Prof. Dr. Jens G. Reich – Vortragsexposé – Wintersemester 2008/2009

THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
"BIOLOGISCH DETERMINIERT? MENSCHSEIN ZWISCHEN ZWANG UND AUTONOMIE"

Prof. Dr. Jens Georg Reich (Berlin)

Ethische und anthropologische Aspekte der Genforschung

Dienstag, 28. Oktober 2008, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Mit dem Genbegriff und seiner modernen molekularbiologischen Ausgestaltung hat ein Konzept von der Natur des Menschen eine konkrete Form bekommen, von dem frühere Jahrhunderte zwar umfangreiche Erfahrung, jedoch keine materielle Erklärung hatten. Es ist klar geworden, dass bei der Zeugung eines Lebewesens ein Paket an verpackter DNS an die folgende Generation weiter gegeben wird, das im Wesentlichen die für seine körperliche und psychische Ausprägung notwendige Information in chemisch kodierter Form enthält. Auf ähnliche Weise wird auch bei jeder Zellteilung des Organismus genau so kodierte Information übergeben.
Vererbungsforschung und Entwicklungsbiologie des Menschen sind seither von beobachtenden zu physikalisch-chemisch zerlegenden und manipulierenden Wissenschaftsdisziplinen geworden. Damit einher geht die Tendenz, den körperlichen und seelischen Ablauf des menschlichen Lebens als ein Programm anzusehen, das weitgehend determiniert abläuft. Die Einwirkungen der Lebenswelt und der Umwelt auf den Programmablauf sind ebenfalls bestimmbar und unter Umständen vorhersagbar und beeinflussbar.
Das neue Bild vom Menschen als sich selbst konstruierendes System hat weitreichende erkenntnistheoretische und ethische Konsequenzen gebracht. Die erste Vorlesung der Reihe wird einen Überblick über die daraus resultierenden Kontroversen anhand von praktischen Beispielen geben.

Jens Georg Reich (geb. 1939) ist Mediziner und emeritierter Professor für Bioinformatik der Humboldt-Universität Berlin. Er arbeitet am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch. Gegenwärtig leitet er ein systembiologisches Projekt zum Eisenstoffwechsel des Menschen, an dem Forschergruppen der Universitäten Berlin und Heidelberg sowie am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL Heidelberg) teilnehmen. – Jens Reich beschäftigt sich seit Längerem mit den ethischen Problemen der modernen Biomedizin und hat dazu zahlreiche wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht. Er ist gegenwärtig Mitglied des Deutschen Ethikrates, der sich im Auftrag von Bundesregierung und Parlament mit moralischen Problemen der Lebenswissenschaften beschäftigt.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
HD Dr. Sigrid Schmitz (Institut für Informatik und Gesellschaft, Universität Freiburg)
Das moderne Gehirn zwischen Determination und Freiheit – ein geschlechterkritischer Blick
Dienstag, 11. November 2008, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)