Mainzer Universitätsgespräche
Standpunkte, Koordinaten, Horizonte – Sich in der Welt Orientieren
Prof. Dr. Detlef Pollack
Professor für Religionssoziologie ∙ Sprecher des Exzellenzclusters ″Religion und Politik″, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Der Totalitätsanspruch des lateinischen Christentums und seine Begrenzung: Sozialhistorische Analysen zur Emergenz der Moderne
Mittwoch, 9. Januar 2019, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)
ERÖFFNUNGSVORTRAG ZUR TAGUNG ″GRENZEN DER RELIGION″
Ansprüche auf öffentliche Beachtung und Berücksichtigung werden in den westeuropäischen Ländern heute gern im Medium religiöser Semantik vorgebracht – und stoßen dann nicht selten auf das Befremden der weitgehend säkularisierten Gesellschaften. Religiöse Relevanzansprüche durchziehen die Geschichte Europas jedoch seit Jahrhunderten und haben unintendiert maßgeblich zur Herausbildung der Moderne beigetragen. – Das ist die These des Vortrags.
Funktionale Differenzierung als wesentliches Merkmal moderner Gesellschaften hat sich in der Geschichte Europas gegen den Universalitätsanspruch der römischen Kirche entwickelt: als Abwehr von Suprematieansprüchen, als Bekundung von Nicht-Identität, als eine Form der humanen Selbstbehauptung. Wahrscheinlich erhob keine andere religiöse Institution je einen so weitreichenden Gültigkeits- und Gehorsamsanspruch wie das römische Papsttum. Und wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass Prozesse der funktionalen Differenzierung nirgends so weit getrieben wurden wie im Bereich des lateinischen Christentums. In dem wechselvollen Auf und Ab gegenläufiger Prozesse der Differenzierung und Entdifferenzierung musste die Kirche im Laufe der Jahrhunderte ihre sozialen Geltungsansprüche indes immer weiter zurückstecken. Die Geschichte des Christentums in Westeuropa ist eine dramatische Subtraktionsgeschichte, eine Geschichte seiner Zähmung.
Pollack, Detlef, geb. 1955, Studium der Theologie und Religionswissenschaft in Leipzig und Zürich. Seit 2008 Professor für Religionssoziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, seit 2015 Sprecher des Exzellenzclusters ″Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne″ an der Universität Münster. Von 1996–2008 Professor für vergleichende Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). 2003–2005 Max Weber-Chair an der New York University.
Schwerpunkte: Religionssoziologie, Politische-Kultur-Forschung, DDR-Forschung, Systemtheorie.
Neuere Veröffentlichungen: Religion in der Moderne: Ein internationaler Vergleich. Campus 2015 (mit Gergely Rosta); Religion und gesellschaftliche Differenzierung: Studien zum religiösen Wandel in Europa und den USA. Mohr 2016.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Rudolf Stichweh
(Inhaber der Dahrendorf-Professur ″Theorie der modernen Gesellschaft″, Universität Bonn ∙ Gastprofessor an der Universität Luzern, Schweiz)
Interdisziplinarität und wissenschaftliche Bildung
Mittwoch, 23. Januar 2019, 18:15 Uhr, Hörsaal N 1 (Muschel)