Prof. Dr. Käte Meyer-Drawe – Vortragsexposé – Wintersemester 2013/2014

Studium generale: Mainzer Universitätsgespräche

"Die erschöpfte Gesellschaft"


Prof. Dr. Käte Meyer-Drawe

(Ruhr-Universität Bochum)

Übermüdet, ein Selbst zu sein. Im Schatten der freien Entfaltung

Mittwoch, 8. Januar 2014, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)



In seinem Buch "Das erschöpfte Selbst" zeigt Alain Ehrenberg, dass die Depression im 20. und 21. Jahrhundert zu einer Krankheit der Verantwortlichkeit wird. Das Selbst leidet, weil es unentwegt die Initiative ergreifen muss. Seine Autonomie umfasst sein Aussehen, sein lebenslanges Lernen, seine informierte Zustimmung zu medizinischen Eingriffen und selbst die Gestaltung seines Lebensendes. Im Vordergrund steht das reibungslose Funktionieren. Krankheiten werden deshalb auch in erster Linie als Funktionsstörungen betrachtet, die zu beseitigen sind. Das übermüdete Selbst braucht Stimmungsaufheller, legale und illegale Drogen; es schwankt zwischen Depression und Sucht. An die Stelle der Behandlung tritt die Reparatur der neuronalen Maschine. Das Selbst resigniert vor seiner Unzulänglichkeit als Manager seines Lebens. An diesen knappen Befund knüpft der Vortrag an und folgt der Vermutung, dass die Übermüdung nicht in einem Versagen der Menschen gründet, sondern darin, dass man ihnen die Doppeldeutigkeit ihrer leiblichen Existenz, weder nur selbstbestimmte Souveräne noch lediglich ausgelieferte Untertanen zu sein, bestreitet und ihnen damit eine permanente, kräftezehrende Selbsttäuschung aufbürdet.



Käte Meyer-Drawe ist Professorin für Allgemeine Pädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Allmacht des Ich. München, 2. Auflage 2000. Menschen im Spiegel ihrer Maschinen. München, 2. Auflage 2007. Diskurse des Lernens. München, 2. Auflage 2012.



Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. Dr. Hans Bertram

(Professor für Mikrosoziologie, Institut für Sozialwissenschaften, Philosophische Fakultät III, Humboldt-Universität zu Berlin)

Die überforderte Generation

Mittwoch, 15. Januar 2014, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)