Prof. Dr. Joachim Reitner – Vortragsexposé – Wintersemester 2010/2011

Themenschwerpunkt des Studium generale



WAS IST LEBEN?


Prof. Dr. Joachim Reitner

(Geowissenschaftliches Zentrum, Universität Göttingen)

"Biosphere meets Geosphere" – Geobiologie präkambrischer Lebensformen

Dienstag, 16. November 2010, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)



Die ersten Biosignaturen (chemische Fossilien) sind ca. 4 Milliarden Jahre alt und sind in den Gesteinen, z.B. als isotopische Ungleichgewichte des Kohlenstoffs, archiviert. Die Verschiebungen des natürlichen 13C/12C-Isotopenverhältnisses in Graphit-Spuren der alten Gesteine zeigen die ersten Lebensprozesse an, die auf der Erde stattgefunden haben. Die Prozesse der organischen Evolution in einer präbiotischen Welt vor 4 Milliarden Jahren können nur modelliert werden, da durch geologische Vorgänge die Biosignaturen ausgelöscht wurden. Die Vorstellungen zu einer RNS-Welt, einer ″Ursuppe″ und einer über hydrothermale Prozesse gesteuerten Entstehung von komplexen organischen Molekülen und ersten zellulären Strukturen werden kontrovers diskutiert. Der visuelle fossile Bericht beginnt vor rund 3,5 Milliarden Jahren und zeigt Reste von mikrobiellem Leben, allerdings unter anaeroben Bedingungen. Stromatolithen, laminierte Gesteine, die durch mikrobielle Aktivität entstanden sind, werden häufig und zeigen die rapide Entwicklung des Lebens an.

Mit dem ″Great Oxidation Event″ vor rund 2,5 Milliarden Jahren zeigen sich die gravierenden Auswirkungen der oxygenen Photosynthese, die zu einer fundamentalen Umgestaltung der Biosphäre und auch der Geosphäre geführt haben. Die Entwicklung eukaryotischer Zellen und komplexer, multizellularer Systeme war damit möglich. Weitere Meilensteine in der Evolution biologischer Systeme waren die globalen Vereisungen (″Schneeball-Erde″) im Zeitalter des Cryogeniums vor rund 700 Millionen Jahren. Im Nachgang zu diesen Vereisungen entwickelten sich die Baupläne moderner Lebensformen und die enzymatisch gesteuerte Biomineralisation vor rund 550 Millionen Jahren (″Kambrische Explosion″). Alle diese Ereignisse resultieren aus einem Wechselspiel zwischen biologischen und geologischen Prozessen, bis dato nur bekannt vom Planeten Erde.



Joachim Reitner, geb. 1952. Promotion in Geologie/Paläontologie (Tübingen, 1984), Habilitation (FU Berlin, 1991), Professur für Paläontologie und Geobiologie, Fakultät für Geowissenschaften und Geographie, Universität Göttingen (seit 1994), u. a. Visiting Professor Université Paris 11 (1993), Visiting Professor North-West University Xian u. Academia Sinica Nanjing (2006). Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis (1996). Zu den Forschungsschwerpunkten Prof. Reitners zählen v. a. die Geobiologie präbiotischer und früher Lebensprozesse, Exobiologie, und die Biomineralisation und Biodiversität von Biofilmen und mikrobiellen Matten (er ist Koordinator der DFG Forschungs¬gruppe zur Geobiologie von Organo- und Biofilmen).



Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl (Generaldirektor des Deutschen Museums München / TUM School of Education )

Molekulare Selbstordnung am Ursprung des Lebens

Dienstag, 23. November 2010, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)