Prof. Dr. Petra Gehring – Vortragsexposé – Wintersemester 2015/2016

STUDIUM GENERALE: MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE
"TOD UND STERBEN"

Prof. Dr. Petra Gehring
(Institut für Philosophie, Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissen-schaften, Technische Universität Darmstadt)

Vom Tod zum Lebensende. Über Sterbepolitik

Mittwoch, 16. Dezember 2015, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)

Tod und Sterben sind nicht nur machtvolle Ereignisse, wenn sie eine(n) betreffen. Es handelt sich auch um Phänomene in einem historisch sich wandelnden und sterbepolitisch zunehmend aktiv veränderten Feld. Geschichtswissenschaft und Soziologie haben für den Umgang mit Sterben, Tod, Trauer, Bestattung und Leichenverwertung zahlreiche, teils grundlegende, Veränderungen registriert.
Im Vortrag werden verschiedene aktuelle Entwicklungen in einen Zusammenhang gestellt, der es erlaubt, die Frage nach dem Tod als biopolitische Problemstellung zu rekonstruieren. In den Fokus rückt dann die Karriere des modernen (biomedizinischen, biotechnischen) Konzepts "Leben": Der Tod wird in ein auf neue Weise verrechtlichtes "Lebensende" verwandelt, aus dem Sterbeprozess wird ein professionalisierter Vorgang. 'Lebensende' (Lebensverkürzung, Lebensverlängerung) sowie Sterbeumstände sind es auch, auf die sich individuelle und kollektive Vorsorge konzentrieren – während der Tod öffentlich und symbolisch verblasst. Neue Formen der ökonomischen Wertschöpfung und der Sterbepolitik werden so möglich.
In der Perspektive der Philosophie hat sich namentlich das, was "Ethik" heißt und was von Ethik erwartet wird, verändert. Neue Transfersysteme (wie die Organ- und Gewebespende), wenig intuitive Konventionen (Stichwort Hirntod) sowie biorechtliche Routinen (Patientenverfügungen, Betreuungsvereinbarungen) sorgen für ein Vorsorgedenken im Hinblick auf das Lebensende, aber auch für Auseinandersetzungen am Sterbebett, in welchen Experten das Wort haben. These des Vortrags ist es, dass mit der Karriere des Lebensendes nicht nur die Bioethik Karriere macht, sondern auch ein sterbepolitisches agenda setting möglich wird, das in seinen Formen näher zu studieren ist.

Petra Gehring (*1961) ist Professorin für Philosophie am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören – neben klassisch philosophischen Theoriebaustellen und methodologischen Fragen der philosophischen Begriffs- und Diskursgeschichte – die Geschichte der Konzepte "Leben" und "Tod", Theorien der Grenzziehung zwischen Wachen, Schlafen und Träumen sowie bio- und sterbepolitische Fragen. 2010 veröffentlichte sie Theorien des Todes: Zur Einführung (Hamburg ²2011), zuvor erschienen Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens (Frankfurt/M., New York 2006) sowie hg. gemeinsam mit Marc Rölli und Maxine Saborowski: Ambivalenzen des Todes. Wirklichkeit des Sterbens und Todestheorien heute (Darmstadt 2007) und hg. gemeinsam mit Andreas Gelhard: Parrhesia. Foucault und der Mut zur Wahrheit (Berlin/Zürich 2012).

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Thomas Hieke (Professor für Altes Testament, Katholisch-Theologische Fakultät, JGU Mainz)
»Denn Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück« – Tod und Sterben im Alten Testament
Mittwoch, 6. Januar 2016, 18:15 Uhr, N 1 (Muschel)