Veranstaltung des Philosophischen Seminars
zum Themenschwerpunkt des Studium generale "Was ist Leben?"
Prof. Dr. Rolf Kühn (Freiburg i. Br.)
Lebensethik und Zukunft des Lebens – eine radikal phänomenologische Analyse
Montag, 17. Januar 2011, 18:15 Uhr, Hs 15, Forum 7/J.-J.-Becher-Weg 4
Die Zukunft des Lebens kann nur dem Leben selbst entstammen, wenn wahr ist, dass nicht wir selbst den Ursprung des Lebens bilden, so sehr auch die Manipulation desselben gegenwärtig eine Phase äußerster – das heißt nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch öffentlicher – Faszination durchläuft. Zu verdeutlichen bleibt mithin, was in diesem Zusammenhang "Ursprung" besagt und ob er jemals überhaupt zur Disposition steht. Bevor wir in Einschätzungen eintreten, die auch "bioethische" Fragen betreffen, sind nochmals einige prinzipielle phänomenologische Fragen klar zu sehen. Alles Was-Fragen setzt nämlich einen Horizont voraus, in dem sich "etwas" zeigen kann: ein Baum, ein Mensch, ein Molekül, ein Gen usw. Dieser Horizont als "Welt" ist identisch mit dem Sichtbarmachen oder Sichzeigen als solchem, und eine Theorie ist die Art der "Schau" nach Husserl, unter deren Bedingung dann etwas empirisch oder eidetisch als "Phänomen" sichtbar gemacht werden kann, um identifiziert, verglichen, integriert und reproduziert zu werden. Von solcher Natur ist auch das biologisch und medizinisch gesehene Leben, welches Verhaltensweisen des Wachstums, der Nahrungsaufnahme, Fortpflanzung, Umweltanpassung sowie des Verfalls (Krankheit) und des Regenerierens (Heilung) beinhaltet. Die jüngste genetische wie gehirnphysiologische Forschung verändert diesen phänomenologisch epistemischen Sachverhalt nicht grundsätzlich, wenn sie das Sichzeigen solchen Lebens in kybernetisch vernetzte oder informationstheoretisch zu entziffernde bio-chemische Strukturen hineinverlegt. Sie erhalten nämlich auf diese Weise nur einen modifizierten, wenn auch komplexen Objektbegriff als Gegen-stand oder Gegenübergestelltes, wo die bisherige statische Washeit durch eine prozesshafte ersetzt wird.
Prof. Dr. Rolf Kühn, geb. 1944 in Essen, Lizentiat kath. Theologie Institut Catholique de Paris 1970; Dr. phil. Sorbonne Paris mit Claude Bruaire 1985 über Simone Weil im Rahmen französischer Reflexionsphilosophie und hermeneutischer Phänomenologie; Habilitation in Philosophie Universität Wien 1992 über das Gesamtwerk Michel Henrys unter besonderer Herausstellung der lebenseidetischen Zusammenhänge von Subjektivität, Affektivität und Leiblichkeit. Univ.-Doz. in Wien, Nizza, Beirut (Libanon), Lissabon, Louvain-la-neuve (Chaire Cardinal Mercier 2008–09), Freiburg i. Br. (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Theologische Fakultät). Rolf Kühn lebt als philosophischer Autor und Übersetzer bei Freiburg i. Br. – Preis Cardinal Mercier 2005 Universität Louvain-la-neuve (Belgien) für das Werk "Geburt in Gott" (2003).
Dieser öffentliche Gastvortrag findet im Rahmen des Doktorandenseminars von Prof. Dr. Stephan Grätzel (Philosophisches Seminar) statt.