Prof. Dr. Rainer Stichel · Vortragsexposé · Wintersemester 2009/2010

Das Institut für Kunstgeschichte, AB Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte, und das Studium generale laden im Rahmen des Colloquiums Christliche Archäologie in Verbindung mit der Forschungskooperation Byzantinische Archäologie Mainz ein zu folgendem Vortrag:

Prof. Dr. Rainer Stichel (Münster)

Die Heilstaten Gottes im Alten Bunde.
Johann Joachim Winckelmann beschreibt eine russische Ikone

Mittwoch, 2. Dezember 2009, 18.15 Uhr
Hörsaal des Instituts für Kunstgeschichte, Binger Straße 26, 55122 Mainz

Im Jahre 1763 wurde Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) von Papst Clemens XIII. zum «Commissario delle antichità» berufen. Im Jahr darauf veröffentlichte er sein Hauptwerk, die «Geschichte der Kunst des Alterthums». Als damals ein polnischer Geistlicher eine russische Reliefikone des 16. Jahrhunderts für das neugegründete «Museo Cristiano» zum Kauf anbot, hatte Winckelmann ein Gutachten über die Ikone zu erstellen. Sie zeigt die Dreifaltigkeit unter dem Bild des Gastmahls der drei Engel bei Abraham, dazu zahlreiche Nebenszenen, in denen das Wirken Gottes von der Erschaffung der Welt bis zur Gesetzgebung auf dem Sinai dargestellt ist. Die Reliefikone ist nicht mehr auffindbar, das Gutachten Winckelmanns in italienischer Sprache hat sich mit einer Nachzeichnung der Ikone im Nachlass von Jean-Baptiste Séroux d'Agincourt (1730–1814) erhalten. In jüngster Zeit ist eine weitere ähnliche Reliefikone in einer Privatsammlung bekanntgeworden. Der Vortrag wird das Gutachten Winckelmanns im Rahmen der Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts behandeln und die Reliefikone als Zeugnis eines altertümlichen Welt- und Geschichtsbildes vorstellen, das im Moskauer Russland des 16. Jahrhunderts lebendig war.

Prof. Dr. Rainer Stichel war nach dem Studium der Byzantinistik, Slavistik und Klassischen Philologie seit 1971 Mitarbeiter Friedrich Wilhelm Deichmanns am Deutschen Archäologischen Institut in Rom, danach Referent an der Bibliotheca Hertziana. 1981 habilitierte er sich an der Universität zu Köln für das Fach Byzantinistik. Von 1985 bis 2007 war er Professor für Byzantinistik an der Universität Münster. 1987/88 war er als Senior Research Associate in Dumbarton Oaks tätig. 1994 und 1997 lehrte er zeitweise als Directeur d’études invité an der École Pratique des Hautes Études in Paris. Er ist Ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Mitglied des Redaktionskollegiums des «Wörterbuchs der russischen Sprache des 11.–17. Jahrhunderts», das von der Russischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. Seine Forschungen betreffen hauptsächlich die Wechselbeziehungen zwischen byzantinischer Literatur und Kunst, das Nachleben der jüdischen Literatur der hellenistischen Zeit in der byzantinischen Welt und die Bedeutung der byzantinischen Kultur für die orthodoxen Slaven. Seine jüngste Monographie: «Beiträge zur frühen Geschichte des Psalters und zur Wirkungsgeschichte der Psalmen», erschienen 2007 als Abhandlung der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften.