" – Gleich, gleich wird das Volk an die Macht kommen! Davon waren die jungen Theatermacher überzeugt, die mit den Mitteln des Agitprop 'das Volk' politisch alphabetisieren wollten. Doch es kam anders. 1964 entmachtete das Militär mit einem Staatsstreich die basiskulturfreundliche linkspopulistische Regierung, um – unter Aushebelung der Verfassung – die im Wahlspruch Brasiliens zum Staatsprinzip erhobene 'Ordnung' wiederherzustellen. Im Dezember 1968 erfolgte der 'golpe dentro do golpe', der 'Staatsstreich innerhalb des Staatsstreichs', die Verabschiedung des AI-5, des berüchtigten Ermächtigungsgesetzes, das die in der Verfassung verankerten Menschenrechte fast vollständig aufhob.
Von da an galt das Theater als Staatsfeind Nr. 1. Erst Ende der 70er Jahre setzte die lange ersehnte Abertura, die Redemokratisierung ein. – Im Vortrag sollen folgende Fragen im Mittelpunkt stehen: Wie hatte das politische Theater in den langen Jahren der Repression 'überwintert', wie hatte sein Widerstand ausgesehen, wie verarbeitete es die finsteren Zeiten, wie das Scheitern revolutionärer Utopien, wie reagierte es auf den politischen Frühling? Wie setzte sich die nun angetretene jüngere Generation von Theaterschaffenden mit den Idolen und Idealen der Väter und mit den Vätern selbst auseinander?
Prof. Dr. Henry Thorau, seit 1996 Professor für Portugiesische Kulturwissenschaft (Cátedra Carolina Michaelis de Vasconcelos, gestiftet vom Instituto Camões und der Volkswagen-Stiftung) und von 1997–2006 Leiter des Portugalzentrums der Universität Trier. Von 1999–2003 und seit 2009 wieder Präsident des Deutschen Lusitanistenverbandes DLV. Von 1979–1980 Redakteur bei Theater heute, 1981–83 Chefdramaturg an der Freien Volksbühne Berlin. – Forschungsschwerpunkte: Literatur und Theater Brasiliens und Portugals des 20. Jahrhunderts. – Veröffentlichungen: u. a. Augusto Boals Theater der Unterdrückten in Theorie und Praxis, 1982; Perspectivas do Moderno Teatro Alemão, São Paulo 1984. Captação – Trancetherapie in Brasilien. Eine ethnopsychologische Studie über Heilung durch telepathische Übertragung. Berlin: 1994 (gemeinsam mit Marina Spinu). – Herausgeber und Übersetzer: u. a. Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, und Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, Fernando Gabeira: Die Guerilleros sind müde, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982, Theaterstücke aus Brasilien, Berlin: edition diá 1996 (gemeinsam mit Sábato Magaldi). Portugiesische Literatur, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997. Portugal und Spanien. Probleme (k)einer Beziehung. Frankfurt am Main: Peter Lang (gemeinsam mit Tobias Brandenberger). Nelson Rodrigues: Goooooool, Brasilianer zu sein ist das Größte, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006. Heimat in der Fremde. Akten der 7. Deutsch-Portugiesischen Arbeitsgespräche. Berlin: edition tranvia 2007. À procura da Lisboa africana. Da encenação do Império ultramarino às realidades suburbanas. Braga: Centro de Estudos Humanísticos da Universidade do Minho 2009 (gemeinsam mit Orlando Grossegesse). – Aufsätze zu Theater und Literatur der portugiesischsprachigen Länder.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
PD Dr. Gunther Nickel (Neuere Deutsche Literaturgeschichte, Universität Mainz/Deutscher Literaturfonds, Darmstadt)
'Sozialistische Vergangenheitsbewältigung' bei Bertolt Brecht und Peter Hacks
Montag, 30. November 2009, 18.15 Uhr, P 4 (Philosophicum)