Prof. Dr. Maria-Sibylla Lotter – Vortragsexposé – Sommersemester 2016

THEMENSCHWERPUNKT DES STUDIUM GENERALE
"KUNST – MACHT – MORAL"

Prof. Dr. Maria-Sibylla Lotter
(Direktorin des Instituts für Philosophie I, Ruhr-Universität Bochum)

Machen uns die Künste zu besseren Menschen?
Zum schwierigen Verhältnis von Ethik und Ästhetik

Montag, 27. Juni 2016, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Während Sokrates in Platons Politeia noch so wenig von der moralischen Kompetenz der Dichter hielt, dass er diese "Lügner" aus dem idealen, nach Prinzipien der Gerechtigkeit geordneten Staat hinauswerfen wollte, hat sich seit dem Zeitalter der Aufklärung immer wieder die Hoffnung auf die Kunst gerichtet, den Menschen zu einem moralisch besseren Wesen zu machen. Der Grund dafür liegt in der schon in der Aufklärung angelegten Aufklärungskritik, insbesondere an einem zu rationalistischen Verständnis der Moral: Seit dem achtzehnten Jahrhundert wird gegen die philosophische Ethik immer wieder der Vorwurf erhoben, sie fokussiere sich zu sehr auf rationale Prinzipien, auf Unparteilichkeit, Universalität und Allgemeinheit und vernachlässige dabei die Bedeutung der moralischen Motivation, der differenzierten Wahrnehmung und Achtsamkeit sowie der Fähigkeit, komplexe und singuläre Situationen zu beurteilen. Dichter wie Corneille und Lessing erhofften sich vom Trauerspiel eine nachhaltigere moralische Besserung als von der Lektüre abstrakter Abhandlungen über Moral. Aber auch Philosophinnen und Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts wie Richard Rorty, Martha Nussbaum, Iris Murdoch und Stanley Cavell schrei¬ben der Kunst die Fähigkeit zu, neue Chancen der Selbst- und Welterfahrung zu eröffnen, auch ein Verständnis komplexer ethischer Problemlagen zu entwickeln, Sensibilität zu wecken und die Solidarität zu steigern. Es gab aber auch immer kritische Stimmen wie die Rousseaus, die einwandten, der Dichter sei doch letztlich nur ein Opportunist, darauf angewiesen, die törichten Meinungen und Neigungen des Publikums zu bedienen – nur Sittenverderbnis, aber keine sittliche Bildung sei davon zu erwarten.
Ausgehend von Platons Dichter-Kritik untersucht der Vortrag die klassischen Befürchtungen und Hoffnungen bezüglich der ethischen Leistungen und Gefahren der Kunst. Dabei geht es um Fragen wie die folgenden: Was unterscheidet eigentlich künstlerische Formen des Verstehens von argumentativ-rationalen? Welche Wirkungen werden ihnen für das moralische Verstehen zugeschrieben? Welche Rolle wird den Gefühlen und der Identifikation mit fiktiven Personen für die moralische Wahrnehmung zugeschrieben?

Maria-Sibylla Lotter ist Professorin für Ethik und Ästhetik am Institut für Philosophie I der Ruhr-Universität Bochum. Sie forscht derzeit zu den Themen Schuld und Verantwortung, Lüge und Selbstbetrug und dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik. Zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Scham, Schuld, Verantwortung. Über die kulturellen Grundlagen der Moral, Berlin (Suhrkamp) 2012; eine Übersetzung mit Einleitung von: Stanley Cavell: Cities of Words. Ein moralisches Register in Film, Literatur und Philosophie, Zürich (Chronos) 2010; Die Metaphysische Kritik des Subjekts. Eine Untersuchung von Whiteheads universalisierter Sozialontologie, in der Reihe Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, hg. v. Gerhard Funke und Rudolf Malter, Hildesheim/Zürich/New York (Olms) 1996.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Ulli Seegers (Juniorprofessorin für Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt für Kunstvermittlung in Museum und Kunsthandel, Institut für Kunstgeschichte, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)
Wo die Gier am größten ist…
Kunst – Kunstmarkt – Kunstkriminalität

Montag, 4. Juli 2016, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)