Das Institut für Kunstgeschichte und das Studium generale laden zu folgendem Vortrag ein:
Prof. Dr. Raphael Rosenberg (Heidelberg/Berlin)
Abstraktion vor 1900.
Die Schönheit zufälliger Flecken und die wirkungsästhetische Theorie
Mittwoch, 5. Dezember 2007, 18.15 Uhr
Hörsaal des Instituts für Kunstgeschichte (Binger Straße 26)
Lange bevor im 20. Jahrhundert die Abstraktion zur avantgardistischen Kunstform erklärt wurde, haben Maler und Graphiker Bilder ohne erkennbaren Gegenstand geschaffen. Die prominentesten Beispiele stammen aus dem Werk des Landschaftsmalers J. M. William Turner (1775-1851), des Dichters und Zeichners Victor Hugo (1802-1885) und des französischen “Symbolisten“ Gustave Moreau (1826-1898). Eine von Raphael Rosenberg kuratierte, bis 6. Januar 2008 laufende Ausstellung in der Frankfurter Schirn zeigt ungegenständliche Werke dieser und anderer Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts und macht deutlich, dass die Errungenschaft der Avantgarde um 1910 nicht in der Erfindung der Abstraktion liegt, sondern darin, diese zum Kunstwerk zu erklären.
Der Vortrag erläutert den Kontext und den Stellenwert, in dem vor 1900 ungegenständliche Bilder entstanden und stellt zwei diskursiv-visuelle Traditionen vor. Erstens die Faszination für Flecken, für durch Zufall entstandene ›Bilder‹, die seit vorgeschichtlicher Zeit nachzuweisen ist. Zweitens die Entwicklung einer wirkungsästhetischen Theorie, die seit dem 18. Jahrhundert das Verhältnis von Kunstwerk und Betrachter in den Mittelpunkt der Kunsttheorie stellt: Künstler und Theoretiker setzen sich in zahlreichen Schriften intensiv mit der Wirkung von Komposition, Farbe und Linie auseinander. Ungegenständliche Bilder werden als Illustrationen dieser Überlegungen für den Unterricht an Akademien eingesetzt und in Handbüchern vervielfältigt.
Literatur:
Raphael Rosenberg, Turner – Hugo – Moreau: Entdeckung der Abstraktion, [Ausstellungskatalog] Schirn
Kunsthalle Frankfurt, München (Hirmer) 2007.
Raphael Rosenberg ist 1962 in Mailand geboren, besuchte eine italienische Grundschule und ein französisches Gymnasium, studierte Kunstgeschichte, Geschichte, Klassische Archäologie und Ägyptologie in München und wurde in Basel mit einer Arbeit über Beschreibungen und Nachzeichnungen der Skulpturen Michelangelos promoviert. Er war wissenschaftlicher Assistent an der Universität Freiburg und am Collège de France (Paris) und wurde 2004 zum ordentlichen Professor für neuere und neueste Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg ernannt. Derzeit ist er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Schwerpunkte seiner Forschung sind die Geschichte und Psychophysiologie der Kunstrezeption, ihrer Medien und sozialer Strukturen, die Geschichte der Kunstliteratur und der Kunstgeschichte, die Skulptur und Grafik der italienischen Renaissance, die Malerei, Grafik und Karikatur des 19. Jahrhunderts und die Architektur im Nationalsozialismus.