Gastvortrag des Philosophischen Seminars im Rahmen von Prof. Dr. Stephan Grätzels Seminar "Philosophie des Geldes"
Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck (Würzburg)
Die Herrschaft des Geldes
Donnerstag, 14. Juli 2011, 16:15 Uhr, Hörsaal P 2 (Philosophicum)
Dass das Geld die Welt regiert, ist eine alte römische Spruchweisheit. Doch der Blick auf die äußeren Geldformen, auf die Banken und Finanzmärkte, deren Herrschaft über die Volkswirtschaften weltweit heute kaum mehr im Zweifel steht, liefert nur einen oberflächlichen, ersten Eindruck der tatsächlichen Herrschaft des Geldes. Das Geld ist der Sprache auf eine innere Weise verwandt: Man kann die Sprache nicht wissenschaftlich erklären, ableiten oder rekonstruieren. Jeder dieser Versuche bewegt sich schon innerhalb der Sprache und setzt sie voraus. Dass es sich beim Geld nicht nur um eine analoge Struktur handelt, sondern dass Sprache und Geld tatsächlich aus einer gemeinsamen sozialen Grundstruktur ihren Inhalt und ihre Bedeutung gewinnen, das soll in einer systematischen Entfaltung dargestellt werden. Dass die Sprache die menschliche Subjektivität formt, den Menschen in ein zoon logon verwandelt und der Begriff der Vernunft sich aus dem Vernehmen des inneren Selbstgesprächs entfalten lässt, wurde in der Geschichte der Philosophie auf vielen Wegen erörtert, keineswegs erst im linguistic turn am Anfang des 20. Jahrhunderts. Der ganz andere Gedanke, dass die Rechnung in Geld daneben und darin noch eine ganz andere Form der Subjektivität ausbildet – das Geldsubjekt mit der ihm eigentümlichen Ratio, dem "rechnenden Denken" –, bleibt bislang eine bestenfalls erahnte Beziehung. Tatsächlich herrscht das Geld nicht einfach als ein äußeres Verhältnis über die Menschen kraft der ihm eigentümlichen Verdinglichung, wie Marx diagnostizierte. Das Geld herrscht als Subjektform im menschlichen Subjekt. Der Logos der Sprache wurde in der Moderne mehr und mehr durch die Ratio der Rechnung überlagert. Dieses innere Subsumtionsverhältnis ist die wahre Bewegungsform der äußerlich erscheinenden Geldherrschaft. Eine Reform der Wirtschaft ist – so lautet die sich daraus ergebende Diagnose – nur möglich durch eine Reform des Bewusstseins, durch die Erkenntnis der Herrschaft des Geldsubjekts in seinen charakteristischen Formen der Denkmechanik, in der sich die Wissenschaften, allen voran aber die Ökonomik, in der Moderne bewegen. Eine Reform der Gesellschaft, der Irrwege der technischen Herrschaft und ihrer ökonomischen Bewegungsform gelingt nur durch eine kritische Selbstreflexion – nicht einfach der Vernunft, sondern jenes innerlich herrschenden Teils des rechnenden Denkens, der das Dogma der Moderne ausmacht. Das Geld hat auch das Geldsubjekt globalisiert, so dass diese kritische Selbstreflexion heute nur noch durch einen interkulturellen und interreligiösen Diskurs möglich ist.
Literaturhinweise:
Karl-Heinz Brodbeck: Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie. Eine philosophische Kritik der modernen Wirtschaftswissenschaften, 5. Aufl., Darmstadt 2009 (WBG).
Karl-Heinz Brodbeck: Die Herrschaft des Geldes. Geschichte und Systematik, Darmstadt 2009 (2. Auflage in Vorbereitung) (WBG).
Karl-Heinz Brodbeck: Buddhistische Wirtschaftsethik. Eine Einführung, 2. Aufl., Berlin 2011 (edition steinrich).
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