Prof. Dr. Jean-Claude Wolf – Vortragsexposé – Sommersemester 2014

Themenschwerpunkt des Studium generale

"Gut und Böse"



Prof. Dr. Jean-Claude Wolf

(Freiburg/Schweiz)

Das Böse als ethische Kategorie

Montag, 28. April 2014, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)



Das Böse wird seit der Philosophie und Theologie der Aufklärung zunehmend skeptisch beurteilt, z. B. als Dummheit, Krankheit oder Regelverletzung. Es gibt eine Tendenz zur Reduktion des Bösen, parallel zur Abschaffung des Glaubens an den Satan, an ewige Höllenstrafen und an den Sündenfall bzw. die sog. Erbsünde. Damit scheinen Dimensionen einer komplexen Symbolik des Bösen zu verschwinden. Der "reine Bösewicht" gehört in die (schlechte) Fiktion, während bessere Fiktion (wie z. B. die Fernsehserie "Breaking Bad") Nuancen und Mischformen des Bösen vor Augen führt. Die säkulare Ethik und das moderne Strafrechtsdenken neutralisiert das Böse zum moralisch Falschen, z. B. in Gestalt der zu tadelnden Regelverletzung bzw. der zu verhütenden Schädigungen anderer. Die Frage, woher das Böse als Macht sui generis kommt und welche Rolle Gott dabei spielt, verschwindet als Problem und Thema aus der Philosophie. Doch es gibt auch Widerstand gegen diese Tendenzen zur Reduktion und Elimination! Schellings "Abhandlung über die menschliche Freiheit" (1809) nimmt die alte Frage nach dem Ursprung des Bösen wieder auf und führt ihn auf den unbewussten Grund Gottes zurück. Gott wird damit sowohl belastet als auch entlastet. Das Böse, so lautet eine der überraschenden Thesen, kann sich ohne Beziehung zum Guten nicht einmal aktualisieren; es ist ein integraler Bestandteil der Entwicklung des Menschen und eines werdenden Gottes, der am Ende der Geschichte das Böse definitiv zu einer ohnmächtigen Möglichkeit degradieren wird. Führt diese Auffassung zur Aufhebung der Unterscheidung von Gut und Böse und damit zum Immoralismus? Was lässt sich aus der Symbolik des Sündenfalls und der seltsamen Mythopoese eines werdenden und leidenden Gottes lernen?



Jean-Claude Wolf ist seit 1993 Ordinarius für Ethik und politische Philosophie an der zweisprachigen (deutsch/französisch) Universität Freiburg in der Schweiz. Er arbeitet im Bereich der analytischen und angewandten Ethik, der Straftheorien, des philosophischen Liberalismus und Pragmatismus, der klassischen deutschen Philosophie und der Philosophie der Neuzeit (Fénelon, Schopenhauer, Stirner, Kierkegaard, Mill, Nietzsche und Eduard von Hartmann). Veröffentlichungen zum Thema: Das Böse als ethische Kategorie (2002); Das Böse (2011). Letzte Veröffentlichungen: Pantheismus nach der Aufklärung. Religion zwischen Häresie und Poesie (2013); Hrsg.: Fénelon über die reine Liebe (2014).



Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Niels Birbaumer

(Professor für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen)

Neurobiologie des Bösen

Montag, 05. Mai 2014, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)