Prof. Dr. Stephan Jolie – Vortragsexposé – Wintersemester 2010/2011

Mainzer Universitätsgespräche

"Wie wirkt Macht? Mechanismen, Rituale, Ambivalenzen"



Prof. Dr. Stephan Jolie (Mainz)



Dokument der Kultur – Dokument der Barbarei.

Macht, Gewalt und Ritual in der höfischen Literatur des Mittelalters

Mittwoch, 1. Dez. 2010, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)



Schon ein flüchtiger Blick in die höfischen Erzählungen des Mittelalters – seien es Artusromane, sei es das ›Nibelungenlied‹ – irritiert den modernen Leser durch die Fülle, Ausführlichkeit und scheinbare Stereotypie von Beschreibungen von Zeremonien, Kleidern, ritualisierten Handlungen. Freilich: Die vormoderne feudal-höfische Gesellschaft des Mittelalters ist in sehr viel höherem Maße als die moderne darauf angewiesen, kollektive Ordnungen, Geltungs- und Machtansprüche stets aufs Neue sichtbar zur Schau zu stellen. Die Literatur bildet dies in ihren Beschreibungen aber nicht einfach ab, sondern hat kraft der Fiktion die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu blicken. Sie stellt unangenehme Fragen: Wann scheitert Repräsentation? Wie kann man öffentliche Rituale für private Zwecke manipulieren? Welches sind die Vorbedingungen für gelingende symbolische Kommunikation? Die Texte fantasieren eine Fülle von Szenen, die auf unterhaltsam-humorvolle, oft auch auf bitter-entlarvende Weise zeigen, dass der glänzende ritterliche Traum von der Zivilisation tatsächlich oft nur schöner Schein ist, unter dem sich Gewalt und persönlicher Machtanspruch nur mühsam verbergen.



Stephan Jolie studierte Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft in Frankfurt (Main) und München, war Gastprofessor an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Frankfurt und Berlin (FU) und ist seit 2007 Professor für Literatur der älteren Epochen am Deutschen Institut der Universität Mainz. Er ist Sprecher des ›Interdisziplinären Arbeitskreises Mediävistik‹ der Universität Mainz, Sprecher des ›Deutsch-Französischen Doktorandenkollegs in den Geistes- und Kulturwissenschaften Mainz - Dijon‹ und Leiter des DFG-Projekts ›Handschriftencensus Rheinland-Pfalz‹. Seine Forschungsschwerpunkte sind Höfische Epik der europäi-schen Volkssprachen, Editionsphilologie, Ritualität und Literarizität, Historische Narratologie, Räumlichkeit und Bildlichkeit in der höfischen Lyrik.



Nächster Vortrag in dieser Reihe:

Prof. Dr. Wolfgang Ullrich

(Kunstwissenschaft und Medientheorie, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe)

Macht zeigen. Kunst als Herrschaftsstrategie

Mittwoch, 8. Dezember 2010, 18.15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)