Der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Drama und Theater und das Studium generale laden im Rahmen der Ringvorlesung
DAS KÜNSTLERDRAMA ALS SPIEGEL ÄSTHETISCHER UND GESELLSCHAFTLICHER TENDENZEN
zu folgendem Vortrag ein:
Prof. Dr. Wolfgang Düsing
(Deutsches Institut, Neuere Literaturgeschichte, Universität Mainz)
Das Scheitern der Kunstreligion in Grillparzers »Sappho«
Mittwoch, 31. Oktober 2007, 18.15 Uhr, P 3 (Philosophicum)
Franz Grillparzer (1791–1872), wohl der bedeutendste österreichische Dramatiker, begann mit der »Ahnfrau« (uraufgeführt 1817) als romantischer Schicksalsdramatiker. Er bewies mit »Sappho«, seinem nächsten Stück, dass er auch dem hohen Anspruch der klassizistischen Tragödie künstlerisch gewachsen war. Der Beifall, mit dem das Drama (Uraufführung 1818) aufgenommen wurde, verdeckt die heute deutlicher als damals zutage tretenden Brüche zwischen Antike und Moderne, zwischen klassizistischer Formstrenge und moderner Künstlerproblematik. Für Sappho wird die Kunst zur Religion und der Künstler zum Priester. Mit dieser Kunstreligion orientierte man sich an der Antike und sah sich zugleich in der Nachfolge der deutschen Klassik. Sappho ist aber auch eine Frau, die nicht ständig auf dem Kothurn wandeln kann. Die Künstlerproblematik mit ihrem grundsätzlichen Konflikt zwischen Kunst und Leben ist modern und hat mit der historischen Sappho wenig zu tun. Sie erscheint aber auch als Tragödie einer alternden Frau, deren Liebe zu einem jüngeren Mann zum Scheitern verurteilt ist. Wie hängen die schwer zu vereinbarenden Aspekte der Sappho-Figur zusammen, die einmal als hohe Künstlerin, ein andermal als Frau auftritt, die spät, zu spät nachholen möchte, was sie versäumte? Zu klären bleibt dabei auch, welche Kunstauffassung hier zum Ausdruck kommt. Einmal wird die Kunst zum höchsten Gut der Menschheit verklärt, ein andermal dient sie als Surrogat, wenn sie für ein versäumtes Leben entschädigen soll. In diesen Widersprüchen kündigt sich ein Kunstkonzept an, das erstaunlich moderne Aspekte hat.
Wolfgang Düsing promovierte 1967 an der Universität Köln und habilitierte sich 1975 an der Universität Mainz. Er war von 1976 bis 1983 an der Universität Trier und von 1983 bis 2004 an der Universität Mainz Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte (seit 2004 i. R.). Er übernahm viermal eine Max-Kade-Professur in den USA und ist seit einiger Zeit auch als Mitglied (Leiter) einer Literatur-Jury tätig.
Publikationen (in Auswahl): Schillers Idee des Erhabenen. 1967; Schillers Briefe »Über die ästhetische Erziehung des Menschen«. 1982; Erinnerung und Identität. Musil, Döblin, Doderer. 1982; Experimente mit dem Kriminalroman. Hg. 1993; Aspekte des Geschichtsdramas. Hg. 1998; Tendenzen im Geschichtsdrama und Geschichtsroman des 20. Jahrhunderts. Mhg. 2004. – Zu Grillparzer: Die Verinnerlichung des Schönen in Grillparzers Entwürfen zur Ästhetik. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 20 (1975), S. 98–122; Die Tragik der Zeitenwende in Grillparzers Geschichtsdrama »Ein Bruderzwist in Habsburg«. In: Literatur für Leser 1987, S. 188–198.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
PD Dr. Gunther Nickel (Deutsches Institut, Neuere Literaturgeschichte, Universität Mainz)
Das Künstlerdrama in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Wolfgang Bauers »Change«, Rainald Goetz’ »Jeff Koons«, Albert Ostermaiers »The Making of B-Movie« und Falk Richters »Gott ist ein DJ«
Mittwoch, 7. November 2007, 18.15 Uhr, P 3 (Philosophicum)