Themenschwerpunkt
"Heimat heute"
Prof. Dr. Karen Ellwanger
Direktorin des Instituts für Materielle Kultur, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Neue Heimatmuseen und Wissensproduktion
Montag, 30. Januar 2017, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
"Neue Heimatmuseen" – so wurden in einem Oldenburger Forschungsprojekt kleine kulturhistorische Museen mit regionalem Bezug bezeichnet, die in der dritten Museums-Welle seit den 1980ern gegründet oder neu aufgestellt worden sind und überwiegend von semiprofessionellen Ehrenamtlichen unter neuer wissenschaftlicher Leitung getragen werden. Sie nennen sich selbst meist gar nicht (mehr) "Heimat"-Museum, um sich von einem als dumpf und verstaubt empfundenen Heimatbegriff der tradierten Heimatmuseen abzugrenzen.
In diesen Museen werden unterschiedliche Wissensformen produziert, und zwar durchaus konfliktreich. Die neue Leitung, zunehmend weibliche Museumswissenschaftlerinnen statt der väterlichen Gründungsfiguren – ein Ergebnis schlecht bezahlter Arbeit in Teilzeit – wird von den akademisierten Trägervereinen nur bedingt akzeptiert.
Nach wie vor wird in den alten Gebäuden mit ihren Raum- und Wegestrukturen spezifisches Körperwissen geprägt. Eine Gemengelage aus alten Sammlungen, neuen Dingarrangements, lokalen Aktivisten und ihren Bildern eines "Früher" produziert neben historisch-regionalem Alltagswissen nebenbei auch nicht-intendiertes Wissen. Wirkmächtig sind vor allem Vorstellungen von Geschlecht und Ethnizität, die indirekt etwa bei der Inszenierung von "invasiven Arten" (z.B. Muscheln) in den neu belebten Naturkunde-Bereichen verhandelt werden.
Die neuen Heimatmuseen, getragen vielfach von ehemals Zugezogenen, sind damit auch Orte, an denen sich im Kontext der gegenwärtigen Migrations- und Fluchtbewegungen immer wieder Grenzen formieren, "Eigenes" und "Fremdes" verhandelt wird.
Prof. Dr. Karen Ellwanger, Europäische Ethnologin. Studium der Empirischen Kulturwissenschaft in Tübingen, seit 1996 Hochschullehrerin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und derzeit Direktorin des Instituts für Materielle Kultur. Seit 2007 ist sie Sprecherin des fächerübergreifenden MA-Studiengangs "Museum und Ausstellung". Ellwanger ist Leiterin des Forschungsprojekts "Neue Heimatmuseen und Wissensproduktion" und Mitglied des universitätsübergreifenden Graduiertenkollegs "Grenzformationen".