Prof. Dr. Jochen Hörisch

STUDIUM GENERALE: MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE
"LEBENSWISSEN: VOM UMGANG MIT WISSENSCHAFT"

Prof. Dr. Jochen Hörisch (Mannheim)

Lesen/Leben – Das Wissen der Literatur

Mittwoch, 4. Juli 2007, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

„Das Wissen der Literatur“ – das ist eine riskante bis provokante Wendung. Denn es ist seit jeher zweifelhaft, ob das Medium der Literatur, der schönen Literatur bzw. der sogenannten Belletristik überhaupt wissenstauglich und seriös ist. Literatur, so das übliche Setting, ist ein Gegenstand, nicht aber ein Medium des Wissens.
Die Dichter lügen, wie man seit Hesiod und Platon wissen kann. Ob sie lügen dürfen, ob und unter welchen Bedingungen es sinnvoll ist, die wahrheitsindifferenten und eigentümlich negationsimmunen Sätze der schrecklich schönen Literatur zuzulassen oder nicht, steht ständig zur Diskussion. Der Vortrag möchte als Beitrag zu dieser Diskussion verstanden werden. Er geht von einer Leitthese aus, die da lautet: Schöne Literatur hält ein Alternativ-Wissen bereit, das wert ist, sachlich ernst genommen zu werden. Denn der eigentümliche Leitcode der Literatur ermöglicht es, unwahrscheinliche Wirklichkeitsversionen mit einer gewissen und reizvollen Plausibilität zu versehen.
Alles ist (ganz) anders, als es dem Alltagsverstand, der Tradition, dem wohlfeilen Glauben und Meinen scheint – diese Botschaft haben Wissenschaft und Literatur gemeinsam. Die Differenz von Literatur und Wissenschaft ist dieser Gemeinsamkeit zum Trotz deutlich.

Prof. Dr. Jochen Hörisch, geb. 1951, ist seit 1988 Ordinarius für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Universität Mannheim. Gastprofessuren übernahm er 1986 an der Universität Klagenfurt, 1993 am CIPH und der ENS in Paris, 1996 in Charlottesville (USA/Virginia), 1999 in Princeton (USA), 2002 in Bloomington (USA/Indiana), 2003 in Buenos Aires, 2006 an der EPHE in Paris. Er ist Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaften und Künste in Salzburg, der Freien Akademie der Künste in Mannheim und der Freien Akademie der Künste in Hamburg. Er ist Träger verschiedener Wissenschaftspreise und zur Zeit mit einem zweijährigen Stipendium der VW-Stiftung „Pro Geisteswissenschaften / Opus magnum“ von Lehr -und Prüfungsverpflichtungen von Herbst 2006-2008 freigestellt.

Publikationen (kleine Auswahl)
– Die Wut des Verstehens – Zur Kritik der Hermeneutik. Ffm (Suhrkamp) 1988;
– Das Ende der Vorstellung – Die Poesie der Medien. Ffm (Suhrkamp) 1999;
– Der Sinn und die Sinne – Eine Geschichte der Medien. Ffm (Eichborn, Andere Bibliothek) 2001;
– Theorie-Apotheke – Eine Handreichung zu den humanwissenschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahre, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen. Ffm (Eichborn, Andere Bibliothek) 2004;

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Hubert Knoblauch (Professor für Allgemeine Soziologie/Theorie moderner Gesellschaften, Technische Universität Berlin)
Wissen, Wissenschaft und die Wissensgesellschaft
Mittwoch, 11. Juli 2007, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)