THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
»ENDZEIT UND ZEITENENDE«
Prof. Dr. Holger Preißler
Professor für Vorderorientalische Religionsgeschichte und Islamwissenschaft,
Religionswissenschaftliches Institut, Universität Leipzig
Zeitenwende und Weltende im Islam
Montag, 28. November 2005, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)
Die drei großen Religionen nahöstlicher Herkunft, das Judentum, das Christentum und der Islam, besitzen traditionell gleiche Zeitvorstellungen: Die Welt geht ihrem Ende zu. Die „Zeichen“, die dem vorausgehen, die Lebensängste und messianischen Hoffnungen, die damit verbunden sind, werden in apokalyptischen Bildern dargestellt, die jederzeit aktiviert und aktualisiert werden können. Der Islam entstand im 7. Jh. in Westasien unter dem Eindruck solcher Aufassungen, wie sie damals auch bei Christen und Juden verbreitet waren. Die militärische Konfrontation zwischen muslimischen Arabern und den Heeren der christlichen Byzantiner waren damals für viele endzeitliche Kämpfe. Der entstehende Islam schuf sich auf biblischen kanonischen und apokryphen Fundamenten eigene Sichtweisen, die dann von verschiedenen muslimischen Gruppierungen aufgenommen wurden. Als das Ende der Welt nicht eintrat, verloren diese Auffassungen zeitweilig an Bedeutung, um in krisenhaften Zeiten, z. B. während der Kreuzzüge und angesichts der mongolischen Expansion im 12. und 13. Jh., erneut besonderes Interesse zu finden. Unter friedlicheren Bedingungen wirkte dagegen ein anderes Konzept, nämlich die durch die Tradition genährte Erwartung, dass zu Beginn eines neuen Jahrhunderts unter den Muslimen ein Erneuerer auftritt, der die Religion vor dem weiteren Niedergang bewahrt. Der Wechsel vom 14. zum 15. islamischen Jahrhundert im Jahre 1979 und danach die Jahrtausendwende nach christlicher Zeitrechnung erweckten unter Muslimen sowohl endzeitliche Ideen als auch Hoffnungen auf Erneuerung. Innerislamische Auseinandersetzungen bewegen sich bis heute um die Gegensätze und Verbindungen zwischen beiden Ideenkomplexen.
Prof. Dr. Holger Preißler, geb. 1943, Studium der Arabistik und Semitistik in Leipzig, Aufenthalte in Ländern des Nahen Ostens, seit 1992 Professor für Vorderorientalische Religionsgeschichte und Islamwissenschaft an der Universität Leipzig. Forschungsgebiete: Geschichte des Islam in Vorderasien unter besonderer Beachtung der traditionsstrengen Richtungen im Sunnitentum und des historischen Erbes heutiger islamischer Strömungen; Araber im Altertum; Geschichte der orientalischen Studien im 18. und 19. Jh.
Vgl. zuletzt: Stimmen des Islam. Zwischen Toleranz und Fundamentalismus, Leipzig 2002; zum Thema: "Vorzeichen der Stunde" im sunnitischen Islam, in: A. Jones (Hg.), Weltende: Beiträge zur Kultur- und Religionswissenschaft, Wiesbaden 1999.
Nächster Vortrag dieser Reihe:
Prof. Dr. Hubert Seiwert (Leipzig)
Endzeiterwartungen, Apokalyptik und neue Zeit in China
Montag, 12. Dezember 2005, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)